Krimi

Sterben in Mexiko

Flaschen von Tequila und Mescal in einem Shop in San Miguel de Cozumel, aufgenommen am 08.12.2010.
Flaschen von Tequila und Mescal in einem Shop in San Miguel de Cozumel, aufgenommen am 08.12.2010. © picture alliance / dpa / Daniel Gammert
Von Thomas Wörtche · 04.04.2014
Seinen Kriminalroman hat Jonathan Woods erst im Alter von sechzig Jahren zu schreiben begonnen. Für sein Buch "Die Tote von San Miguel" hat er seine erfolgreiche Anwaltskarriere aufgegeben - oder zumindest auf Eis gelegt.
Kriminalliteratur ist in letzter Zeit arg seriös geworden. Man diskutiert sie anhand der komplexen Epen von David Peace oder Don Winslow. Ihre Themen sind gewichtige Beiträge zu den Diskussionen, die die Welt bewegen: große Politik, strukturelle Gewalt oder die diversen psychosozialen Verwerfungen der Globalisierung.
Aber glücklicherweise bilden sich im Zuge der literarischen Evolution auch immer wieder Gegenströmungen zum gerade angesagten Großtrend. Im Fall der Kriminalliteratur beziehen sich solche antizyklischen Strömungen gerne und sinnvollerweise auf die Ursprünge des Genres, das historisch der Gosse entstammt.
Jonathan Woods Roman "Die Tote von San Miguel" ist im Original nicht umsonst in der kleinen "New Pulp Press" erschienen, deren Name Programm ist. Das Buch übernimmt von den guten alten pulps, also den auf billigem Papier gedruckten amerikanischen Romanen mit großer Vergangenheit - Raymond Chandler, Jim Thompson und Co. waren "Pulp"-Autoren" - die basics. Dazu gehören das überschaubare Setting, der gradlinige Plot, eine gewisse Drastik des Physischen - Gewalt, Sex und andere Äußerungen von Körperlichkeit - und eine lakonische, metaphernreiche Sprache mit knappen, witzig-aggressiven Dialogen. In einer mexikanischen Kleinstadt hat sich eine kleine Gemeinschaft amerikanischer Expatriates wegen der günstigen Lebenshaltungskosten niedergelassen und geht bohèmehaft dem Kunstleben nach: als Maler, Galeristen, Modelle, Musen und Müßiggänger.
Robuste, intelligente Kriminalgeschichte
Das nimmt ein böses Ende, als eine hübsche junge Frau aus diesem Kreis anscheinend einem Ritualmord zum Opfer fällt. Woods erzählt die Geschichte strikt aus dem mexikanischen Blickwinkel, aus der Perspektive von Inspektor Díaz, der lieber faul und korrupt und hinter den Frauen her ist, als sich zu stressen. Allerdings gibt es ein paar Aspekte an der ganzen Affäre, die ihn wachrütteln und zu einem guten Cop, wenn auch nicht zu einem guten Menschen machen. Denn um Ritualmorde eines irren Serial-Killers geht es hier ganz und gar nicht, sondern, auch das ist klassisch, es morden Menschen, die laut Chandler, ihre guten Gründe dafür haben. Die Verdrehung des Verhältnisses USA/Mexiko - normalerweise müssen die Amis die Arbeit für die inkompetenten Mexikaner machen, die Schilderung abwegiger Typen aus dem Kunstbetrieb und dem Bestiarium der Kleinstadtcops sowie die immer mitlaufenden, oft komischen Bezüge auf die Mexiko-Manie, ausgelöst durch Filme wie "Desperado" oder "Machete", bieten unterhaltsame Einfälle in Hülle und Fülle.
Die robuste, intelligente Kriminalgeschichte, die dahinter steckt, verhindert, dass "Die Tote von San Miguel" zum eitlen Meta-Roman wird. Ein rundum erfreuliches Buch, das entspannt zeigt, dass man die rauen, rohen und derben Ursprünge der Kriminalliteratur "von unten" durchaus elegant und mit Esprit auch heute noch fruchtbar machen kann, wenn sich "oben" die Verhältnisse allzu etabliert haben. Kriminalliteratur ist kein starres Genre. Bücher wie das von Jonathan Woods erinnern vergnüglich daran.

Jonathan Woods: Die Tote von San Miguel
Übersetzt von Winfried Czech
Aufbau Taschenbuch, Berlin 2014
317 Seiten, 9, 99 Euro