Kraftvolle Bilder

Von Volkhard App · 16.06.2010
Bildreportagen aus aller Welt sind derzeit in Hannover beim Lumix Festival zu sehen. Dort stellen junge Fotojournalisten ihre Arbeiten vor und geben so Einblicke in die sozialen Brennpunkte überall auf der Welt.
Was sind das für Zeiten, in denen das Schild "Wall Street” ausreicht, um auf die Düsternis einer Fotoserie einzustimmen: Der Australier Ashley Gilbertson hat an diesem Ort innerlich entwurzelte Banker aufgenommen, die ratlos auf Treppenstufen hocken - aber auch kleine Geschäftsleute in Manhattan, die ihre Läden aufgeben und vernageln, und Arbeiter, die verzweifelt einen Job suchen.

Junge, neugierige Fotojournalisten waren auf den Kontinenten unterwegs. So hat Lucas Wahl Straßenszenen in Kathmandu eingefangen:

"Mich reizt es, durch die Straßen zu laufen und die Stadt für mich zu entdecken. Die Kamera ist ein gutes Werkzeug, um in das Leben der Menschen einzudringen."

Was Globalität bedeutet - auf diesem zweiten Lumix-Festival kann man es spüren: Hier wühlen die Ärmsten der Armen in Managua auf der größten Mülldeponie Zentralamerikas, dort versuchen die Menschen in Grönland, sich dem Klimawechsel anzupassen, hier feiern die Neureichen in der Ukraine, dort leben die Prostituierten der Bronx in ihrem Drogendreck. Wanderkinos sind in Indien mit Zelluloidillusionen unterwegs, italienische Muslime beten in Lagerhallen und Büros, weil es an Moscheen fehlt und in Bangladesh setzen Arbeiter in den Steinbrüchen ihr Leben aufs Spiel.

Rund 1400 Bilder von 60 Fotojournalisten sind in Hannover auf dem ehemaligen EXPO-Gelände versammelt. Welche Qualitäten musste eine Reportageserie haben, um bei den Juroren Gnade zu finden? Professor Rolf Nobel, Initiator und Leiter des Festivals:

"Sie soll auf jeden Fall die Menschen emotional berühren, sie muss gestalterisch eine große Qualität haben und sie muss auserzählt sein, die Geschichte also vom ersten bis zum letzten Bild erzählen."

Allerdings werden Bildwelten längst digital bearbeitet. Dass man seinen Augen nicht immer trauen darf, gilt auch und gerade für Fotos, die Authentizität versprechen:

"Das ist tatsächlich ein großes Problem, das wir momentan in der Fotografenszene auch sehr intensiv diskutieren. Leider gibt es keinen Katalog, der Aufschluss darüber gibt, was statthaft ist und was nicht. Was grundsätzlich nicht geht, ist das Hinzufügen oder Entfernen von Bildelementen. Aber in letzter Zeit nimmt die Überdramatisierung von Bildern durch Nachbelichtung zu. Auch um Dinge zu entfernen, die bei der Gestaltung störend waren. Und da liegt es jetzt an den Fotografen und ihren Organisationen und an den Bildredaktionen, hier ethische Grundsätze festzulegen."

Die Ethik des Fotojournalismus ist ein wichtiges Thema im Festivalprogramm. Dazu gehört auch das Verhalten in Kriegs- und Krisengebieten, wo die Profis in hartem Wettbewerb um die Verkäuflichkeit ihrer Ware stehen. Grundsätzliche Einblicke in die Probleme des Berufs will man in Hannover geben und den Diskurs unter jungen Fotojournalisten fördern.

Christian Burkert hat auf seinen bereits prämierten Bildern den Verfall der einst so florierenden Automobilmetropole Detroit festgehalten: mit verfallenen Fabriken, schäbigen Boulevards und heruntergekommenen Theatern und Kinos.

"Das Thema war für mich reizvoll, weil dieser Verfall gut zu visualisieren ist, und weil ich für meine Projekte oft soziale Themen auswähle. Es geht um Gegensätze: Ein Drittel der Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze. In Detroit gibt es die viertreichste Vorortregion von ganz Amerika, während die Innenstadt eine der ärmsten ist."

Christian Burkert hat Glück gehabt. Die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung” und die japanische Ausgabe von "Newsweek" haben seine Fotos gedruckt. So konnte er den dreimonatigen Aufenthalt in Detroit finanzieren.

Die kriselnden Zeitungen und Zeitschriften haben ihre Etats heruntergefahren - und die bewegten, hyperaktuellen Nachrichtenbilder sind so übermächtig, dass man mancherorts die Vorzüge einer reflektierten, gut gestalteten Foto-Reportage schon gar nicht mehr zu schätzen weiß. Rolf Nobel:

"Die Leute, die vom Fotojournalismus noch einigermaßen gut leben, haben ihre Arbeit in der Regel auf mehrere Beine gestellt. Relativ gutes Geld verdienen sie in der Unternehmensfotografie, machen PR und investieren den dort erzielten Gewinn in ihre eigenen Projekte. Zu glauben, dass man mit einer hehren Geschichte, die Aussicht hat auf den Pulitzer Preis, sein Geld verdienen kann, ist eine Illusion."

Immer mehr Profis vertrauen nicht länger den Printmedien, sondern arbeiten multimedial, stellen Bilder und Töne ins Netz, ohne dass jenes bei den Printmedien verlorene Terrain dadurch ausgeglichen werden kann. Die multimedialen Arbeiten spielen eine Rolle bei dieser zweiten Ausgabe von "Lumix”, einem Festival, das vor zwei Jahren mit mehr als 12.000 Besuchern vom Start weg erfolgreich war.

Die qualitative Dichte ist einmalig. Dabei wirken Impressionen aus dem hiesigen Alltag, zum Beispiel Szenen aus dem bäuerlichen Dasein, Rituale der Burschenschaften oder Eindrücke aus dem "Circus Roncalli" fast schon exotisch neben Kriegs- und Katastrophengebieten wie Afghanistan und Haiti.

In Hannover wird mehr gezeigt, als man bei einem einzigen Rundgang wirklich verarbeiten kann. Doch viele Fotos prägen sich ein: die von dem kahlköpfigen siebenjährigen Mädchen, das seinen Kampf gegen den Hirntumor doch noch verliert oder die von dem Menschen mit einem völlig verkrüppelten Gesicht, einem Opfer sowjetischer Atombombenversuche. Nicht zu vergessen der überfüllte spanische Strand vor den Bettensilos. Auch eine Art Alptraum in diesem an Schrecken nicht gerade armen Ausstellungspanorama.

Service:
Das Lumix Festival für jungen Fotojournalismus findet vom 16.-20. Juni in Hannover auf dem ehemaligen Expo-Gelände statt.