Kraken

Neugierig, geschickt und unglaublich schlau

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Karibischer Riffkrake im Meeresschwamm ruhend.
Manche nennen Kraken "schwimmendes Rumpsteak", weil sie keine Schale haben, die sie vor Feinden schützt. Aber gerade das könnte ihre Intelligenzentwicklung befördert haben. © Getty Images / Universal Images Group / Wild Horizons
Von Jennifer Rieger · 27.02.2020
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Wenn Heidi träumt, wechselt sie die Farbe. Mike kann Gläser öffnen. Paul war unschlagbar als WM-Orakel. Drei Beispiele für die wundersamen Fähigkeiten des Kraken. In der Tat gehören sie zu den intelligentesten wirbellosen Tieren, die es gibt.
Im Oktober 2019 macht ein Video in den sozialen Medien die Runde: David Scheel, Meeresbiologe an der Alaska Pacific University, beschreibt darin, wie Oktopus Heidi im Schlaf die Farbe wechselt:
Zuerst ist sie fast weiß, dann färbt sie sich plötzlich dunkel. Wäre Heidi wach, würde sie vielleicht gerade einen Krebs fangen und sich dann tarnen, um ihre Beute ungestört zu verspeisen.
"Wenn sie gerade träumt, wäre das wohl ihr Traum."
Können Oktopusse – oder Kraken, wie sie auf deutsch heißen – wirklich träumen, so wie wir?
"Also, das ist bestimmt eines der intelligentesten wirbellosen Tiere, die man hat. Und es sind schon kleine Persönlichkeiten in den Aquarien", sagt Fabian Schmidt, Kurator des Vivariums im Basler Zoo.
Zu seinen Schützlingen gehört auch Krake Mike. Sein Partytrick: Gläser mit verschiedenen Verschlüssen aufknacken.
"Man merkt, dass er dazu lernt", sagt Schmidt. "Dass er am Anfang länger braucht, um ein Glas zu öffnen. Wenn er es dann mehrfach gemacht hat, wird er schneller."
Man hat auch das Gefühl, dass er einen anschaut...
"Ja, er erkennt einen auch. Der kann seine Pfleger erkennen. Und reagiert dann", sagt Schmidt.
"Es gibt durchaus Oktopusse, die manche Pfleger mögen und manche nicht mögen und dann die, die sie nicht mögen, anspritzen mit Wasser."

Nachts plündern sie gern mal das Nachbaraquarium

Acht Arme, weicher Körper, großes Hirn. Oder vielleicht sollte man sagen: mehrere Hirne. Etwa zwei Drittel ihrer Nervenzellen befinden sich in den Armen und steuern sie einzeln an. Und das ist nur eine von vielen Merkwürdigkeiten, die Kraken zu bieten haben. Sie haben einen ausgeprägten Entdeckertrieb – in Aquarien gehen sie manchmal auf nächtliche Beutezüge und fressen benachbarte Becken leer.
"Das haben mehrere Aquarien erlebt, dass dann der Krake nachts unterwegs ist und andere Aquarien ausraubt und dann wieder unschuldig dasitzt. Und ja, er guckt dann ja auch so niedlich, also wirklich böse sein kann man ihm da nie", so der Kurator. "Man darf jetzt einfach nicht so wahnsinnig sein Herz an ein Tier, ein bestimmtes Tier verschenken, weil einfach die Lebenserwartung sehr, sehr gering ist.
Ein Krake (Octupus Vulagaris) versucht den Deckel eines Glases abzuschrauben, um seinen Inhalt, eine knusprige Krabbe, zu erhalten.
Kraken sind sehr vertrauensvoll, äußerst neugierig und bei weitem das intelligenteste Tier im Aquarium.© picture alliance / dpa / Epa-Bildfunk
Für Meeresbiologen lange ein Rätsel, denn intelligente Tiere wie Delfine, Raben oder Menschenaffen sind in der Regel langlebig.
"Was sehr ungewöhnlich ist für den Kraken, ist diese Kombination zwischen Kurzlebigkeit und Intelligenz. Wenn er sich eigentlich alles angeeignet hat, was er in seinem Leben im Ozean antreffen kann, dann stirbt er eigentlich schon."

Manche nennen sie "schwimmendes Rumpsteak"

Kraken werden gerade mal ein bis zwei Jahre alt. Sie sind mit Schnecken und Muscheln verwandt – und die sind ja nicht gerade für ihre Intelligenz bekannt. Wieso fallen Kraken so aus der Reihe?
Mit dieser Frage beschäftigt sich Piero Amodio, Doktorand an der Uni Cambridge.
Seine Theorie, warum Kraken zu Intelligenzbestien wurden: Oktopusse machen Jagd auf verschiedene Beutetiere, die nicht immer am selben Ort zu finden sind. Auf der Speisekarte stehen zum Beispiel Muscheln, deren Schalen sie zuerst mit ihren Tentakeln aufkriegen müssen.
Und: Im Gegensatz zu ihren Vorfahren, haben Kraken keine schützende Schale mehr – manche Forscher bezeichnen die achtarmigen Weichtiere als "schwimmendes Rumpsteak". Intellektuelle Überlegenheit hilft dabei, hungrige Raubtiere auszutricksen.
Ist Oktopus-Intelligenz vergleichbar mit unserer? Formen sich im Hirn der schlafenden Heidi Langzeiterinnerungen wie bei einem träumenden Menschen? Um Vergleiche anzustellen, ist es noch zu früh, findet Piero Amodio – erst müssen wir die Hirnkapazität von Kraken und Co. noch näher erforschen:
"Lange Zeit gab es die Idee, dass wir die einzigen intelligenten Tiere auf der Erde sind. Und in den letzten Jahrzehnten gab es viele bahnbrechende Entdeckungen, die diese Idee infragestellen."
Kraken zeigen uns eins: Mehr als ein evolutionärer Pfad führt zu Intelligenz.