Krim-Krise

"Eine weitere Eskalation verhindern"

Jürgen Trittin redet im Bundestag.
Das erste Ziel für alle Europäer müsse sein, die OSZE wieder ins Spiel zu bringen, betonte Trittin im Interview. © dpa/Rainer Jensen
Moderation: Korbinian Frenzel · 17.03.2014
Nach dem Referendum auf der Krim müsse nun oberstes Ziel der europäischen Außenpolitik sein, ein Zuspitzen des Konfliktes und Gewalttätigkeit zu unterbinden, sagt Jürgen Trittin (Grüne). Vor allem müsse die OSZE wieder erfolgreich ins Spiel gebracht werden.
Korbinian Frenzel: Keiner will diese Entscheidung anerkennen, keiner außerhalb Russlands, keiner außerhalb der Krim – aber sie ist gefallen, mit großer Mehrheit, mit übergroßer Mehrheit: Die Krim sagt sich los von der Ukraine. Was tun? Was haben wir für Möglichkeiten als Deutsche, als Europäer, als Westen insgesamt? Ich spreche jetzt mit Jürgen Trittin, für seine Partei, für die Grünen, im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages. Guten Morgen!
Jürgen Trittin: Guten Morgen!
Frenzel: Herr Trittin, müssen wir uns an die Idee gewöhnen, die Grenzen der Ukraine neu zu ziehen, ohne die Krim?
Trittin: Ich würde mich nicht dran gewöhnen, aber Tatsache ist, diese Entscheidung, die hier von Russland maßgeblich vorangetrieben worden ist, übrigens ein Land, was mal 1994 garantiert hat die territoriale Unversehrtheit der Ukraine, dafür hat die Ukraine damals sämtliche Atomwaffen abgegeben. Dieser Verletzung der eigenen vertraglichen Verpflichtungen wird so schnell von Russland und mit Russland nicht rückgängig zu machen sein.
Frenzel: Das heißt, die Fakten sind geschaffen, die Krim ist weg?
Trittin: Davon muss man ausgehen, dass hier tatsächlich Fakten geschaffen worden sind. Das, worauf die europäische Außenpolitik sich heute konzentrieren muss, ist, eine weitere Eskalation zu verhindern. Mir machen die Vorfälle im Osten und im Süden der Ukraine große Probleme. Ich bin mir auch nicht mehr sicher, ob alle, die hier mit strategischen Motiven, also Verhinderung einer möglichen NATO-Mitgliedschaft der Ukraine durch eine Teilannexion von ukrainischem Staatsgebiet – das scheint mir das Kalkül von Russland zu sein – damit spielen, ob die auch wirklich alle Kräfte, die hier wirken, in der Hand und unter Kontrolle haben.
Also, es geht sehr stark darum, eine weitere Eskalation und ein Zuspitzen dieses Konfliktes, auch möglicherweise in Richtung Gewalttätigkeit zu unterbinden.

Demonstranten in Kiew
"Stoppt Propaganda! Es gibt hier keinen Faschismus", steht auf dem Unabhängigkeitsplatz in Kiew.© AFP / Anatolii Stepanov
Frenzel: Diese Eskalation zu verhindern, die weitere Eskalation, wie kann das gelingen? Außenminister Steinmeier spricht weiterhin vom Dialog, Politik des Dialogs, die nicht scheitern darf. Ist die nicht längst gescheitert?
Die OSZE wieder ins Spiel bringen
Trittin: Ich glaube, es ist das erste Ziel und muss das erste Ziel der europäischen Außenpolitik sein, hier wieder die Organisationen ins Spiel zu bringen, die sich ja Russland zusammen mit allen anderen europäischen Staaten mal für solche Situationen gegeben hat, das ist die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa.
Wir plädieren nachdrücklich dafür, dass in den gefährdeten, von Eskalation bedrohten Gebieten endlich freier Zugang dafür herrscht. Russland sieht sich ja in der Situation, dass sie ein Referendum durchgeführt haben, dabei Beobachter der OSZE mit Warnschüssen davon ferngehalten haben, das zu beobachten, muss sich nicht wundern, wenn niemand ein solches Ergebnis auch nur daran denkt, es zu akzeptieren. Das muss das Ziel sein.
Ich gehe dennoch davon aus, dass es am heutigen Montag gezielte Reisebeschränkungen geben wird für identifizierbare Personen. Man wird auch Konten einfrieren. Ich bin mir allerdings nicht sicher, wie weit dieser Effekt geht. Weil, dass das passieren könnte und dass man auch bestimmte Personen da im Auge hat, das war ja schon lange bekannt. Also, wenn ich so ein Konto hätte, wäre da nicht mehr viel drauf.
Frenzel: Die Frage ist ja dann, wie es mit weiteren Sanktionen ist, Sanktionen, die wirklich greifen, Wirtschaftssanktionen. Wäre das eine gute Idee, wäre das ein Druckmittel, das wir nutzen sollten?
Trittin: Europa hat sich bewusst dazu entschlossen, schrittweise vorzugehen, Stufe für Stufe. Und jede dieser Stufen ist verbunden mit dem Versuch, weitere Eskalationen zu vermeiden, das zu tun, wozu wir uns mal alle in diesem gemeinsamen Haus Europa – hat übrigens ein russischer Präsident geprägt, diesen Begriff – verpflichtet haben, nämlich Interessengegensätze und Konflikte diplomatisch, politisch, und nicht mit Gewalt und nicht mit Destabilisierung des Nachbarn - und das ist das, was Russland mit der Ukraine gerade macht - zu lösen.
Und deswegen gehört zu jeder dieser Stufen das Angebot, auch miteinander zu sprechen, gemeinsame Lösungen zu finden. Und ich würde zum jetzigen Zeitpunkt dringend dazu raten, auch mit Blick auf Russland, diesen Vorschlag, Installation und einer größeren Rolle der OSZE, Installation einer Beobachtermission dort, diesem Beschluss nahezutreten.
Frenzel: Sie haben die Frage der NATO-Mitgliedschaft vorhin angesprochen. Die lag ja 2008 auf dem Tisch. Da war es eine deutsche Bundeskanzlerin, Angela Merkel, die das damals verhindert hat, dass die Ukraine den Weg in die NATO findet. War das ein Fehler? Wäre es heute besser, wenn wir sagen könnten, die Ukraine ist in der NATO? Russland würde es nicht wagen, auf das Territorium eines NATO-Staates zu gehen?
Dem Staatsbankrott der Ukraine entgegenwirken
Trittin: Ich glaube, es war richtig, das nicht getan zu haben, es bleibt auch richtig. Weil es führt zu einer Spaltung innerhalb der Ukraine. Es hätte diese Gesellschaft damals zerrissen.
Das, was Europa in seiner Nachbarschaftspolitik nicht hinreichend einkalkuliert hat – was die Gegenreaktion, die nicht akzeptable Gegenreaktion Russlands angeht, ist, dass man mit ökonomischer Integration möglicherweise Ähnliches innerhalb dieses Landes auslöst. Und das ist der Kern dessen, ich glaube, es ist jetzt richtig, den Weg zu einem EU-Assoziierungsabkommen zu gehen und dieses Abkommen in Gang zu setzen.
Es ist absolut notwendig, und das muss oberste Priorität sein, dem Staatsbankrott und dem Zerfall der Institutionen – und dieser Zerfall von Institutionen begünstigt ja auch auf der ukrainischen Seite Kräfte, die eben nicht an einer Deeskalation, sondern einer Eskalation interessiert sind – diesem Prozess entgegenzuwirken, und das geht nur mit massiven Finanzhilfen und ökonomischer Zusammenarbeit.
Das OSZE-Logo über Länderflaggen.
Trittin plädiert für die Einrichtung einer OSZE-Beobachtermission.© dpa/picture alliance/Michal Krumphanzl
Frenzel: Herr Trittin, die Kritik an Russland ist groß von uns allen, von allen Seiten. Wenn wir uns aber noch mal versuchen, in die Perspektive Moskaus zu denken, wenn wir zurückdenken an die Dinge, die im Kosovo passiert sind: Sie waren damals direkt in Ministerverantwortung in der rot-grünen Bundesregierung, die bereit war, für das Selbstbestimmungsrecht der Kosovaren sogar Belgrad zu bombardieren. Können Sie manchmal nachvollziehen, warum Moskau verwirrt ist, wann Europa, wann der Westen das Recht so anwendet und mal anders?
Vergleich mit Kosovo hinkt
Trittin: Das ist eigentlich nicht so schwer. Anders als auf der Krim hat es im Kosovo über zehn Jahre hinweg massivste Menschenrechtsverletzungen gegeben. Vertreibungen, willkürliche Verhaftungen, hier hat es Dinge gegeben, die einige interpretiert haben als Auftakt oder als eingetretenes Stück ethnischer Vertreibung bis hin zu Tatbeständen des Völkermordes. All dieses hat es auf der Krim nicht gegeben.
Frenzel: Aber so stellt es die russische Regierung dar in ihrer Darstellung.
Trittin: Ja gut. Ich würde an ihrer Stelle auch immer versuchen, sich irgendein scheinlegales Schutzmäntelchen zu geben. Nur, nicht alles was hinkt, ist schon ein Vergleich. Und insofern gibt es all dieses nicht, auf was Russland sich an dieser Stelle berufen hat.
Es war übrigens dann auch ganz einfach gewesen, zuzulassen zum Beispiel hier eine Beobachtermission durch die OSZE. Und ich finde, Russland sollte es zu denken geben, dass sie im Sicherheitsrat, als es um die Frage ging, wie mit der Ukraine umzugehen ist, völlig alleine gestanden haben. Alle großen Entwicklungsländer haben gegen Russland gestimmt. Und China, das vor Augen offensichtlich hat, was passieren würde, wenn man die Logik der Krim auf Sichuan oder Tibet anwendet, hat es mal eben auf Freundschaft noch gerade getan, sich lediglich zu enthalten, hat aber nicht zu einem Veto gegriffen und ist Russland nicht beiseite gesprungen.
Ich glaube, dass unter dem Aspekt der außenpolitischen Rolle, der globalen Rolle Russlands Putin sehr deutlich gemacht worden ist, dass er an Einfluss verliert. Und das, was er möchte, nämlich auf Augenhöhe mit China, mit den USA zu spielen, dass dieses immer mehr in Frage gestellt ist durch sein Vorgehen auf der Krim.
Frenzel: Jürgen Trittin, für die Grünen im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages. Herzlichen Dank für das Interview!
Trittin: Ich danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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