Krieg ist überall

Von Carsten Probst · 26.03.2011
In den virtuell geführten Kriegen unserer Zeit verschmelzen Spiel und blutige Realität. Wie die Kunst auf diese Entwicklung reagiert, zeigt die Ausstellung "Serious Games" in Darmstadt.
Die psychologische Vorbereitung der US-Army für ihre Soldaten im Irak und Afghanistan sieht ungefähr genau so aus, wie man sich das im Klischee vorstellt – zu besichtigen derzeit in der Ausstellung "Serious Games" in Darmstadt: Junge Soldaten sitzen an Laptops und dirigieren gemeinsam ein virtuelles Aufklärungskommando durch eine Wüstenlandschaft auf der Jagd nach feindlichen Kämpfern, die der Ausbilder an wechselnden Punkten im Spiel platziert hat. Aus der Perspektive eines Panzerwagens mit Maschinengewehr kommt es immer wieder zur Feindberührungen, genau wie im richtigen virtuellen Ego-Shooter-Leben. Wird man selbst getroffen, endet das Spiel oder man darf wieder von vorn anfangen.

Die mehrteilige Installation dieser "Ernsten Spiele" in der Darmstädter Ausstellung geht auf die originäre Software des Virtual Iraq Training Program der US-Armee zurück und wurde vom altgedienten Medienkünstler Harun Farocki und seiner Kollegin Antje Ehmann mit eigenen Videos der auszubildenden Soldaten ergänzt, gleichsam um die zwei Ebenen der Realität visuell erlebbar zusammenzufügen. Beide haben zugleich das Grundkonzept dieser Schau erarbeitet. Farocki war bereits Anfang der 90er-Jahre von den frühen Bildern der virtuellen Kriegsführung fasziniert gewesen, wie sie im ersten Irakkrieg überliefert wurden, Bilder der eingebauten Kameras von zielsuchenden Raketen, die einst den Mythos der chirurgischen Luftschläge begründeten.

"Diese Bilder der 'klinischen Kriegsführung' haben mich dann sehr beschäftigt in den ersten Jahren des Jahrzehnts. Dann wollte ich aber wirklich nichts mehr damit zu tun haben. Bis eben vor zwei, drei Jahren ein Mitarbeiter von mir, Matthias Reimann, einfach einen Ausschnitt schickte, dass die amerikanische Armee zu therapeutischen Zwecken eine videospielähnliche Szenerie entworfen hat, in der traumatisierte Personen, die Szene, die Urszene ihres Traumas bestimmen können und sich vorspielen lassen und damit veranlasst werden sollen, von dieser Geschichte noch einmal zu zeugen. Und es ist so erstaunlich, dass so ähnliche Bilder benutzt werden, um auf den Krieg vorzubereiten, wie auch den Krieg nachzubereiten."

Spätestens mit den vom heimatlichen Büroschreibtisch aus gesteuerten Kampfdrohnen, die im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet Taliban-Kämpfer aufspüren und per Mausklick liquidieren, ist die Plug&Play-Ästhetik des virtuellen Krieges, die Verschmelzung von Spiel und blutiger Realität perfektioniert – so legen es jedenfalls auch manche Beiträge im prominent bestückten Katalog nahe. Die Ausstellung selbst verfolgt die mittlerweile breit ausgetretenen Pfade dieser These allerdings nicht. Sie verzichtet darauf, den Besucher in einen technologischen Danse Macabre zu verwickeln. Stattdessen zielt sie eher auf die Frage, was die Bilder überhaupt wert sind, die vorgeben, ein reales Geschehen zu vermitteln. Worin besteht die Information? In der kritischen Distanz? Gar in der Aufklärung? Oder in der Mobilisierung an der Heimatfront?

"Es gibt zu viele Bilder, die tautologisch sind, wie man so sagen könnte, was in der Zeitung und in der alltäglichen Kommunikation auch nicht zu vermeiden ist. Die vielen Arbeiten, die manchmal explizit medienkritisch sind, die tragen zu einer solchen Lesefähigkeit hoffentlich bei."

Aufklärung lässt sich in den Zeiten der Virtualisierung oft nur noch durch Ironisierung des Bildes als pädagogisches Medium erreichen. Alice Creischer und Andreas Siekmann veranschaulichen den engen Zusammenhang von Kriegsführung und kapitalistischem Mehrwert am Beispiel der Gewinnung von Coltan im Kongo, eines seltenen Metalls, das für die Herstellung von Handys gebraucht wird. Creischer und Siekmann demonstrieren die reiche Verquickung militärischer und wirtschaftlicher Interessen durch ein großes, piktogrammartiges Schaubild, das die ökonomische Logik des Krieges seinerseits in eine Art Spielplan verwandelt. Der ägyptische Künstler Basim Magdy hat in Kairo Denkmäler fotografiert und zu einem Tableau angeordnet, das die Folklore des Krieges mit den Mitteln der Pop Art vorführen will. Ralf Beil, Direktor der Mathildenhöhe und Co-Kurator der Ausstellung:

"Und diese Denkmäler sind eben so kurios, weil dort eben reale Kriegsobjekte – also wirklich Flugzeuge, das sieht aus wie Modelle, aber das sind reale Denkmäler in Kairo, Flugzeuge, Haubitzen, Panzerfahrzeuge – dort aufgestellt sind und an den Jom-Kippur-Krieg erinnern, also an den letzten Krieg, den Ägypten gegen Israel geführt hat. Und für mich ist das einfach ein schlagendes Beispiel, wie die Durchmilitarisierung der Gesellschaft in Ägypten eigentlich seinen Ausdruck findet in diesem Denkmalskult, die vielleicht bei uns durch das lange währende Mubarak-Regime mit den Ausflügen ans Rote und Tote Meer eigentlich doch relativ verharmlost wurde."

Auch wenn man gerechterweise hinzufügen sollte, dass die Durchmilitarisierung der Gesellschaft in den 70er-Jahren bei weitem kein rein ägyptisches Phänomen gewesen ist und die Verharmlosung von Waffen im Westen zu dieser Zeit zum politischen Grundton des Kalten Krieges gehörte – letztlich erweist sich der Umgang mit den Bildern des Krieges immer als Teil der politischen Ikonografie eines Staates, ganz egal, ob sie in Computerspielmanier oder als vermeintliche Reportage daherkommen. Die aktuellen Bilder sowohl ästhetisch, als auch politisch lesen zu können, ist die Kernkompetenz, auf die es ankommt. Manche leiten daraus den einzigen wahren Sinn von heutiger Kunstwissenschaft ab. Dass die Darmstädter Ausstellung gerade von der Tagesaktualität in Nordafrika eingeholt wird, unterstreicht diesen Aspekt nur.