Kreative Bildung

Wenn das Schöpferische abhanden kommt

Ein Schüler einer dritten Klasse der Evangelischen Grundschule in Frankfurt (Oder) meldet sich beim Deutschunterricht, aufgenommen am 14.01.2009.
Kind meldet sich brav - Kreativität wird in der Schule kaum gefördert © dpa / picture alliance / Patrick Pleul
Von Petra Vohland  · 04.09.2014
In der Bildungsdebatte geht es meist um mathematische Kompetenzen und weniger um die Frage der künstlerischen Bildung. Die wird im alltäglichen Lernbetrieb all zu oft vernachlässigt, kritisiert die Künstlerin Petra Vohland.
Ohne Probleme füllen Kinder bis zum fünften Lebensjahr große Formate mit ihren Phantasiewelten aus. Das Abgebildete kann für mich noch so rätselhaft sein, sie wissen immer genau, was sie dargestellt haben und erklären es mir geduldig und unbeschwert.
Bereits in der Vorschulgruppe kann so ein kleiner Geselle völlig verzweifeln, weil seine Hand motorisch noch nicht so weit entwickelt ist, um ein Rad zu zeichnen, und der Stift partout ein Viereck oder noch schlimmer immer nur ein Dreieck zustande bringt. Je nach Temperament drückt sich die Selbstbewertung von Wutausbruch bis zu Tränen aus.
Damit sich die Feinmotorik stabilisiert
Die Stillen und Geduldigen vertrauen unbeirrt ihrer Gabe und fertigen in völliger Zuversicht ihre Bilder, äußerst zufrieden mit den Ergebnissen. In diesem Alter entsteht kompositorisch das Großartigste, von so reicher Kreativität, in Farbverteilung, Gewichten und wahnsinniger Sinnlichkeit der Linienführung, dass einem das Herz aufgehen kann.
Und vor allem bedarf es kaum eines helfenden Hinweises. Das Wichtigste ist vielmehr diesen spontanen, noch lustvollen Kreativitätsprozess vorsichtig und behutsam zu nähren und zu erhalten. Dazu gehört: zu bestätigen, das zu sehen, was man sehen soll, und natürlich rein handwerklich zu erklären und zum Üben anzuleiten, damit die kindliche Feinmotorik sich stabilisiert.
Denn diese Phase währt nicht lange. Mit der Schule beginnen gravierende Veränderungen. Kinder, die zuvor ohne Probleme ihre Ideen malten und zeichneten, kommen plötzlich mit der Formatgröße nicht mehr zurecht. Sie setzen ihre klein gewordenen Motive meist in eine der unteren Ecken oder verlangen kleinere Blätter. Nach nur wenigen Strichen fragen sie, was sie nie zuvor fragten, ob dies so richtig sei.
Plötzlich rutscht die Kreativität weg
Neu ist auch die Frage, was sie denn zeichnen sollen. Oder die sperrige Aussage: "Ich weiß nicht weiter". Dem Schüler gelingt es immer weniger, aus seiner Phantasie heraus eine Idee zu entwickeln, aufs Blatt zu bringen und weiter zu verfolgen. Am liebsten sieht er es, wenn er Vorgaben erhält und nur noch ausführen soll.
Zunehmend fällt es ihm schwer, an einer Arbeit dranzubleiben, sich intensiv mit Inhalt und Ausführung auseinander zu setzen. Immer wieder fängt er etwas Neues an, ohne das gerade Bearbeitete zu einem Ergebnis zu bringen, das ihn selbst zufrieden stellt. Die Kreativität rutscht weg. Und es wird zu einem Kraftakt, sie zu erhalten oder wieder zu aktivieren, wo sie verschüttet ist.
Mit dem Beginn der Pubertät stellt sich dann das Bedürfnis ein, das Reale möglichst genau abzubilden: ein Pferd soll auch wie ein Pferd aussehen und nicht wie eine Kuh. Es ist für sie nicht mehr die Erfüllung, ein Bild zu fertigen, das ihnen gefällt. Sondern sie wollen in ihren Arbeiten dem Naturvorbild möglichst nahe kommen.
Die Nana-Figuren sind ihnen peinlich
Die jüngeren Kinder klagen darüber, dass sie sich in der Schule mit abstrakten Arbeiten beschäftigen müssen. Die Nana-Figuren der französischen Bildhauerin Niki de Saint Phalle sind ihnen peinlich. Die größeren Schüler wiederum verstehen das Gipsen, Drahten und Bekleben von Turnschuhen mit CD's als sinnlosen Gaudi. So wiederholt sich mit dem Heranwachsen diese Unlust am Experimentieren und Abstrahieren.
Dem zu begegnen, wird erneut zum Kraftakt, der mit einem umfassenden Studium der Natur, der Dinge und seiner Funktionen beginnt, also mit Grundlagen des Handwerks. Darauf aufbauend führt dann Kreativität zu einem vorsichtigen Tasten, das Naturabbild auf dem Zeichenblatt bewusst künstlerisch zu gestalten und phantasievoll zu verfremden.
Wir sollten es ernst nehmen, den Kindern und Jugendlichen dieses Angebot einer klassischen Grundausbildung des bildnerischen Gestaltens nicht zu versagen.
Petra Vohland 1953 in Zwickau geboren, studierte in Dresden an der Hochschule für Bildende Künste. Sie arbeitet als Graphikerin, Malerin und Kunstdozentin, ist Gründungsmitglied der "Dresdner Sezession 89", sitzt im Vorstand des Dresdner Künstlerbundes und gehört zur Geschäftsführung einer Jugendkunstschule.
Selbstportrait von Petra Vohland, 1953 in Zwickau geboren, studierte in Dresden an der Hochschule für Bildende Künste. Sie arbeitet als Graphikerin, Malerin und Kunstdozentin, ist Gründungsmitglied der "Dresdner Sezession 89", sitzt im Vorstand des Dresdner Künstlerbundes und gehört zur Geschäftsführung einer Jugendkunstschule.
Selbstportrait von Petra Vohland© Petra Vohland