Krisen der Seelenklempner

17.08.2012
Wie ausgebildete Profis, die anderen bei ihren seelischen Problemen helfen, mit ihren eigenen umgehen, hat der Psychiater Christophe André zusammengetragen. Sein französischer Bestseller, "Die Geheimnisse der Therapeuten", ist jetzt auf Deutsch zu haben.
Es begann in der Pariser Metro. Die Luft war verbraucht, der Waggon übervoll, der junge Psychologiestudent wollte sich zum Ausgang drängen, als ihn ein Schwindel zu Boden gehen ließ. Seitdem kamen die quälenden Ängste immer wieder, eine Klaustrophobie nahm ihren Lauf.

In dem Buch "Die Geheimnisse der Therapeuten" - in Frankreich ein Bestseller - erzählen 26 Therapeutinnen und Therapeuten beeindruckend offen und souverän von ihrem Umgang mit psychischen Nöten. Ängste und Depressionen, Burn-out-Abstürze und Mobbing, eklatante Schwierigkeiten bei der Kindererziehung und quälende Erinnerungen an Traumata sind keineswegs das Privileg psychologischer Laien, das wird bei der Lektüre schnell deutlich. Autor Christoph André nun hat die Erfahrungen der Psychotherapeuten zu einem Kompendium wundersamer Fingerzeige, inspirierender Ratschläge und vielfältiger Mahnungen zusammengestellt. In vier Abschnitten spannt er in seinem Buch einen weiten Bogen:

Um "Bewährungsproben" geht es im ersten Teil, von simpler Schüchternheit über neurotische Krankheitsängste bis hin zu Depressionen. Der zweite Teil erkundet die Suche nach dem inneren Gleichgewicht, nicht nur durch Entspannungsübungen, sondern auch durch die intensive Auseinandersetzung mit großen Themen wie Alter und Tod oder die Frage nach dem sinnvollen Leben. Danach rücken die Facetten des Beziehungslebens in den Fokus, Autoritätskonflikte in der Familie, aber auch die schlichte Frage, was wohltuendes Zuhören sei. Der letzte Teil schließlich trägt den Titel "Weitergehen" - trotz Ablehnung und Kritik, den eigenen Werten folgend, im Kontakt zur Intuition.

Mit Erstaunen und zunehmender Neugier liest man, wie findig und variantenreich die Therapeuten bei sich selbst zu Werke gehen - um so interessanter, als sie alle aus der kognitiven Verhaltenstherapie kommen, die sich von psychoanalytischen und tiefenpsychologischen Ansätzen bekanntermaßen einen zu schematischen Umgang mit dem menschlichen Innenleben vorwerfen lassen muss.

Doch davon kann hier keine Rede sein: Der eine Therapeut nutzt seine Anfälle von Schüchternheit und Schamesröte, um mit Patienten in ein tiefer gehendes Gespräch über den mutigen Umgang mit eigenen Schwächen einzutreten. Der andere probiert jede Methode, die er seinen Patienten empfiehlt, seit Jahrzehnten konsequent aus, um Privatleben und Beruf kongruent zu erleben. Die Dritte löst schwierige Lebensfragen, indem sie so lange darüber schläft, bis die unterbewussten Kräfte der Intuition die Sache für sie erledigt haben. Und der ehemalige Klaustrophiker empfiehlt für neurotische Ängste eine "kleine Akzeptanzübung": Katastrophengedanken innerlich so groß werden lassen, bis die Schreckensgefühle explodieren und verschwinden - viel Vergnügen.

Eines macht das schöne Buch im Subtext deutlich: Wer sein menschlich-vulnerables Seelenleben einigermaßen heile durch dieses Leben steuern möchte, braucht, Verhaltenstherapie hin oder her, eine Menge Neugier auf Lösungen, viel Ausdauer und persönliche Widmung.

Besprochen von Susanne Billig

Christophe André: Die Geheimnisse der Therapeuten - Wie Psychologen sich selbst behandeln und was wir von ihnen lernen können
Aus dem Französischen von Margarethe Randow-Tesch
DVA, München 2012
480 Seiten, 19,99 Euro
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