"Kriegerklärung an die Arbeitnehmer"

Berthold Huber im Gespräch mit Michael Braun und Ulrich Ziegler · 28.11.2009
Der IG-Metall-Vorsitzende Berthold Huber hat General Motors wegen des Sanierungskonzeptes für Opel attackiert. Die Gewerkschaften würden sich nicht an einer unsozialen Sanierung beteiligen und zusätzliche Opfer bringen, sagte der Gewerkschafter.
Deutschlandradio Kultur: Die vier deutschen Opel-Standorte sind offensichtlich gerettet. Die Bundeskanzlerin begrüßt das Sanierungskonzept von General Motors. Die IG Metall spricht von einem "Schlag ins Gesicht der Arbeitnehmer". Herr Huber, warum denn so unterschiedliche Sichtweisen?

Berthold Huber: Weil die Einschnitte, die General Motors angekündigt hatte, gravierend sind, auch für die vier Standorte von Opel in Deutschland. General Motors spricht von insgesamt 10.000 Arbeitsplätzen, die hops gehen sollen, 60 Prozent davon in Deutschland. Das sind tiefe Einschnitte in Bochum. Das sind tiefe Einschnitte in Kaiserslautern und tiefe Einschnitte in Rüsselsheim

Deutschlandradio Kultur: Wir haben zu viele Autos.

Berthold Huber: Na ja, sicher, aber Opel ist nicht in diese Situation gekommen aus eigenem Verschulden, sondern weil General Motors in Insolvenz gehen musste im September letzten Jahres. Opel baut gute Autos. Opel hat zukunftsfähige Autos. Und ich weiß nicht, warum man gute Kapazitäten vernichten soll.

Deutschlandradio Kultur: Sie sagen, Opel habe gute Autos, aber die Geschichte von Opel ist doch eine Geschichte der Schrumpfung, auch der Schrumpfung von Marktanteilen. Muss man dem nicht auch gerecht werden, indem Standorte geschlossen werden, wo auch immer?

Berthold Huber: Dass wir Restrukturierungsmaßnahmen ergreifen müssen, das ist doch klar. Aber die Standorte können erhalten werden, wenn Opel – und das sieht das GM-Konzept nicht vor – Marktzugänge überall hat. Sie dürfen doch eines nicht vergessen: General Motors hat gesagt, Opel, du darfst nur mit Vauxhall zusammen in Europa verkaufen. In Russland darfst du nicht verkaufen. So sind auch Exporte nach Lateinamerika und nach USA nicht möglich.

So hat sich General Motors unliebsame Konkurrenz vom Hals gehalten und hat Opel eingekastelt in Europa. Sie wissen, dass wir als Betriebsräte und die IG Metall gesagt haben, wir wollen für die Opfer, wenn wir welche bringen – und wir werden welche bringen müssen – eine zehnprozentige Mitarbeiterkapitalbeteiligung. GM lehnt das generell ab. Auch das ist natürlich eine Kriegserklärung gegen die Arbeitnehmer.

Wir werden uns nicht an einer unsozialen Sanierung beteiligen. Wir werden nicht zusätzliche Opfer bringen. Die 265 Millionen, die wir Magna zusagt haben auf Basis des Magna-Konzeptes, wo es ja ein Memorandum of Understanding gab, sind für uns nicht akzeptabel. Wir werden das nicht preisgeben.

Deutschlandradio Kultur: Welche Handlungsspielräume haben Sie denn, wenn General Motors sagt, wir wollen nach dem Rasenmäherprinzip überall abbauen, wir wollen alle Standorte halten – die Kanzlerin findet es ja auch in Ordnung – und Arbeitnehmer sollen mitmachen?

Berthold Huber: Ich weiß nicht, ob die Kanzlerin das in Ordnung findet.

Deutschlandradio Kultur: Aber warum begrüßt sie es?

Berthold Huber: Die Kanzlerin begrüßt, dass wenigstens substantiell die vier Standorte in Deutschland erhalten bleiben. Ob sie das Konzept insgesamt begrüßt, habe ich von ihr noch nicht gehört. Vielleicht höre ich das nächste Woche.

Deutschlandradio Kultur: Raten Sie ihr denn zu, diese 3,3 Milliarden, die General Motors haben will, zu genehmigen?

Berthold Huber: Das muss die Politik entscheiden. Ich kann nur sagen, ohne Auflagen für GM ist das möglicherweise rausgeschmissenes Geld. Und ich kann davor nur warnen.
Es muss doch klare Pläne zur Restrukturierung geben. Es muss klare Aussagen geben hinsichtlich einer Planung über die neue Struktur. Das wollen wir mal abwarten. Wir werden uns mit Verzichten, von denen wir bei Magna immer ausgegangen sind, nur beteiligen und die aufbringen, wenn wir klare Planungen von GM haben für Opel. Ansonsten werden wir das nicht tun. Das hat nicht die Frau Bundeskanzlerin zu entscheiden.

Deutschlandradio Kultur: Dann nennen Sie doch mal diese klaren Planungen. Was muss passieren in der nächsten Woche, damit die IG Metall, damit die Arbeitnehmer sagen, ja, wir wollen konstruktiv zusammenarbeiten?

Berthold Huber: Aus heutiger Sicht sind das, dass wir eine eigenständige Entwicklungsverantwortung haben, dass Opel seine eigenen Modelle entwickeln kann, in Europa und nicht in Detroit sozusagen die Entscheidungen getroffen werden, was Opel für Autos bauen kann. Die besten Entwicklungskompetenzen haben wir in Rüsselsheim. Dann müssen wir auch die Chance haben, unsere eigene Opel-Modellpolitik zu machen. Das ist eine der Bedingungen, die wir formulieren.

Wir wollen endlich, dass Opel in eine AG umgewandelt wird – mit allen Rechten und Pflichten, die daraus erwachsen, unabhängig davon, ob GM jetzt 100 Prozent oder 35 Prozent, wie der vorhergehende Plan von Magna ausgesehen hat, beinhaltet. Selbständigkeit! Wir wollen endlich in die Freiheit entlassen werden, das zu treiben, was wir können, nämlich Automobile bauen, und zwar gute Automobile bauen. Und wir brauchen dann drittens auch den Zugang zu anderen Märkten. Das sind drei Grundbedingungen.

Und wenn wir Opfer bringen, was ich nicht ausschließe, dann wollen wir dafür eine Standort- und Beschäftigungssicherungsgarantie haben bzw. wir wollen am Ende des Tages auch dafür eine Mitarbeiterkapitalbeteiligung. Das sind die Bedingungen.

Deutschlandradio Kultur: Sie wollen eine Mitarbeiterkapitalbeteiligung. Sie haben die Mitbestimmung qua Mitbestimmungsgesetz. Kommen Sie da nicht in eine Mehrheitsbestimmung zu Lasten der Kapitaleigner rein und sind dann sozusagen der Eigentümer?

Berthold Huber: Wenn die Belegschaft Geld, das ihr zusteht, einbringt, dann muss es doch dafür eine Gegenleistung geben. Das ist doch kein freiwilliges Opfer, so wie bei der Caritas oder bei Misereor. Wir wollen dort dann diese Anteile haben. Wie wir damit umgehen, das ist dann eine Angelegenheit, die die Belegschaft entscheiden muss. Das hat mit IG Metall per se gar nichts zu tun.

Deutschlandradio Kultur: Kommen Sie nicht in eine Konfliktrolle? Wenn dann aus wirtschaftlichen Gründen heraus entschieden werden muss. Um das Unternehmen fortzuführen, muss zum Beispiel ein Standort geschlossen werden. Und dann muss eben die Mehrheit des Aktionariats dem zustimmen. Und die Mehrheit wäre dann bei der Gewerkschaft.

Berthold Huber: Die Gewerkschaft hat gar keine Mehrheit.

Deutschlandradio Kultur: Okay, dann muss also die Arbeitnehmerseite zustimmen, dass ein Standort geschlossen wird. Ist das etwas, was Sie anstreben – diese Macht?

Berthold Huber: Umgekehrt gefragt: Nach heutigem System können Standorte einseitig von der Unternehmensführung geschlossen werden. Ist das die bessere Situation? Nein! Wir haben es in anderen Bereichen geschafft – nehmen Sie bitte Volkswagen, wo über das Volkswagengesetz und die Verhandlungen, die wir über Jahre hinweg geführt haben vor 30, 40 Jahren -, dass Standorte nur geschlossen werden können mit einer Zweidrittelmehrheit. Und das hat Volkswagen genützt. Warum soll es Opel nicht nützen?

Deutschlandradio Kultur: Weil beispielsweise, wenn Sie sagen, in Saragossa und Eisenach beides mal der Corsa produziert wird.

Berthold Huber: Dürfen Sie nicht vergleichen.

Deutschlandradio Kultur: Warum sagen dann aber Automobilexperten…

Berthold Huber: Selbsternannte Autoexperten!

Deutschlandradio Kultur: Wie auch immer. Die Synergie würde letztendlich das Unternehmen mehr fit machen, als wenn sie überall nur mit der Rasenmähermethode arbeiten, überall 20 Prozent der Belegschaft abbauen.. Sie haben aber diese grundsätzlichen Kosten, weil sie alle Betriebe noch haben. Wenn Sie das bündeln, ist das nicht eher die Perspektive für das Unternehmen Opel in Europa?

Berthold Huber: Bei diesem Beispiel Saragossa/ Eisenach ist das Werk das geschlossen wird, Eisenach. Wir haben in Eisenach gar nicht die Kapazitäten, um den Corsa, der ja relativ hohe Stückzahlen hat, in Eisenach insgesamt zu produzieren. Wir sind in der Lage Eisenach und Saragossa mit rund 150.000 Fahrzeugen auszulasten. Beide Werke werden aufeinander zugehen müssen, was die Kapazitäten anbelangt.

Eisenach ist doch ein politischer Fall. Ich weiß nicht, ob die Frau Bundeskanzlerin, die im Osten aufgewachsen ist, diese deutsch-deutsche Einheitsikone preisgeben kann und will. Die IG Metall will das nicht. Und deswegen wird man mit Kompromissen leben können, müssen.

Deutschlandradio Kultur: Wenn Sie zu viele Autos produzieren, auch in Eisenach, müsste man dann nicht sagen, okay, 20 Prozent der Belegschaft muss dann mittelfristig umgeschult werden, um zukunftsfähige Arbeitsplätze zu bekommen?

Berthold Huber: Die Automobilindustrie steht sowieso vor einem großen strukturellen Wandel. Ich nenne nur ein großes Stichwort. Das sind die E-Cars, also die Elektro-Cars. Da wird auf die Belegschaften in allen Automobilunternehmen noch viel an Belastung zukommen, an Weiterqualifizierung usw., an neuen Arbeitsplätzen usw. usf.
Natürlich kann man die Dinge, die Sie ansprechen, nicht ausschließen, aber es ist doch ein Unterschied, ob man ein Werk dicht macht oder ob man ein Werk in eine neue Automobilwelt transferiert und transformiert. Das ist doch ein Unterschied.

Deutschlandradio Kultur: Haben Sie da den Eindruck, dass die Bundesregierung mit Ihnen ist, dass sie mitdenkt, dass sie darüber konkrete Formulierungen und Ideen hat, wie ein industriepolitisches Konzept für Deutschland aussehen könnte? Arbeiten Sie daran mit? Gibt es dieses?

Berthold Huber: Es gibt einzelne Elemente, kein Konzept, es gibt einzelne Elemente. Es gibt diese Initiative "Elektrifizierung der Automobilindustrie", ausgestattet, wenn ich es richtig im Kopf habe, mit 500 Millionen Euro, wo also der Staat unterstützt. Aber das ist ja nur ein kleiner Baustein. Ein wirkliches industriepolitisches Konzept hat die Bundesregierung nicht, hatte auch die alte Bundesregierung nicht – das will ich fairerweise hinzufügen. Und ich bin der Meinung und der Überzeugung, dass wir ein industriepolitisches Konzept unter der Fragestellung brauchen: In welchen Bereichen soll der Industriestandort Deutschland auch nach der Krise handlungs- und tragfähig sein? Was sind die Zukunftsinvestitionen in Zukunftstechnologien und Branchen, die wir brauchen?

Deutschlandradio Kultur: Sie reden über den Steinmeier-Plan, den er als Kanzlerkandidat vorgelegt hat.

Berthold Huber: Im Steinmeier-Plan hat es sehr viel gute Ansätze in dieser Richtung drin. Leider hat die Sozialdemokratie zu spät begriffen, dass Industriepolitik eigentlich ihre Domäne sein müsste. Und es ist der Versuch gemacht worden, im Deutschlandplan sozusagen stückweit das nachzuholen. Die dort formulierten Ansätze halte ich im Wesentlichen für richtig.
Darf ich nur drauf verweisen?

In Frankreich haben Sie mit diesem Thema überhaupt keine Probleme. Das ist Angelegenheit des Präsidenten Sarkozy. Es geht nur im Moment in Frankreich um die Frage, wie viel investieren wir dort? 50 oder 100 Milliarden Euro? Das beginnt von erneuerbarer Energie und hört auf in der Automobilindustrie. Die FDP hat solche Programme immer abgelehnt – man muss alles dem Markt überlassen. Und der Markt wird das nicht richten. Der Markt wird nur eines richten, dass es zu Lasten des Industriestandorts Deutschland ausgeht, zu Lasten von Beschäftigung und zu Lasten von Wohlstand.

Deutschlandradio Kultur: Aber Herr Huber, warum sind wir dann noch Exportweltmeister? Warum exportieren Unternehmen, wie Siemens und andere auch Umwelttechnologie in alle Länder der Welt? Die schaffen das auch aus eigener Kraft.

Berthold Huber: Na selbstverständlich, das müssen die auch aus eigener Kraft. Das würde ja alles nicht über staatliche Gelder und Infrastrukturprogramme organisiert werden können. Aber die Anreize zu geben, Initiativen zu machen – wir haben doch viel zu viel Industrie in den letzten Jahrzehnten verloren, haben keine Substanz. Das berühmte Beispiel: Unterhaltungselektronik, Kameratechnologien, die neuen Mobilfunktechnologien sind zu einem guten Teil in Deutschland entwickelt worden, nicht alles, aber zu einem guten Teil. Und ich fürchte, eine der Schlüsseltechnologien ist die Frage der Energiespeicherung. Dort haben wir in Deutschland gar nichts zu bieten. Das ist sozusagen der Jackpot.

Wenn Sie die Energiespeicherung nicht im Griff haben, dann sind Sie angewiesen auf Importe im größten Umfang. Ich will da nichts an die Wand malen. Die Chinesen sind uns in dieser Frage der Batterie- und Speichertechnologie zumindest zwei Schritte voraus. Und die deutsche Automobilindustrie als eine Lead-Industrie wird nur eine gute Zukunft haben, wenn man für die künftigen Fahrzeuggenerationen, das wird nicht nur in erster Linie der Verbrennungsmotor sein, sondern es wird das Elektroauto sein... Und Dazu brauchen Sie entsprechende Speichertechnologie.

Deutschlandradio Kultur: Was wäre denn der Beitrag der Arbeitnehmer, der Gewerkschaften zu solch einem industriepolitischen Konzept? Neue Industrien haben ja in der Regel am Anfang zumindest das Problem, dass sie nicht rentabel sind. Gibt’s da Beiträge, die die Gewerkschaften leisten können, Lohnverzichte?

Berthold Huber: Das ist hier überhaupt nicht der Ort, über Lohnverzichte zu reden. Es ist eher die Frage: Ja, was passiert denn mit den Arbeitsforderungen, mit den Qualifikationsanforderungen dann, wenn man so eine Entwicklung voraus denkt und nicht sagt, ja gut, die kommt in Wirklichkeit erst in zehn Jahren? Möglicherweise ist es dann zu spät. Sie brauchen neue Qualifikationen in der Arbeitnehmerschaft. Dazu müssen Sie die Arbeitnehmer qualifizieren. Und die IG Metall ist bereit, diese Prozesse zu tragen und zu unterstützen. Aber über Lohnverzichte reden wir ganz, ganz am Ende.

Deutschlandradio Kultur: Was heißt das denn, "wir sind bereit, das zu unterstützen"? Was heißt das konkret?

Berthold Huber: Wir müssen ganz neue Berufsbilder fabrizieren. Wir müssen Weiterbildungsangebote in den Betrieben machen. Wir müssen die Menschen aktivieren, dass sie dazu bereit sind. Das ist meiner Meinung nach aber der Schweiß der Edlen wert, selbstverständlich. Aber bittschön, nicht von Anfang an mit Lohnverlusten und Lohnverzicht!

Deutschlandradio Kultur: Die Bundesagentur und ihr Vorsitzender, Herr Weise, die sagen: Das genau tun wir im Moment. Wir nutzen diese Kurzarbeiterregelung, um die Leute vor Ort zu halten, aber auch, um sie zu qualifizieren. Und da versuchen wir alle Energie einzubringen. Ist Ihnen das zu wenig?

Berthold Huber: Die Bundesagentur bietet diese Möglichkeiten. Leider ist die Praxis so, dass wir lediglich zwei Prozent der KurzarbeiterInnen in Qualifizierungsmaßnahmen haben. Wir haben an der Stelle ein Defizit zu verzeichnen. Und ich sage nicht, dass das Angelegenheit der Bundesagentur ist. Es ist auch Angelegenheit der Unternehmen und der Betriebsräte und der Gewerkschaft. Ja.

Deutschlandradio Kultur: Wir haben diese Kurzarbeitergeldregelung mit dem Versuch, die Leute im Betrieb zu halten, aber immer auch mit der Maßgabe, wir wollen die Leute weiterqualifizieren und die Zeit nutzen. Findet das statt?

Berthold Huber: Ja, ich sag doch, das sind lediglich zwei Prozent.

Deutschlandradio Kultur: Und das ist zu wenig?

Berthold Huber: Ja natürlich ist das zu wenig.

Deutschlandradio Kultur: Was machen die anderen? Die qualifizieren sich nicht?

Berthold Huber: Es geht ja nicht darum, dass die Menschen in erster Linie sich nicht qualifizieren wollen. Die Zeit ist vorbei. Wir haben ja teilweise schon ein Jahr lang Kurzarbeit in manchen Bereichen – nehmen Sie den Nutzfahrzeugbereich. Wir haben in einzelnen Unternehmen über 100 Kurzarbeitstage. Das Ganze muss ja organisiert werden.

Die Bundesagentur ist willig, stellt Mittel bereit, aber organisieren müssen das die Betriebe. Und dort gibt es eine gewisse Gleichgültigkeit, Distanz. In Deutschland hat das Thema Weiterbildung keine hohe Konjunktur. Es ist ein stückweit besser geworden über die Krise und über die Kurzarbeitsregelungen, die existieren, aber es hat längstens nicht den Stand, der erforderlich wäre.

Deutschlandradio Kultur: Kurzarbeiterregelung mit wenig Fortbildungsinitiative, ist das vielleicht ein kleiner Hinweis darauf, dass die Kurzarbeiterregelung vielleicht einen großen sozialpolitischen Erfolg darstellt, weil die Arbeitslosigkeit eben nicht gestiegen ist, aber auch dass sie viel Beharrungsvermögen auslöst, dass also Strukturwandel, der durch die Marktkräfte angeregt werden müsste, jetzt gar nicht angeregt wird. Der Druck fehlt einfach. Ist das nicht die Gefahr einer immer wieder verlängerten Kurzarbeiterregelung?

Berthold Huber: Was ist die Alternative dazu? Die Alternative sind Massenentlassungen, das Teuerste. Und ich glaube nicht, dass man Menschen mit der Peitsche, nur mit Druck zu etwas bringt. Überall dort, wo die Unternehmensleitungen und die Betriebsräte sagen, wir machen Kurzarbeit, sind diese Qualifizierungsmaßnahmen während der Kurzarbeit ein Renner. Ich sage ausdrücklich: Beide müssen dazu kommen, die Arbeitnehmerseite, aber auch das Unternehmen und die Arbeitgeberseite. Und dann funktioniert das.

Deutschlandradio Kultur: Ist die Hoffnung realistisch, dass nach der Kurzarbeiterregelung der alte Stand wieder da ist, die alte Beschäftigung wieder da ist, konjunkturell die gleiche konjunkturelle Dynamik wieder da ist und die gleichen Menschen in der gleichen Branche, im gleichen Unternehmen mit der gleichen Arbeit wieder erfolgreich zu beschäftigen?

Berthold Huber: Das wird in einzelnen Betrieben oder einzelnen Unternehmen der Fall sein. Es wird aber nicht insgesamt der Fall sein. Nur wenn ich einfach rechne, das Auslaufen von Kurzarbeiterregelungen würde über kurz oder lang die Arbeitslosigkeit auf weit über vier Millionen Menschen steigen lassen, das ist keine gute Zukunftsaussicht für die Republik.
Die Frage ist dann schon: Was tut man in der Krise, um nach der Krise die Menschen qualifiziert zu haben? Ich glaube nicht, dass am Ende der Krise alles so sein wird, wie vor der Krise. Das hoffen nur Banker und Spekulanten.

Deutschlandradio Kultur: Wir wird’s denn dann nach dem Ende der Krise sein? Wir können ja diese Kurzarbeitergeldregelung nicht auf den St. Nimmerleinstag verstetigen, sondern müssen uns um Alternativen kümmern. Denn das kostet ja auch erheblich viel Geld. Die Unternehmen leiden und die Bundesagentur schreibt rote Zahlen.

Berthold Huber: Kurzarbeit bedeutet auch, dass man Zeit gewinnt. Also, wir haben ja einzelne Branchen und Bereiche. Ich nehme mal die Druckmaschinenindustrie. Dort gibt es massive Überkapazitäten. Das hat etwas mit dem geänderten Leseverhalten zu tun. Das Internet ist dazu gekommen. Neue Medien sind dazu gekommen. Zeitungen haben überall Auflagenverluste. Das bedeutet, dass wir an der Stelle Zeit brauchen, um erstens neue Unternehmen zusammenzubringen. Wir haben drei Weltmarktführer in Deutschland in der Druckmaschinenindustrie…

Deutschlandradio Kultur: .. und Heidelberger Druck wird im nächsten Jahr 1500 Stellen abbauen müssen.

Berthold Huber: Ja sicher. Aber die Frage ist: Was entsteht Neues? Unter diesen 1500 sind auch einige hundert Ingenieure, die man eigentlich woanders braucht, die man vielleicht umqualifizieren muss. Dafür brauchen wir Transfergesellschaften, wo die Leute auf ihre neuen Aufgaben ausgebildet werden. Das heißt, Kurzarbeit muss aktiv genutzt werden, um in neuen Feldern tätig zu sein.

Deutschlandradio Kultur: Ist das auch einer der Schwerpunkte der nächsten Tarifverhandlungen, die Sie anstreben im nächsten Jahr? Wird es dort eher um Löhne gehen oder wird es dort erst um Beschäftigungssicherung gehen, auch vor allen Dingen im Hinblick auf neue Industrien, die zu entwickeln sind?

Berthold Huber: Als Erstes steht, und das ist das Dringendste, das Thema Beschäftigung, nicht nur Beschäftigung bei den Älteren, sondern es steht auch das Thema Ausbildungsplätze und Übernahme ausgebildeter junger Leute im Vordergrund. Das werden die ersten Gespräche sein, die ja jetzt schon beginnen, weil wir nicht warten wollen bis Ende April. Und dann wird die Frage sein: Wie können wir die Reallöhne sichern? Primär ist das Thema Beschäftigung.

Deutschlandradio Kultur: Da gibt’s ja auch schon einen Vorschlag. Sie sagen: Wir könnten die Arbeitszeit reduzieren, damit alle im Boot bleiben. Also, beispielsweise die 28-Stunden-Woche in Betrieben, die gefährdet sind, aber keiner wird entlassen. Ist das die Zielmarke, mit der Sie auch ins nächste Jahr gehen?

Berthold Huber: Das ist eine Möglichkeit, ein Element, das man heranziehen sollte, wenn Kurzarbeit ausgelaufen ist.

Deutschlandradio Kultur: Und die Leute verzichten dann auf Lohn?

Berthold Huber: Wir haben ja den Tarifvertrag Beschäftigungssicherung erst seit 1994. Er macht möglich, in einem Unternehmen, das konjunkturelle Schwierigkeiten hat, die Arbeitszeit abzusenken auf 30 Stunden - bei Sicherung der Beschäftigungsverhältnisse. Und im gleichen Umfang werden die Löhne und Gehälter gekürzt.

Deutschlandradio Kultur: Ohne Ausgleich?

Berthold Huber: Ohne Ausgleich. Bei Stahl haben wir einen Ausgleich. Und wir wollen, wenn wir weiter runtergehen, für das Weiterruntergehen einen Teillohnausgleich haben. Und man muss mit den Arbeitgebern besprechen, in welcher Form dieser Teillohnausgleich und von wem erstattet wird.

Deutschlandradio Kultur: Kann der Staat das denn leisten? Ist das nicht auch ein Strukturwandel auf Kosten Dritter? Also, Sie rechnen immer fest mit dem Steuerzahler.

Berthold Huber: Da bezahlt der Staat gar nichts. Beim TV "Besch", Beschäftigungssicherung, zahlen ausschließlich die Arbeitnehmer, ausschließlich.

Deutschlandradio Kultur: Beim Kurzarbeitergeld zahlt der Staat schon.

Berthold Huber: Der Staat zahlt da bis dato gar nichts. Kurzarbeitergeld wird finanziert zumindest bis Ende 2009 aus den Beiträgen der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber.
Deutschlandradio Kultur: Plus Zuschüsse der Bundesregierung an die Bundesagentur für Arbeit. Die gibt’s ja auch.

Berthold Huber: Die kommen erst. Die Bundesagentur hatte Rücklagen über diese Beiträge von 17 Milliarden Euro, die möglicherweise Ende des Jahres, das sagt Herr Weise, aufgezehrt sind. Und dann braucht die Bundesagentur Kredite. Da ist die Rede von 16 Milliarden für 2010. Das sind Kredite, die die Bundesagentur irgendwann zurückzahlen muss.

Das wird dann am Ende des Tages nicht um eine Beitragserhöhung drum herum kommen, die ja von der Politik noch irrsinnigerweise im Dezember 2008 noch auf unter drei Prozent gesenkt worden ist. Und dann werden die Arbeitnehmer und die Arbeitgeber das wieder bezahlen. Das heißt, wir haben es hier mit einer Regelung zu tun, die nicht auf Kosten des Steuerzahlers geht.

Deutschlandradio Kultur: Also, dann werden wir im nächsten Jahr ziemlich harmonische Verhandlungen haben, denn Herr Kannegießer sagt ja auch, "wir brauchen einen Tarifvertrag für die Beschäftigungssicherung". Und dann machen Sie das in kurzer Runde und klären das und alle arbeiten 28 Stunden. Und so kommen wir über die Krise. Ist das die Parole?

Berthold Huber: Wir sind ja jetzt fünf Monate vor Auslaufen des Tarifvertrags. Warum sollte ich schon die Trommel rühren Ende November, wo wir noch fünf Monate vor möglichen Konflikten stehen. Ich bitt Sie. Herr Kannegießer und ich haben, weil er uns eingeladen hat, am Dienstagabend mit Herrn Jung gesprochen. Er hat was von Steuersubvention gesprochen.

Sorry, das ist irgendwie ein intellektueller Irrtum. Es geht nicht um Steuersubventionen, sondern es geht darum, dass bei einer Regelung, wo die Leute entlassen werden, der Steuerzahler am meisten zur Ader gelassen wird, weil es überhaupt keine Steuereinnahmen gibt.

Wenn wir Menschen in Beschäftigung halten, ob mit 35 oder 25, zahlen sie Steuern. Wenn das nicht mehr erwünscht ist und man sagt, nein, das wollen wir nicht, dann bedeutet das, dass wir mit Massenentlassungen konfrontiert sind. Und das ist das Teuerste auch für den Steuerzahler. Ich bitte doch, die Themen zu Ende zu denken, und zwar von der Ministerebene bis zur Arbeitgeberebene.

Deutschlandradio Kultur: Herr Huber, vor ziemlich genau zehn Jahren verkündete der damalige Bundeskanzler Schröder hier bei dem Baukonzern Philipp Holzmann, "wir haben Euch gerettet". Und wenig später war Holzmann Pleite. Quelle ist nun auch bald hinüber. Opel ist in der Debatte. Hat Herr Brüderle nicht doch Recht, wenn er sagt: Staatshilfen sind nicht das richtige Mittel?

Berthold Huber: Herr Brüderle folgt seinem eigenen Dogma. Das hat er schon vor 20 Jahren verkündet. Die Krise haben doch nicht die Arbeitnehmer und Opel verursacht. Die Krise ist doch gemacht worden auch durch die Untätigkeit des Staates hinsichtlich der Regulierung der Finanzmärkte. Das ist aus Profitgier passiert und weil der Staat seiner Aufgabe nicht nachgekommen ist, zu regulieren. Und Leute, wie Herr Brüderle, haben immer gewarnt vor der Regulierung durch den Staat. Auch heute ist das nur das Wiederherbeten der gleichen Parole. Ich kann dort nicht irgendeine intellektuelle Bemühung bei Herrn Brüderle sehen.

Das Wiederholen alter Parolen, das könnte ich auch. Opel ist nicht durch das Verschulden der Arbeitnehmer in diese Situation gekommen, sondern durch das Versagen eines Managements in Detroit, das schlicht und ergreifend Autos am Markt entwickelt hat und Opel teilweise über zehn Jahre traktiert hat, den gleichen Scheiß auch zu produzieren. Anders kann man es nicht sagen.

Deutschlandradio Kultur: Okay, dann bedanken wir uns ganz herzlich für das Gespräch, Herr Huber.

Berthold Huber: Ich danke Ihnen.