Kraftwerk auf hoher See

Von Dirk Asendorpf · 14.09.2008
Ein Sechstel des deutschen Strombedarfs soll in gut 20 Jahren mit Windparks auf hoher See gedeckt werden. Dieses Ziel hat die Bundesregierung schon vor Jahren ausgegeben, doch erst jetzt wird der erste Offshore-Windpark tatsächlich gebaut. Und schon gibt es die ersten unerwarteten Schwierigkeiten.
"Wir hatten am Samstag auf der Lokation eine Drei-Meter-Welle, da brauchen wir nicht über ernsthafte Baumaßnahmen zu reden."

Eigentlich hätte es schon vor vier Wochen losgehen sollen. Auch die Presseagenturen hatten bereits Mitte August den Baubeginn von Alpha-Ventus gemeldet, dem ersten deutschen Windpark, der nicht an Land, sondern weit draußen im Meer entstehen soll. Doch ausgerechnet der Wind macht Projektleiterin Irina Lucke seitdem einen Strich durch alle Pläne.

"Wir brauchen immer Wetterfenster zwischen drei und fünf Tagen. Für das Umspannwerk brauchen wir ein 36-Stunden-Wetterfenster, die Windenergieanlagen auch. Da stehen noch die Tripods, die warten auf gutes Wetter und dann kann es los gehen."

Tripods heißen die dreibeinigen Stahlfundamente, auf denen sich insgesamt zwölf Windräder drehen sollen – jedes 1000 Tonnen schwer, so hoch wie der Kölner Dom und zusammen stark genug, um 100.000 Menschen mit Strom zu versorgen.

Auch das Umspannwerk wird auf stählernen Füßen im 30 Meter tiefen Wasser stehen. Mit Notunterkünften und einem Helikopterlandeplatz soll es nebenbei als zentrale Wartungsstation des Offshore-Windparks dienen. Am Kai in Wilhelmshaven laufen noch die letzten Schweißarbeiten. Stefan Evers muss dafür sorgen, dass die beiden Decks bei der Montage auf hoher See exakt auf das vierbeinige Unterteil, das sogenannte Jacket, passen.

"Der Schwimmkran kommt zunächst hier in den Hafen rein. Er nimmt dann das komplette Jacket an den Haken und fährt mit dem Jacket an dem Haken raus zur Lokation zu Alpha Ventus."

Also 45 Kilometer nördlich von Borkum – und damit vom Ufer praktisch nicht mehr sichtbar. Vor Dänemark, den Niederlanden und Großbritannien gibt es schon einige Windparks, so weit draußen im Meer stehen sie aber nirgendwo. Jeder Arbeitsschritt ist eine Premiere, Präzision das A und O.

"Der Schwimmkran mit 650 Tonnen am Haken kommt hier an und muss dieses Loch treffen. Das ist schon ne ehrgeizige Aufgabe. Einzige Hilfestellung ist hier dieses Anprallblech, dass er nicht zu weit drüber hergeht. Aber man muss natürlich auch sehn, wenn der Schwimmkran in der Dünung schwimmt, das heißt der Haken und die ganze Topside, das bewegt sich alles auf und ab."

Schon heute ist Deutschland Weltmeister in der Nutzung der Windenergie. 20.000 Windräder decken über sieben Prozent unseres Stromverbrauchs und haben die Wasserkraft als wichtigste erneuerbare Energiequelle abgelöst. Doch die attraktivsten Standorte an den Küsten und auf den Gipfeln der Mittelgebirge sind längst vergeben. Selbst weniger geeignete Flächen lassen sich kaum noch finden. Schon seit zehn Jahren werden deshalb Windparks in Nord- und Ostsee geplant. Platz ist dort kein Problem und niemand stört sich an den drehenden Rotorblättern. Technisch und finanziell ist der Sprung auf die hohe See aber ein Abenteuer mit unbekanntem Ausgang.

"Wir sind absolut gespannt zu sehen, wie die Anlagen sich verhalten werden offshore nun natürlich."

Felix Debierre ist Geschäftsführer von Multibrid. Das Bremerhavener Tochterunternehmen des französischen Nuklearkonzerns Areva liefert sechs der zwölf gigantischen Windräder für Alpha Ventus.

"Das ist ein sehr explosiver Cocktail, würde ich sagen, was auf unsere Anlagen zukommt. Wir haben ja schon Zusammenspiel von Wasser, Wellen und normalen Windbedingungen, die schon von der Struktur her in Betracht gezogen werden mussten. Wir haben das Thema natürlich korrosive Atmosphäre. Und wir sind ja nun offshore, das heißt Zugang zu den Anlagen, wo onshore einfach ein Wartungsteam hinausgeschickt werden kann, ist nun bei Offshore-Bedingungen ein bisschen schwieriger. Das heißt, wir mussten die Anlage so aufsetzen, dass sie mit einem Wartungszyklus von zwölf Monaten leben kann."

Mit 180 Millionen Euro sind die Baukosten des ersten deutschen Offshore-Windparks rund dreimal so hoch wie für ein vergleichbares Projekt an Land. Eon, Vattenfall und EWE, drei der fünf größten deutschen Energiekonzerne haben sich dafür zusammengetan, 50 Millionen Euro schießt das Bundesforschungsministerium zu. Draußen auf dem Meer bläst es so stark und stetig, dass jedes Windrad theoretisch fast doppelt so viel Strom erzeugen kann wie an Land. Ob das auch praktisch klappt, hängt vor allem davon ab, wie schnell technische Pannen behoben werden können.

Nur an den wenigen Tagen mit ruhiger See können Wartungstechniker mit dem Schiff an einem der Windräder anlegen. Ärger wird es aber vor allem geben, wenn der Sturm stark und der Wellengang hoch ist. Gerade dann führt jeder Stillstand durch die große Menge nicht erzeugter Elektrizität zu schmerzlichen Verlusten. Wartungsarbeiter und Material können aber nur in einer waghalsigen Aktion vom Helikopter auf das Generatorhaus, die sogenannte Gondel, abgeseilt werden. Fast 100 Meter über dem Meeresspiegel, gibt es dort oben dafür eine kleine Plattform mit knallrotem Geländer. Bis zu Windstärke 11, dann stürmt es mit über 100 Kilometern pro Stunde, sind derartige Helikoptereinsätze zulässig, sagt Irina Lucke.

"Da hängt der Monteur schon 90 Grad schief am Seil, also von daher sind die limitierenden Faktoren gering. Wir haben aus der Erfahrung der Kollegen in Horns Rev gelernt, dass zwischen 60 und 65 Prozent der Einsätze im Helikopter geflogen werden weil es einen zweifachen großen Charme hat: Es geht schneller und die Monteure werden nicht seekrank."

Auch für den seltenen Fall, dass die Wartungsmitarbeiter zwar abgesetzt, dann nach einem plötzlichen Wetterumschwung aber nicht wieder abgeholt werden können, ist vorgesorgt.

"Wenn Gewitter aufzieht, dann haben sie in diesem Bereich, wo der Notfallbereich ist, sind sie dort auch vor Gewitter, vor Blitzschlag sicher. Es heißt immer: In der Mitte der Windenergieanlage und keine Teile aus Metall anfassen! Dort ist auch die Möglichkeit, sich auszuruhen, da ist ein Notfallpaket für drei Monteure, denn es werden immer drei Monteure draußen bei den Arbeiten zugange sein. Wenn einem was passiert, müssen zwei mit anfassen können. Es ist ganz schwierig, jemand dort alleine wieder runterzuholen. Wasser ist da, Nahrung ist da, es ist auch ein Skatspiel da. Aber das sind Randbedingungen, das wollen wir gar niemandem zumuten."

Rund 400 Millionen Euro fließen entlang der Nordseeküste in den Aufbau der Offshore-Windindustrie, 250 Millionen werden allein in Bremerhaven investiert. Hier bauen Multibrid und REpower die Generatoren, außerdem entstehen Unterwasserfundamente und Rotorblätter. Über ein neues Schwerlast-Kai können die Kolosse aus Stahl und Glasfaser direkt verschifft werden.

Auch die Wissenschaft ist mit dabei. Die ehemalige Jungfischerschule ist zum Testzentrum umgebaut worden. Eine Klimakammer simuliert die feuchtkalte salzige Luft, der die Rotorblätter auf hoher See ausgesetzt sind. Und ihr Wirkungsgrad kann in einem nagelneuen Windkanal vermessen werden.

"Hier sehen Sie unsere sechs Gebläse. Jedes Gebläse hat 162 Kilowatt Leistung, d.h. wir haben ne Gesamtleistung von nicht ganz einem Megawatt, das ist schon ganz ordentlich. Und mit diesem einen Megawatt können wir Windgeschwindigkeiten bis 70, 75 Meter pro Sekunde in der Messstrecke erzeugen, das sind Stundenkilometer von 260 oder so."

Um bis zu zehn Prozent lässt sich die Energieausbeute eines Windrads durch eine optimierte Flügelform erhöhen, sagt Gerhard Gerdes, der Herr über den künstlichen Orkan.

Nicht nur Rotorblatthersteller, auch die künftigen Betreiber der Offshore-Windparks gehören zu seinen Kunden. Ihr gesamtes Projekt stellen sie als Modell in den Windkanal.

"Dann kriegen wir raus, was optimal ist – oder welche Mindestabstände man einhalten muss, wenn man bestimmte Parkwirkungsgrade also Verluste in den Windparks verhindern will. Die Anlage, die hinter einer anderen steht, die hat natürlich, sieht weniger Wind. Und dann muss man schauen: Wie groß darf dieser Abstand sein und auch wie kann man nun diese Anlagen regeln in Abhängigkeit von der Aufstellung, in der sie sich befinden."

Auch wenn Windenergie weitgehend erneuerbar und klimafreundlich erzeugt wird – ohne ökologische Probleme ist auch diese Industrie nicht. Die Kabel für die Netzanbindung werden quer durch den Nationalpark Wattenmeer verlegt, Ornithologen fürchten eine Barrierewirkung der drehenden Rotoren für Zugvögel und die Unterwasserfauna wird während der Bauarbeiten von Lärm geplagt. Alpha-Ventus-Projektleiterin Irina Lucke versucht ihn möglichst gering zu halten.

"Wir haben hier ein Rüttlerverfahren vorgesehen. Das heißt, wenn die Plattform abgestellt ist und die Pfähle eingesetzt werden, werden die ersten zehn Meter gerüttelt. Das ist A nicht so geräuschintensiv und B ist es eine ganz einfache zarte Methode, die Schweinswale erst mal darauf hinzuweisen: Hier kommt Krach. Dann gibt es zusätzlich noch Pinger und Seal Scarer, das sind Alarmgeber die eigentlich aus der Schleppnetzfischerei kommen, um die Delphine und Schweinswale etc. zu verscheuchen. Und dann werden wir auch Sichtkontrollen haben per Flugzeug. Sollten Tiere gesichtet werden, werden die Rammarbeiten sofort eingestellt."

Ob sie in diesem Jahr überhaupt noch beginnen können, hängt jetzt vom Spätsommerwetter ab. Bringt es ein paar ruhige Tage, kann die Bauflotte auslaufen. Ansonsten blasen die Herbststürme noch ein letztes Mal ungenutzt über die Nordsee.