Kreativ für die Kirche

Die Siegelcaroline

Taube als Symbol des Heiligen Geistes an der Decke der evangelischen Kirche Oberbobritzsch, KBZ Freiberg, Sachsen.
Das passende Symbol für die Gemeinde hat die Siegelmacherin Caroline Rüss gesucht. Hier: die Taube als Symbol des Heiligen Geistes. © dpa / Oettel
Von Gunnar Lammert-Türk · 30.07.2017
Die heute 90-jährige Caroline Rüss war zu DDR-Zeiten die einzige, die Siegel für evangelische Kirchengemeinden in Brandenburg und Ost-Berlin angefertigt hat. Etwa 200 Kirchensiegel hat sie kreiert.
"Im Konsistorium hieß ich die Siegelcaroline, so haben die mich da getauft."
Der Spitzname, den die Mitarbeiter der Kirchenbehörde Caroline Rüss seinerzeit gaben, kam nicht von ungefähr. Denn die heute 90-Jährige war zu DDR-Zeiten in der evangelischen Kirche von Brandenburg und Ost-Berlin die Einzige, die Entwürfe für Siegel von Kirchengemeinden anfertigte.
Wie sie dazu kam, weiß sie selbst nicht mehr so genau. An der Seite ihres Mannes, des Pfarrers Bernhard Rüss, war sie voll eingespannt in die Arbeit der Pfarrgemeinde von Rohrbeck im Havelland. Nur gelegentlich kam die ausgebildete Grafikerin dazu, sich künstlerisch zu betätigen.
"Ich hatte Linolschnitte gemacht von meinen Kindern, so die kleinen Stöpsel, der Christian, der Pfarrer spielte mit Vaters Barrett und mit dem Altar, den er sich da zurecht frisiert hatte. Und dann gibt es eins, wo die Ulrike auf dem Fensterbrett steht und den Vorhang so hochzieht und sagt: Halleluja die ganze Welt. Die Kirchenzeitung hatte das erwischt – und auf dem Wege ist das wohl ins Konsistorium geraten."
Ob es die Linolschnitte ihrer Kinder waren oder die Bildgeschichten der Missionsreisen des Apostels Paulus, die sie für die Kinderseite der Kirchenzeitung schuf – ihre Begabung blieb dem Konsistorium nicht verborgen. Die war gefragt, als die noch aus der Kaiserzeit stammenden Siegel der Kirchengemeinden durch neue ersetzt werden mussten.
Das Rüstzeug für die Gestaltung von Siegeln hatte sich Caroline Rüss durch ein Studium an der Hochschule für bildende Künste in Berlin-Charlottenburg erworben. Einer ihrer Lehrer war Ernst Böhm.

Reduktion auf das Wesentliche

"Der hatte schon in den Zwanzigerjahren unsere damaligen Fünf- und Zehnpfennig-Geldstücke entworfen. Ich habe noch welche davon, weil er uns anhand dieser Geldstücke klargemacht hat, was man an Unrealistischem aus optischen Gründen manchmal machen muss, da sind nämlich halbe Getreidehalme, und da sind mehr Halme als Köpfe, weil das rhythmisch nicht anders geht. Das hat er uns als Beispiel gezeigt und das ist mir eingeprägt geblieben als Richtschnur: Du kannst nicht immer nur Natur machen, sondern: du musst den Sinn der Sache erfassen."
Die Reduktion auf das Wesentliche, die Verbindung von grafischer Schönheit und Prägnanz lernte Caroline Rüss am Beispiel von Münzen und Wappen. Für die neu zu entwerfenden Siegel las sie viel über Heiligenattribute in der christlichen Bildwelt, um passende Motive für die Kirchengemeinden zu finden und regte diese an, sich mit ihrer Geschichte und der des jeweiligen Ortes zu befassen, um Ideen für den Siegelentwurf zu entwickeln. Nicht selten mangelte es den Pfarrern an Fantasie dafür. Caroline Rüss gibt ein Beispiel:
"Der Pfarrer wollte ein Kreuz drauf haben. Ich sag, Herr Pfarrer können wir nicht nochmal ein bisschen persönlicher an Ihre Gemeinde herangehen? Es war nichts zu machen und ich habe mich dann schließlich entschlossen, das Schiff der Kirche… Da war damals dieses Lied: Ein Schiff, das sich Gemeinde nennt. Dachte ich, da wird er doch vielleicht irgendwie anspringen. Und die für mich völlig verblüffende Antwort war: Bei uns ist kein Wasser, da kann kein Schiff fahren."
Der Pfarrer dachte nur an den kargen Sandboden seiner Brandenburger Dorfgemeinde. Caroline Rüss setzte ihren Vorschlag nach längerer Überzeugungsarbeit dann doch durch. Nicht immer verlief die Entstehung des Siegelbildes so mühevoll.

"Eine Marke der Gemeinde"

Manchmal half auch ein Besuch vor Ort, wie im Fall der Georgen-Parochial-Gemeinde in Berlin, einem Zusammenschluss von zwei Gemeinden.
"Was soll man aus diesen beiden zusammen nun machen, dass beides da ist? Und das wurde mir erst klar, als ich in der Parochialkirchenruine drin stand und diesen Vierpass als Grundriss erlebte. Und dadurch hab ich das auf diese Weise zusammengesetzt, den Grundriss von Parochial und innen hinein den Georg. So entstehen die Dinge. Also ich musste dann eben hinfahren, gucken, was ist da, wie ist es. Und daraus ergibt es sich erst."
Im Siegel der neuen Gemeinde fanden so der Drachentöter der Georgengemeinde mit dem Grundriss der kriegszerstörten Parochialkirche zusammen. Für die Funkstadt Nauen kombinierte Caroline Rüss drei Funkmasten mit dem Kreuz. Typisierte Bilder örtlicher Eigenheiten, für Bibelstellen, Heiligensymbole, Wappenzeichen von Patronen waren das Material, aus dem sie die Siegel schuf, diszipliniert und voller Hingabe. Ihre Kinder erzählten ihr später…
"…wie sie das erlebt haben, wie ich am Schreibtisch gesessen habe, dass sie das einfach fasziniert hat, dass ich da gesessen habe bis in die tiefe Nacht. Die Dörfler sagten: Wann schlafen Sie eigentlich? Bei Ihnen ist immer Licht! Da hatte ich abends ja Ruhe, drei Kinder wollen versorgt werden in jeder Beziehung, und sie waren nicht gerade sehr zahm, sie waren alle drei sehr lebhaft und ließen sich viel einfallen."
Viel einfallen ließ sich auch die Siegelcaroline. Etwa 200 Kirchensiegel hat sie seit den frühen 1960er-Jahren kreiert. Unermüdlich durchforschte sie dafür Gemeindegeschichten, suchte passende Motive, überwand mit Kenntnis, Zähigkeit und Fantasie manchen Widerstand. Schön sollten ihre Siegel sein, etwas Typisches zum Ausdruck bringen. Bis heute sind Siegel für sie:
"Eine Marke der Gemeinde, die dadurch aussagt, so verstehe ich mich, und das kann man dann auch ablesen, wie viel Gedanken da drin sind."
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