Kriege um Wasser?

Neues Konfliktpotential im Nahen Osten

Hedan Brunnenfeld, Jordanien
Wasser fliesst aus einem Wasserrohr auf dem Hedan Brunnenfeld, Jordanien. © imago/photothek
Moderation: Katja Bigalke · 27.08.2018
Der Jordan steht auch für zukünftige Wasserkonflikte auf der Welt. Massive Entnahme und Verschmutzung zwingen Israelis, Syrer, Jordanier und Palästinenser zur Zusammenarbeit, was kaum funktioniert. Auch anderswo droht Gewalt wegen Wasser.
Etwa drei Prozent des Wasserhaushalts der Erde besteht aus Süßwasser. Vor allem gebunden in Gletschern. Nur ein sehr kleiner Anteil existiert als flüssiges Süßwasser. Gleichzeitig wächst die Erdbevölkerung immer weiter, was schon 1985 Boutros Boutros Ghali, früherer UN-Generalsekretär, zu der Aussage bewog, dass der nächste Krieg im Nahen Osten um Wasser geführt wird. Eine These, die sich bisher nicht bestätigte, aber dieser Jahrhundertsommer hat die Lage wieder zugespitzt.

Palästinenser haben zu wenig Wasser

Martina Sabra hat die Menschen in der Region besucht, um zu erfahren, wie sie mit der knapper werdenden Ressource Wasser umgehen. Umweltschützer pflanzen nun andere Bäume, Landwirte müssen sich umstellen, was fehlt, ist eine gemeinsame politische Zusammenarbeit, die allen zufriedenstellend hilft. In der Konsequenz haben Palästinenser im Schnitt weniger Wasser zur Verfügung, als es die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt. Israel gibt die Schuld daran den palästinensischen Behörden.

Wassermanagement zur Kriegsverhinderung

Auch andere Anrainer-Staaten von Flüssen wie dem Mekong, dem Nil, Euphrat und Tigris oder dem Indus kennen diese Konflikte. Wie lassen sich künftige Kriege um Wasser verhindern? Martin Keulertz ist Dozent an der American University of Beirut für Wassermanagement im Mittleren und Nahen Osten.
Katja Bigalke: Im Jahr 1985 sprach Boutros Boutros Ghali, der später UN-Generalsekretär werden sollte, davon, dass die nächsten Kriege um Wasser geführt werden. Warum diese Prognose?
Martin Keulertz: Tatsächlich muss man sagen, dass diese Wasserkriegsrethorik in erster Linie aus Ägypten kam. Und das liegt einfach daran, dass die Ägypter in einer schwierigen Situation sind. Die sind am Unterlauf des Nils. Ganz unten ist das Nildelta und das ist tatsächlich die einzige Möglichkeit in Ägypten traditionell Landwirtschaft zu betreiben. Ägypten bekommt das Wasser einmal aus Äthiopien - aus dem blauen Nil - und aus den Ruanda-Bergen, was sich dann im Viktoria See in Karthum mit dem blauen Nil trifft und dann fließt es runter.
Ägypten hat damals, von den Briten ausgearbeitet, 80 Prozent des Nilwassers bekommen und der Sudan 20 Prozent. Jedoch muss man sagen, dass es nie gereicht hat. Im letzten Jahr hat Ägypten deutlich mehr bekommen, weil die Sudanesen ihr Wasser nie ganz ausgenutzt haben für die Landwirtschaft.
Und das Problem war einfach, dass Länder am Oberlauf wie Äthiopien und auch Uganda Ansprüche angemeldet haben: Wir möchten auch das Nilwasser nutzen. Und dann ist es so, dass man sich in den letzten Jahren darauf geeinigt hat, in Ätiopien einen Damm zu bauen. Einen Damm, der soviel Wasser zur Füllung braucht, wie der gesamte Nil im Assuanstaum-Damm in Ägypten bekommt. Das Problem ist dann, dass die Ägypter ganz einfach Angst bekommen haben oder immer noch haben, was passiert, wenn Äthiopien noch mehr Wasser nutzt.
Blick auf den Assuan-Staudamm in Ägypten.
Der Assuan-Staudamm in Ägypten.© picture alliance / dpa / Mike Nelson
Denn wir müssen uns beim Thema Wasser eines ins Gedächtnis rufen: Es ist die Landwirtschaft, die das Wasser verbraucht. Die Landwirtschaft zieht weltweit 70 Prozent der Wasserressourcen raus, 20 Prozent werden von der Industrie genutzt und zehn Prozent von den Haushalten.
Und das ist in Ägypten halt eine große Frage, denn Ägypten wächst auch in Bevölkerungszahlen. Momentan sind es 100 Millionen, die gehen auf 200 Millionen im Jahr 2100, der Sudan auch. Aber noch viel größer ist das Problem in den Oberlaufstaaten: In Uganda sind es jetzt 40 Millionen, künftig werden es dann auch 200 Millionen sein.
Bigalke: Das heißt die Situation wird sich zuspitzen. Davon kann man ausgehen – aber zu Kriegen ist es nicht gekommen. Warum?
Martin Keulertz: Bis jetzt ist es so, dass die Wasserkriege ausgeblieben sind, weil Wasser auch eine Ressource ist, über die man gut kooperieren kann zwischen den Staaten. Das heißt Äthiopien baut jetzt einen Damm und man könnte natürlich auch die Energie, die daraus gewonnen wird, nutzen zwischen den Anrainerstaaten. Da sind Möglichkeiten. Man kann auch im Flussbecken zusammenarbeiten. Es gibt die Flusskommission, die auch sehr stark von Deutschland unterstützt wird. Da gibt es genug Möglichkeiten zur Kooperation. Man muss versuchen, die Länder zusammen zu bringen, als nur auf ihr nationale Souveränität zu achten.

Irak: Kein Reisanbau mehr wegen Hitzewelle und Türkei

Bigalke: Wir haben zuvor über das Konfliktpotential am Jordan gehört. Etwas drastischer noch sieht die Situation im Irak aus. Da ist die Hitzewelle und anhaltende Dürre dieses Jahr so extrem, dass das Landwirtschaftsministerium wegen des geringen Wasserstands der Flüsse Tigris und Euphrat angeordnet hat, keinen Reis mehr anzubauen. Insgesamt ist die Hälfte der Agrarflächen im Irak nicht mehr nutzbar. Das ist ja nicht nur eine Folge des Klimawandels?
Martin Keulertz: Das Paradoxe am Irak ist, dass es eigentlich ein sehr wasserreiches Land ist. Jedoch hat die Türkei in den letzten Jahren Fakten geschaffen, indem sie den Oberlauf des Tigris mit Dämmen verbaut hat. Zudem ist die Türkei ein weltweit sehr wichtiger Produzent von wasserintensiven Früchten wie Baumwolle. In Deutschland wird von Textilkonzernen gerne in der Türkei produziert, zum Teil auch mit Wasser aus dem Euphrat und Tigris Becken.
In Basra am Unterlauf des Beckens sieht die Lage sehr dramatisch aus. Gerade in diesem Jahr ist weniger Wasser angekommen, was sicherlich nicht nur eine Folge des Klimawandels ist, sondern an der Nutzung des Wassers durch die Türkei liegt. Die Lage für Syrien und den Irak wird sich ja wahrscheinlich weiter zuspitzen, wenn die Türkei, woher die beiden Flüsse ja stammen, das Südostanatolien-Projekt fertigstellt, zu dem bereits 22 Staudämme gehören und noch weiter gebaut werden. Mit dieser Politik hat die Türkei eine zunehmende Kontrolle über das Wasser. Damit lässt sich auch ganz schön Druck ausüben, um Ziele in Syrien und im Irak durchzusetzen. Militärisch ist die Türkei deutlich stärker als der Irak oder Syrien. Wir erleben einen langsamen Hydrozid des Iraks, der übrigens auch von derzeit knapp 40 Millionen Einwohnern auf über 160 Millionen bis zum Ende des Jahrhunderts anwachsen wird.
Bigalke: Welche Szenarien halten Sie für möglich? Auch einen Krieg?
Martin Keulertz: Die Gefahr von lokalen Konflikten zwischen Bauern und Stämmen ist deutlich größer. Lokale Konflikte können auf die nationale Ebene hochschwappen, so dass am Ende eher innerstaatliche Konflikte wie Bürgerkriege erwachsen können. Zudem kann die Austrocknung ganzer Landstriche zu mehr Migration führen, was für Europa ein großes Problem darstellt.
Die Baustelle des größten Staudamms Afrikas, des "Grand Ethiopian Renaissance Dam" im Nordwesten von Äthiopien.
Die Baustelle des größten Staudamms Afrikas, des "Grand Ethiopian Renaissance Dam" im Nordwesten von Äthiopien.© picture alliance/ dpa/ Gioia Forster
Bigalke: Das Wettbauen von Dämmen scheint ja überall ein Problem zu sein. Auch der Umgang damit?
Martin Keulertz: Im Moment erleben wir eine Renaissance von Dämmen. Gerade am Mekong, am Nil und im Euphrat- und Tigris-Becken. Solange Dämme nur für die Energiegewinnung eingesetzt werden, ist dies ein oberflächlich betrachtet geringeres Problem. Jedoch sorgt der Klimawandel schon heute durch erratische Niederschläge dafür, dass manche Dämme gar nicht mehr funktionsfähig sind, weil sie leer sind. Sollte Wasser aus Dämmen zudem für die Produktion von landwirtschaftlichen Produkten genutzt werden, dann hat dies dramatische Konsequenzen für die schwächeren Länder am Unterlauf von Flüssen. Diese nutzen dann oft verstärkt Grundwasser. In trockenen Gebieten wie in Ägypten ist dies eine fossile Ressource, d.h. sie ist nicht erneuerbar und unter Umständen innerhalb von 30 bis 40 Jahren aufgebraucht. Ein Land ohne Grundwasser ist eins der gefährlichsten Szenarien für das 21. Jahrhundert, gerade in Ländern mit hohem Bevölkerungswachstum.

Pakistan und Indien sind Aushängeschilder

Bigalke: Gibt es auch gute zwischenstaatliche Beispiele im Umgang mit Wasser?
Martin Keulertz: Indien und Pakistan sind die Aushängeschilder. 1960 wurde mit Hilfe der Weltbank ein Vertrag ausgehandelt, dass Pakistan die östlichen Flüsse Indus, the Chenab und den Jhelum nutzen darf und Indien: Beas, the Ravi und den Satlej. Dieser Vertrag hat die Kriege zwischen Indien und Pakistan 1971 und 1999 unbeschadet überstanden, was den Erfolg des Abkommens zeigt. Dieses Abkommen wurde durch Kredite für Dämme aus den USA, Kanada, Großbritannien, Australien, Neuseeland und Deutschland in den 1960er-Jahren überhaupt erst möglich gemacht und hatte somit eine weltweite Dimension. Jedoch wird der Klimawandel auch auf dem indischen Subkontinent für große Fragen sorgen, ob die Verfügbarkeit von Wasser auch in Zukunft gewährleistet werden kann.

Bigalke: Wie ließen sich die Wasserkrisen lösen? Was muss passieren?
Martin Keulertz: Die Wasserkrise ist eine der größten Herausforderungen dieses Jahrhunderts. Sie bietet aber nicht nur Risiken und Gefahren, sondern auch Chancen. So werden Länder in wasserarmen Ländern ihre Landwirtschaft reduzieren bzw. anpassen müssen. Feldfrüchte wie Weizen oder Reis werden nicht mehr im Nahen Osten angebaut werden können. Diese wird man importieren müssen aus wasserreicheren Regionen der Welt wie z.B. aus Südostasien für Reis oder Nord-Südamerika, Australien, der Schwarzmeerregion und Russland. Da gerade Nordamerika und Australien an ihre Kapazitätsgrenzen stoßen werden und Südamerika auch Ziel von Direktinvestitionen aus China ist, wird die Rolle Russlands als geostrategischer Lieferant von Weizen zunehmen. Russlands Rolle im Nahen Osten ist somit auf Dauer sehr entscheidend für die Ernährungssicherung.
Ferner gibt es technologische Möglichkeiten Gemüse und Früchte auch in wasserarmen Regionen durch Hydrokulturanbau wassereffizienter anzubauen. Diese Technologie ist aber recht teuer, d.h. entscheidend ist eine Diversifizierung der Volkswirtschaften. Als gutes Beispiel dient Singapur. Singapur hat nur fünf Prozent eigene Wasserressourcen, 95 Prozent müssen sie importieren. Singapur hat einen starken Dienstleistungssektor und kann sich somit strategische Lebensmittelimporte sowie neueste Technologien leisten. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass wasserarme Länder sich weg von agrarbasierten Ökonomien bewegen müssen und industrialisieren müssen. Der entscheidende Schlüssel im Kampf gegen die Wasserkrise ist also ein starker Bildungssektor. Dies klingt verwunderlich, ist aber der einzige Weg, den Deutschland und Europa konstruktiv mitbegleiten sollten.
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