Kreative Szene in Russland

Keine Kunst für Wladimir

Eine Büste des russischen Präsidenten Wladimir Putin
Staatsnah: Eine Büste, angelehnt an einen römischen Imperator, des russischen Präsidenten Wladimir Putin in St. Petersburg. © picture alliance / dpa / Foto: Anatoly Maltsev
Von Elisabeth Nehring · 17.11.2015
Immer mehr Künstler arbeiten in Russland staatsnah, wer sich kritisch äußert, muss hingegen mit Repressionen rechnen. Das gilt auch für den Aktionskünstler Piotr Pawlenski. Er war zum Nordwind-Festival in Berlin und Hamburg eingeladen, sitzt aber jetzt in U-Haft.
Protestgesten haben einen unschlagbaren Vorteil: sie sind international verständlich, weil: immer gleich. Ob die gen Himmel gereckte Faust oder eine ausholende Wurfbewegung mit dem Arm – auf der ganzen Welt nehmen Protestierende die gleichen Positionen ein. Und so kann die russische ZIP Group ihre "Protest Aerobic" auch überall auf der Welt aufführen – mit nur einem kleinen Unterschied: an einem Ort wie dem Brandenburger Tor wird sie dafür nicht verhaftet.
Ganz anders in Krasnodar, tief im Südwesten Russlands: Aktionskünstler Eldar Ganeev und seine drei jungen Kollegen provozieren auch mit – zumindest aus westlichen Augen – harmlosen Performances Reaktionen der Staatsgewalt. Wie z.B. mit B.O.P. "Booth for One-Men-Picket" – in etwa: "Stand für einen Ein-Mann-Vorposten" – eine Aktion, bei der sich Eldar Ganeev 2013 in einer Holzkabine auf einem öffentlichen Platz in der Nähe von Regierungsgebäuden eingerichtet hatte und mit kurzen, kritischen Slogans auf Missstände in Russland hinwies.
"Nach nur 40 Minuten kam die Polizei und hat mich befragt; sie haben ein Gesetz rausgesucht, dass passen könnte, um mir die Aktion zu verbieten. Sie haben argumentiert, der Holzstand störe die öffentliche Ästhetik und würde nicht ins Bild passen. Ich habe entgegnet, dass solche Aktionen erlaubt sind, und dass ich sogar eine Kopie des entsprechenden Gesetzes bei mir hätte. Aber es hat nichts genützt, ich wurde für einige Stunden verhaftet und der Stand wurde beschlagnahmt. Ein ganzes Jahr stand er bei der Polizei, wo er auf terroristischen Gebrauch untersucht wurde."
Die vierköpfige ZIP Group hat sich 2009 gegründet und betreibt in Krasnodar so etwas wie Pionierarbeit für zeitgenössische Kunst. Eine Insel politischer Aktionskunst seien sie in ihrer Provinz, umgeben von einem Meer aus traditionellen Kosakenchören, meint Eldar Ganeev und vergisst nicht darauf hinzuweisen, dass die boomende Kunstmetropole Moskau immerhin ganze 1400 Kilometer entfernt sei.
Überall in Russland kollidieren Künstler mit den Behörden
Doch egal, wo man derzeit in Russland hinschaut, überall kollidieren Künstler, die sich direkt politisch äußern, mit den russischen Behörden. Ganz abgesehen davon, dass es für kritische Geister nahezu unmöglich geworden ist, am öffentlichen Fördersystem teilzunehmen. Alexey Markin von der russisch-ukrainischen "Kooperative für kreative Recherche" über seine Beobachtungen.
"Esexistiert zwar ein Fördersystem für die Künste in Russland, aber es ist immer an politische Fragen gebunden. Wenn man nichts Kritisches über Politik sagt, ist es einfach, an Gelder zu kommen. Und noch einfacher, wenn man öffentlich bekennt, mit der aktuellen politischen Linie einverstanden zu sein oder sie unterstützen zu wollen. Und natürlich gibt es viele Künstler, die sich plötzlich sehr patriotisch geben."
Als Beispiel führt Alexey Markin den geplanten Bau einer riesigen Statur des heiligen Wladimirs an. Sie soll mitten in Moskau in der Nähe des Kremls aufgestellt werden.
"Das finde ich witzig, denn es soll zwar um den Heiligen Wladimir gehen, aber die Parallele zu Wladimir Putin ist ja offensichtlich. Aus westlicher Sicht würde man das nicht als zeitgenössische Kunst bezeichnen, aber es ist Kunst, die heute in Russland produziert wird. Und es ist auch ein Beispiel für politische Kunst – im negativen Sinne, als dumme, politische Propaganda."
Immerhin konnten vehemente Proteste verhindern, dass der heilige Vladimir so riesig wie der Christus in Rio de Janeiro ausfällt und gleich neben die Universität gestellt wird. Für Alexey Markin ist dieser kleine Erfolg ein Zeichen, dass Kunst, bzw. die Debatten rund um Kunst in Russland durchaus etwas bewirken können. Und er beobachtet noch etwas anderes:
"Es ist interessant zu sehen, dass eigentlich traditionelle Kunstformen plötzlich für aktuelle gesellschaftliche Debatten genauso wichtig werden, wie es die zeitgenössische Kunst schon lange ist. Seit vor etwa einem Jahr der Direktor der Oper in Nowosibirsk wegen einer angeblich blasphemischen Tannhäuser-Inszenierung aus seinem Amt entlassen wurde, ist die Oper dafür das beste Beispiel. Plötzlich merken wir, dass auch klassische Künste wie Oper oder – als Gegenbeispiel – eine Skulptur auf einmal politisch aufgeladen werden. Das ist für mich gerade das Charakteristischste an der russischen Situation."

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