Kriminalität, Drogen und Diskriminierung

05.09.2007
Tamer Nafar ist in Israel mittlerweile ein renommierter Künstler, lebt selbst aber immer noch in dem Elend, das er in seinen Songs schonungslos beschreibt. Seit acht Jahren besteht sein Hiphop-Trio DAM: Der Name bedeutet auf Hebräisch "Blut", auf Arabisch "unsterblich" und auf Englisch "Die arabischen Mikrophon-Kontrolleure".
"Wer bist Du? Tamer Nafar, scharfe Zunge, seine Worte sind wie Flammen, er zündet Feuer an in den Herzen der freien Rebellen. Gib mir ein Mikrophon und ich gebe dir eine Revolution."

Mit 28 Jahren ist Tamer Nafar, Sänger der Band DAM, bereits der bekannteste arabische Rapper in Israel. Das Trio hat viele Fans, drei CDs, es tritt regelmäßig auf, auf Hebräisch und Arabisch, auch in Europa und in arabischen Staaten. Aber der junge Mann mit den kurzen gegelten Haaren und dem Drei-Tage-Bart lebt nicht wie ein Star. Er teilt zusammen mit seinen drei Geschwistern und Eltern eine kleine Drei-Zimmer-Wohnung in einem gemischten jüdisch-arabischen Stadtteil in Lod östlich von Tel-Aviv.

"Es ist so eng hier, man stößt ständig auf Gegenstände. Ich hasse diesen Platz und träume davon, wegzugehen. Es ist schwer, auch weil mein Vater im Rollstuhl sitzt. Wir wohnen im zweiten Stock und müssen unseren Vater immer hoch tragen. Er war Installateur, wurde aber bei einem Verkehrunfall verletzt und ist arbeitslos. Meine Mutter ist Hausfrau."

Um 11 Uhr morgens sind Tamer und sein jüngerer Bruder Suhell - zusammen mit ihrem Nachbarn Mahmoud bilden sie die Band DAM - gerade aufgestanden. Alle drei sitzen im Wohnzimmer, Tamer raucht eine Wasserpfeife, auf dem Bildschirm läuft ein Musiksender. Wir unterhalten uns über das Thema, das die jungen Musiker seit ihrer Kindheit belastet: die Diskriminierung der arabischen Israelis. Tamer kann davon ein Lied singen.

"In der staatlichen Schule kann ich mich nicht erinnern, dass die Lehrer uns unterrichteten. Ich werde es aber nicht vergessen, dass sie uns täglich geschlagen haben. Ein Lehrer hat mir sogar das Nasenbein gebrochen, weil ich im Unterricht gesprochen habe. Er schlug meinen Kopf zweimal gegen den Tisch."

Als Tamer 14 war, wurde der Oslo-Vertrag zwischen Israel und den Palästinensern unterschrieben. Die israelische Armee übersiedelte daraufhin palästinensische Informanten in arabische Stadtteile, auch in Tamers Stadt Lod. Die neuen Nachbarn starteten ein reges Drogengeschäft für jüdische Junkies und lieferten auch Tamer viel Stoff für erste Protestsongs:

"Ich schrieb den Titel ‚Stop selling Drugs’, ‚hört auf, Drogen zu verkaufen’. Das Problem hat mich sehr belastet, obwohl fast keiner der Nachbarn Drogen nahm. Aber der Kampf um den Markt führte zu Mord. Schlimm war es, dass man bei uns diesen Dealern Respekt zollte, dem mit dem BMW und dem mit dem Mercedes. Die Kinder wollten so wie sie werden"

Tamer wachte morgens auf nicht mit Vogelgezwitscher, sondern mit Schusswechseln. Alle zwei Wochen wurde ein Gangmitglied, manchmal ein unschuldiger Fußgänger, erschossen. Die Theorie der Verbrechen interessierte Tamer. Nach dem Abitur studierte er Kriminologie. Mit 20 gründete er seine Band DAM:

"Hey Mann, suchst Du eine Mitfahrt ins Grab? Komm nach Lod, eine Stadt, die Du nicht überlebst; eine Stadt, in der sogar der Todesengel eine kugelsichere Weste trägt. Hast Du jemand abgeknallt, erschieß auch seinen Onkel. Bang Bang, noch ein Araber ist tot."

Tamer Nafar ist vor allem ein großer Texter und der erste arabische Musiker, der in genialen Wortkombinationen das Elend der arabischen Israelis darstellt und auch an Selbstkritik nicht spart: "Wir sind vielleicht Bürger zweiter Klasse", sagt er. "Aber unsere Verbrecher sind erstklassig."

Seit der letzten Intifada nennt sich Tamer Palästinenser. Während der bitteren Kämpfe im Flüchtlingslager Dschenin demonstrierte er gegen die israelische Besatzung. Er wurde festgenommen und vor Gericht gestellt, kam aber ohne Anklageschrift frei.

Den nationalen Durchbruch erreichte Tamer Nafar mit DAM 2003 mit dem Schlager "Unschuldige Kriminelle". Der israelische Popstar Aviv Geffen entdeckte sein Lied im Internet und war so beeindruckt, dass er zusammen mit DAM eine gemeinsame Fassung aufnahm.

"Ihr sagt die Araber seien primitiv, aggressiv, kriminell und barbarisch. Das sind wir nicht, aber falls wir das geworden sind, hat uns die Regierung dazu geführt. Bevor Du mich verurteilst und bestrafst, tritt in meine Schuhe. Dann werden Dir deine Füße wehtun – denn wir sind unschuldige Kriminelle."

Der Erfolg – ein Vertrag bei einer Produktionsfirma und Auftritte in Europa und den USA - steigt Tamer nicht zu Kopf. In seiner Stadt blickt er auf eine lange Mauer, die den arabischen Teil vom jüdischen trennt. Im israelischen Radio werden seine Titel so gut wie nie gespielt, und seit der Intifada wollen immer weniger jüdische Israelis seine Musik hören.

Einen kleinen Traum wird Tamer Nafar dennoch bald verwirklichen können, in einen besseren Stadtteil umzuziehen. In der neuen Wohnung werden sie aber nicht zu sechst, sondern zu siebt wohnen. Im nächsten Frühjahr heiratet Tamer seine arabisch-muslimische Freundin. Sie ist eine von uns, sagt er.

Homepage von Tamer Nafar