Kriegseinsatz mit Handtasche

31.01.2007
1940 gab der britische Premierminister Winston Churchill den Startschuss für die "Ungentlemanly Warfare" - die subversive Kriegführung mit Sabotage-Aktionen und Angriffen aus dem Hinterhalt. Agenten wurden in alle von den Nazis besetzten Länder geschickt, vor allem nach Frankreich. 1942 kamen dort auch die ersten Frauen zum Einsatz. Ihr Schicksal hat die Historikerin Monika Siedentopf in ihrem Buch "Absprung über Feindesland" beschrieben.
Die Agentinnen wurden bei Mondlicht von Bombern ins Land gebracht. Sie sprangen mit Fallschirmen aus geringer Höhe ab. Einige wurden auch mit einer einmotorigen Maschine ins Land geflogen. Sie waren britische Agentinnen, aber viele hatten nicht die britische, sondern die französische Staatsangehörigkeit. Wichtig war, dass sie im Untergrund nicht auffielen, dass sie die französische Sprache perfekt beherrschten. Deshalb waren auch Französinnen rekrutiert worden.

Es waren 39 Agentinnen, die in Frankreich zum Einsatz kamen, zumeist jung und ledig, einige waren verheiratet, manche hatten Kinder. Andere waren geschieden oder verwitwet, wie Violette Szabo. Sie hatte ihren Mann mit 19 kennen gelernt, einen Soldaten, der für de Gaulles Truppen "Freies Frankreich" kämpfte. Es war Liebe auf den ersten Blick. Sie hatten nur kurze Zeit zusammen, ein paar Tage statt Flitterwochen, dann folgte der nächste Einsatz in Afrika. Die Geburt seiner Tochter erlebte der werdende Vater nicht mehr, er wurde tödlich verwundet. Der Tod ihres geliebten Mannes brachte die 22-jährige Violette Szabo dazu, sich als Agentin ausbilden zu lassen; sie wollte sich rächen.

Die Motive der Frauen, ihr Leben aufs Spiel zu setzen, waren sehr unterschiedlich. Bei einigen spielte auch Abenteuerlust eine Rolle. Andere konnten nicht ertragen, wie Frankreich vor den Deutschen kapitulierte und wollten etwas dagegen tun. Es wurde bei ihrer Rekrutierung darauf geachtet, dass nicht ausschließlich persönliche Gründe eine Rolle spielten. Denn von impulsiven, unbeherrschten Persönlichkeiten ging Gefahr aus.

Alle Frauen wurden paramilitärisch ausgebildet, lernten mit Waffen umzugehen, wurden trainiert, Verfolger abzuschütteln und auch unter der Folter nichts preiszugeben. Monika Siedentopf beschreibt sehr anschaulich, wie aus den Frauen Agentinnen wurden. Vor allem mussten sie sich mit den Einzelheiten des französischen Alltags vertraut machen, um nicht aufzufallen. Sie kannten Frankreich in Kriegszeiten nicht. Sie mussten wissen, welche Produkte es noch gab. Bohnenkaffee war nur noch auf dem Schwarzmarkt zu bekommen. Wer das nicht wusste, geriet in Verdacht. In der Vorkriegszeit war es gang und gäbe, in einer Bar "un café noir" zu bestellen; wer dies jetzt noch tat, fiel auf. Denn in den Jahren 1942/43 gab es den Kaffee nur noch "noir", schwarz. Kaffeesahne war längst zu einem Luxusgut geworden, und die gebräuchlichste Bestellung hieß nun "un café".

Die Frauen waren keine Spioninnen. Die meisten leisteten Kurierdienste zwischen den zahlreichen Agentenringen und Widerstandsgruppen der Résistance, einige arbeiteten auch als Funkerinnen, nur wenige waren selbst an Sabotageaktionen beteiligt. Eine sprengte zwei Lokomotiven in die Luft, eine andere schlug eine Truppe deutscher Soldaten in die Flucht, mit Hilfe einer Partisanengruppe.

Monika Siedentopf porträtiert die 39 Frauen in der Reihenfolge ihres Einsatzes.
Die ersten Agenten waren noch Einzelkämpfer, mit Unterstützung durch die Widerstandsbewegung im Land konnten sie nicht rechnen. Einflussreiche Familien wie Industrielle, Bankiers, Anwälte und Ärzte begrüßten die Kollaboration der Vichy-Regierung mit den Nazis, auch der Klerus. Der Widerstand erstarkte erst später, als die Annehmlichkeiten des Alltags infolge der deutschen Kriegswirtschaft immer weniger wurden, und sich die Brutalität der Besatzer immer mehr offenbarte.

Etwa 400 Agenten wurden in Frankreich eingesetzt, etwa ein Viertel der Männer starben. Von den 39 Frauen überlebten 13 den Einsatz nicht. Sie wurden von der Gestapo oder vom Sicherheitsdienst verhaftet, gefoltert, monatelang gefangen gehalten, schließlich nach Deutschland deportiert und dort in Konzentrationslagern ermordet.

Dass ihr Schicksal nach dem Krieg überhaupt bekannt wurde, ist Vera Atkins zu verdanken, die jedem Agenten in den letzten Stunden vor seinem Einsatz in Frankreich zur Seite gestanden hatte, im militärischen Rang eines "Intelligent Officer" im Geheimdienst SOE (Special Operations Executive). Das Schicksal der Frauen, die ihr Leben für die Freiheit einsetzten, hatte sie menschlich sehr berührt. Nach dem Krieg forschte sie unermüdlich, um aufzuklären, wo die Vermissten geblieben waren. Drei hatten die Festnahmen und den KZ-Aufenthalt überlebt, 13 waren ermordet worden.

Zwei Kapitel befassen sich mit Verrat. Monika Siedentopf schildert, wie einer der Agenten schon früh unter dem Verdacht stand, für die Deutschen zu arbeiten, wie er sich aber immer wieder herauswinden konnte. Erst Jahrzehnte später, als auch Geheimdienstler anfingen zu reden, kam heraus, welch miese Rolle er gespielt hatte. Der britische Auslandsgeheimdienst M I 6 hatte ebenfalls seine Finger im schmutzigen Spiel, bei dem Hunderte Menschen geopfert wurden: Britische Agenten und Mitglieder der Résistance.

Monika Siedentopf porträtiert auch diejenigen, die ihren Einsatz überlebten. Eine Agentin war zwar in eine Straßensperre gekommen, gab aber das Funkgerät, das sie bei sich trug, einfach als Röntgenapparat aus und kam damit durch. Eine andere behielt die Nerven, als sie in einer Straßensperre einer Körperkontrolle unterzogen wurde. Eine dritte blieb äußerlich ruhig und sagte schlicht "merci", als ein deutscher Soldat ihre Handtasche aufhob, in der eine Pistole war.

Monika Siedentopf recherchierte in Personalakten, die erst seit wenigen Jahren der Öffentlichkeit zugänglich wurden. Außerdem hat sie sich zahlreicher weiterer Quellen, der Schilderungen Überlebender und der Literatur bedient, die über einzelne Agentinnen – meist in englischer Sprache – bereits erschienen ist. Die promovierte Historikerin hat eine solide Arbeit abgeliefert, die gut lesbar über ein fast vergessenes Kapitel im Zweiten Weltkrieg informiert.

Rezensiert von Annette Wilmes

Monika Siedentopf: Absprung über Feindesland. Agentinnen im Zweiten Weltkrieg
Deutscher Taschenbuch Verlag, München
198 Seiten, 20 Abbildungen, 14,50 Euro