Kriegsroman

Drastische Szenen

Soldaten der französischen Armee im Ersten Weltkrieg (1914-1918) in einem Schützengraben
Soldaten der französischen Armee im Ersten Weltkrieg (1914-1918) in einem Schützengraben © picture-alliance/ dpa
Von Wolfgang Schneider · 24.02.2014
Fünf Schicksalsträger - zerfetzt, verstümmelt oder hingerichtet. In "14" von Jean Echenoz wird der Erste Weltkrieg zum absurden Ballett des Tötens. Dem neuen Kurzroman des französischen Autors fehlt allerdings ein erzählerischer Kern.
Wer zählt sie noch – all die Bücher zum Kriegsausbruch von 1914? Fast könnte man von einer publizistischen Materialschlacht sprechen. Nun hat auch Jean Echenoz einen Roman zum Thema vorgelegt. Der französische Autor hat einen Ruf als Verdichtungskünstler. Auch "14", sein vierzehnter Roman, ist ein denkbar knappes Kriegsepos.
Aus dem Millionenheer der Soldaten wählt er fünf durchschnittliche Schicksalsträger aus und absolviert mit ihnen den Krieg im Westen: Charles, der etwas selbstgefällige Leiter einer Schuhfabrik, Anthime, sein jüngerer, eifersüchtiger Bruder (beide lieben dieselbe Frau, Blanche, die Tochter des Fabrikbesitzers, die von beiden ein Kind bekommt), des Weiteren ein schüchterner Metzger, ein Sattler und ein Abdecker. Sie alle werden Opfer des Krieges: zerfetzt, verstümmelt oder hingerichtet als Deserteur.
Völlig sinnlose Veranstaltung
Der Roman spart alle politischen Zusammenhänge und Informationen zum Kriegsverlauf aus. So erscheint der Krieg als völlig sinnlose Veranstaltung, ein Wechsel von strapaziöser Langeweile und Schlachterei. Die Verheerungen eines Geschosses werden wie ein absurdes Ballett des Tötens beschrieben: Nacheinander enthaupten die Splitter einen Mann, spießen einen anderen auf, reißen einen in sechs Stücke, schlitzen einen der Länge nach auf. Ein weiterer Eisensplitter "glutheiß, rauchend, handtellergroß, so messerscharf wie eine gläserne Scherbe", trennt Anthime den Arm ab. Im Lazarett wird er beneidet: So eine schöne Verletzung! Für ihn ist der Krieg vorbei.
Echenoz begnügt sich mit wenigen drastischen Szenen, und vielleicht hat er recht: "All das ist schon tausendfach beschrieben worden…" Stattdessen setzt er eigenwillige Akzente: Auf zwei Seiten unternimmt er eine Inventur des üblichen infanteristischen Marschgepäcks, und bei dieser Aufzählung spürt man förmlich die Last auf der Schulter wachsen, bis die fünfunddreißig Kilo, mit der Sturmangriffe zu unternehmen waren, vollständig beisammen sind. Ein Kapitel widmet sich den herrenlosen Tieren rund um die verlassenen oder zerstörten Dörfer. Gern beschäftigt sich der Erzähler auch mit technischen oder grotesken Details wie den "Hirnpfannen": Bevor es solide Helme gab, wurden diese Metallschalen unter dem Käppi getragen. Sie waren unbequem, verrutschten leicht, und so benutzte man die "Hirnpfanne" lieber, um darin ein Ei zu braten.
Anthime ist einer, der sich "an alles gewöhnt". Das gilt auch für die Einarmigkeit, die mit trockener Komik abgehandelt wird. Bananen zum Beispiel lassen sich nur mit zwei Händen schälen. Schwierig auch das Schuhezubinden; kurzerhand entwirft Anthime in der Schuhfabrik den Prototyp eines schlupfleichten Mokassins, der später sogar zum Verkaufserfolg wird.
Lakonische Erzählung
In "Ravel", "Laufen" oder zuletzt "Blitze" hat Echenoz sein Verfahren eines lakonischen biographisch-historischen Erzählens verfeinert. Diese Kurzromane bieten komprimierte Lebensbilder, deren Reiz im Wechselspiel zwischen einem faszinierend eigenwilligen Charakter und einem obsessiv verfolgten Lebensprojekt besteht: Musik, Langlauf, Strom. Damit kann "14" nicht aufwarten. Die Hauptfigur Anthime erscheint zu blass und unbedeutend. Mag sein, dass er den französischen Jedermann verkörpern soll – der Roman büßt dadurch den erzählerischen Kern ein. Er hat gute Passagen, gehört aber nicht zu den besten Werken dieses Autors.

Jean Echenoz: 14
Roman
Aus dem Französischen von Hinrich Schmidt-Henkel
Hanser Berlin, Berlin 2014
125 Seiten, 14,90 Euro

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