Krimi als Vergangenheitsbewältigung

06.08.2008
Raúl Argemi arbeitet in seinem preisgekrönten Krimi seine eigene Geschichte und die seines Heimatlandes Argentinien auf. Argemi saß während der Diktatur zehn Jahre im Gefängnis. Sein Romanheld Manuel erwacht in einem Krankenhaus in einem Indio-Reservat und kann sich nur noch seines Namens erinnern. Ein neben ihm liegender Indianer ist auf seltsame Weise mit seiner Geschichte verknüpft.
Dieser Roman, der mit dem Hammett-Preis der International Association of Crime Writers in Nordamerika ausgezeichnet wurde, ist der erste dieses argentinischen Autors, der ins Deutsche übersetzt wurde.

Der Verlag spricht hier gerne von einem "Roman Noir", und in der Tat hat das Buch etwas von den existenzialistischen Krimis aus Frankreich, die als Vorlagen für zahlreiche Filmklassiker gedient haben. Aber Argemís Roman ist nicht so nihilistisch wie seine literarischen Vorläufer, sondern, mit seinem starken politischen Aspekt, auf der Spur einer historischen Wahrheit, die in Argentinien noch immer nicht aufgearbeitet ist.

Der versoffene gescheiterte Journalist Manuel erwacht nach einem Autounfall aus dem Koma. Er liegt im Krankenhaus eines Indio-Reservats, und erinnert sich nur schwach, dass er einen Anhalter mitgenommen hatte. Über sich selbst aber weiß er nichts mehr, außer seinem Namen.

Mit diesem klassischen Krimi-Auftakt eröffnet Argemí eine Reise in die Vergangenheit, in die Zeit der Diktatur, der Folter und des Verrats. Im Bett neben Manuel liegt ein Mapuche-Indianer, der im religiösen Wahn seine Familie ermordet und sich dann selber angezündet haben soll. Die Geschichten der beiden sind auf seltsame Weise miteinander verknüpft, und ein Arzt, ein Krimineller, ein Priester und ein Überläufer der Guerilla spielen darin ihre Rolle.

Mit der Zeit rückt die Psychologie der Figuren immer mehr ins Zentrum der Handlung. Denn vor dem Hintergrund eines schmutzigen Krieges und der Allgegenwart von Armut und Korruption zeichnet Argemí ein von Neurotikern und Drogenabhängigen, Psychopathen und Traumatisierten bevölkertes Land.

Darin steckt auch die persönliche Traumabewältigung des Autors: Während der Diktatur der Generäle in Argentinien saß Raúl Argemí zehn Jahre im Gefängnis. "Literatur ist ein Mittel, Geister und Obsessionen auszutreiben", sagte er in einem Interview, "schreibend kann ich sie zwar nicht beherrschen, doch immerhin schaffe ich es, ihnen ins Auge zu schauen."

Rezensiert von Katharina Döbler

Raúl Argemí: Chamäleon Cacho
Roman. Aus dem argentinischen Spanisch von Susanna Mende
Unionsverlag, Zürich 2008
geb. 128 Seiten, 14.90 EUR