Krankheit als Chance

Rezensiert von Kim Kindermann · 25.05.2005
Schauen wir der Tatsache in Gesicht: Jeder, wirklich jeder von uns, wird im Laufe seines Lebens irgendwann einmal krank werden. Spätestens wenn man älter wird, ist es vorbei mit der allumfassenden Gesundheit und man wird geplagt von akuten oder chronischen Krankheiten wie Rheuma, Migräne oder Rückenschmerzen.
Kurz: Krankheit gehört zum normalen Leben einfach dazu, sagen zumindest Farideh Akashe-Böhme und Gernot Böhme in ihrem Buch "Mit Krankheit leben. Von der Kunst, mit Schmerz und Leid umzugehen."

Dabei sind die Soziologin und der Philosoph bei weitem keine Schwarzmaler, ganz im Gegenteil, sie wollen den Leser vielmehr dazu ermutigen, nicht mit seiner Krankheit zu hadern, nach dem Motto "Warum gerade ich?", sondern aktiv und bewusst damit umzugehen. Dabei spezialisieren sie sich nicht wie sonst in der Ratgeberbranche üblich auf eine einzelne Krankheiten, sondern sie behandeln Krankheit allgemein als gesellschaftliches Phänomen. Und genau das ist die Stärke des Buches.

Dazu, so schreiben sie, ist es zunächst notwenig das Verständnis von Gesundheit zu modifizieren: Anders als die von der WHO vertretene Auffassung Gesundheit als "Freisein von Krankheit" zu definieren, betrachten sie das Leben vom Kranksein aus und fordern daher, dass Gesundheit "eher als Fähigkeit verstanden werden muss, mit Behinderung und Schädigung zu leben." Sprich: Nur wer sich und seine Leiden akzeptieren kann, ist im eigentlichen Sinne als gesund anzusehen. Oder wie die Autoren es zugespitzt formulieren: "Krankheit ist selbst eine Form des Lebens". Das ist eine zutiefst humanistische Ansicht.

Doch das Buch geht noch weiter: Es will auch den noch gesunden Leser ermutigen, sich Strategien anzueignen, um auf Krankheit vorbereitetet zu sein. Und das bedeutet: Verantwortung für sich selbst zu übernehmen und ein mündiger Patient zu werden, der sich im anonymisierten Medizinbetrieb zurechtfindet und teil hat an den Therapieentscheidungen. Wie genau das dann aussehen könnte, haben die beiden versucht, durch Gespräche mit Betroffen herauszufinden. Allerdings tauchen die Ergebnisse dieser Befragungen leider nur episodenhaft auf, was schade ist, die eingeworfenen Zitate wirken daher auch etwas beliebig, dabei dienen sie als Belege für die von den Autoren anvisierten Bewältigungsstrategien: Die da reichen von der Chance über Krankheit zu reden, sie als eigenen Weg anzuerkennen und sich nicht im eigenen Leid zu verschließen und sich darüber ausschließlich zu definieren.

Das ist die zentrale Aussage des kleinen Bandes: "Krankheit als Chance wahrzunehmen". Denn oftmals - so die These der Schreiber - lernen Menschen ihren Körper erst durch Krankheit wirklich kennen, lernen ihre Umwelt schätzen und genießen wieder die kleinen Dinge im Leben oder die Natur. Doch gilt das sicher in erster Linie für chronisch Kranke, Todgeweihten hilft das nicht. Dabei ist das 144-seitige Buch gut geschrieben und kommt ohne Fachvokabular aus. Einen interessanten Bruch setzen die Autoren im letzten Teil. Dort beschreiben sie zum einen geschlechtsspezifische Unterschiede im Umgang mit Krankheit, also was typisch weiblich und männlich ist. Zum anderen geben sie einen kleinen Ausblick auf die Situation vom Migranten, die sich im deutschen Gesundheitssystem doppelt allein gelassen vorkommen, weil sie sich oft weder der Sprache noch dem Gesundheitswesen gewachsen fühlen. Das ist zwar spannend zu lesen, wirkt aber ein wenig fehl am Platz, beschreibt es doch in erster Linie Missstände und nicht Strategien, die helfen mit Krankheit leben zu lernen. Zumal dieses Thema die Dimension des Bandes sprengt und eher einen eigens Buch wert ist. Abgesehen von dieser Schwäche ist "Leben mit Krankheit" trotzdem hochinteressant. Denn es macht nachdenklich, ohne zu demotivieren. Vielmehr fordert es den Leser heraus, das Leben mit all seinen Unzulänglichkeiten anzunehmen. Denn - machen wir uns nichts vor - Leben ist nun mal gefährlich!