Kostümschinken für die Ohren

14.05.2010
Übertrieben, kitschig, unglaubwürdig - all das trifft zu auf die erste Szene des neuen Hörspiels aus der Reihe "Gruselkabinett". Es ist Absicht, denn Jane Austen machte sich in ihrem Roman "Northanger Abbey" lustig über die Trivialliteratur ihrer Zeit.
"Nun komm schon! Lass dich nicht so ziehen! Dein Schicksal ist seit langem besiegelt. Dafür hast du selbst gesorgt. – Nein, ich will nicht. Bitte tut das nicht!"

Der finstere Abt kennt keine Gnade. Er wirft die arme Schwester Sophie ins Verließ, tief unter der Erde. Sie verzweifelt. Das ist ihr Ende, denkt sie, niemals wird der gute Bruder Ambrosius sie hier finden. Ambrosius, den sie von ganzem Herzen liebt. Doch da ist er schon.

"Ich bin gekommen, euch zu befreien. Und dann werden wir zusammen weit, weit weg gehen. So weit dass uns dieser Teufel niemals finden wird."

Übertrieben, kitschig, unglaubwürdig? All das trifft zu auf die erste Szene des neuen Hörspiels aus der Reihe "Gruselkabinett". Es ist natürlich Absicht, denn Jane Austen machte sich in ihrem Roman "Northanger Abbey" lustig über die Trivialliteratur ihrer Zeit. Sie parodierte die gothic novels, die verliebten Nonnen, teuflischen Äbte und düsteren Klostermauern. Um 1800 waren diese Geschichten so beliebt wie die teenagertauglichen Vampirromane von Stephenie Meyer heute. Jane Austens Heldin ist eine naive 17-Jährige, eine Pfarrerstochter, Catherine, die sich auf dem Land mit ihren neun Geschwistern langweilt. Und ihre Leidenschaft im Lesen von Romanen auslebt. Reiche Nachbarn nehmen sie mit nach Bath, einer funkelnden Stadt voller Luxus und Geschäfte. Dort hat gerade die Ballsaison begonnen, und Catherine freundet sich mit ihrem Tanzpartner an.

"Sagt Ihnen Bath zu? – Sehr. Ich bin gern hier. - Fein. Dann hätten wir das also. Ich werde jetzt pflichtbewusst lächeln. Dann können wir wieder normal sein."

Bekannte Stimmen, die man schon oft als Synchronsprecher von Hollywoodstars gehört hat, ein liebevolles Klangdesign, opulente, sinfonische Musik – das ist die Mischung, mit der es die Reihe "Gruselkabinett" bereits auf 40 Folgen gebracht hat. Der Hörspielautor und -regisseur Marc Gruppe arbeitet stets sehr sorgfältig. Bram Stokers "Dracula" erzählt er auf vier CDs, in 260 Minuten. Jede Nebenfigur erwacht zum Leben, und er hat auch die Vorgeschichte inszeniert, die unbekannte, erst nach Stokers Tod veröffentlichte Erzählung "Draculas Gast". Einige der besten Hörspiele aus der Reihe basieren auf Texten, von denen nur Fans der Schauerromantik je etwas gehört haben. "Die Totenbraut" von Friedrich Laun zum Beispiel oder "Die obere Koje" von Francis Marion Crawford. Und wenn Marc Gruppe Geschichten bearbeitet, die schon andere vertont haben, überzeugt er mit besonders ausgefeilter Atmosphäre. Wie in Edgar Allen Poes "Untergang des Hauses Usher".

"Dürfte ich Sie bitten, die Stiefel auszuziehen und statt dessen in ein paar dieser Filzpantoffeln dort zu schlüpfen? – Natürlich. Warum nicht? Wenn Sie darauf bestehen. – Es ist eine Anordnung unseres Herrn. – Aha."

Und dann hört man auch ganz andere Schrittgeräusche, das Knarren alter Dielen. Stets geht es um subtilen Schauer, harte Horroreffekte kommen in diesen Hörspielen nicht vor. Der satte Sound erinnert Kinofans an die Gruselfilme der britischen Hammer Studios aus den 60er-Jahren oder die farbenfrohen Edgar-Allen-Poe-Verfilmungen von Roger Corman. Einige Synchronstimmen aus dieser Zeit sind dabei. Dazu kommen junge Schauspieler, die eine auf der Theaterbühne selten geförderte Fähigkeit mitbringen müssen, die Lust, mit Sprache eine Welt zu gestalten.

"Ich träume schon lange davon mal in einem alten Schloss, einer Burg oder eben einer gotischen Abtei zu leben. Verliese, hohe Zinnen, düstere Klosterzellen. Ach, wenn ich nur daran denke, überläuft mich bereits ein wohliger Schauer."

Catherine, die 17-jährige Gruselanhängerin, wird von ihrem Tanzpartner und seiner Familie eingeladen. Nach Northanger Abbey, einer ehemaligen Abtei. Gleich in der ersten Nacht gewittert es, Seufzer wehen durch die Luft, und die Gastgeber benehmen sich seltsam. Besonders der Vater, ein General, scheint ein Geheimnis zu verbergen. Vor neun Jahren ist seine Frau gestorben, niemand außer ihm darf seitdem ihre Zimmer betreten. Catherine tut es natürlich trotzdem.

"Dachte ich es mir doch, ihr Tagebuch. Was sie wohl… - Miss Morland! – Mr. Tilney! Was machen Sie denn hier? – Seltsam, das Gleiche wollte ich Sie auch gerade fragen."

Auch in den nicht parodistischen Momenten neigen die Sprecher etwas zur Übertreibung. Doch das passt zum satten, farbigen Stil dieser Hörspielreihe. Das "Gruselkabinett" bietet Kostümschinken für die Ohren. In "Northanger Abbey" spielte Jane Austen selbstironisch mit dem Schauer und liefert eins ihrer typischen satirischen Gesellschaftsbilder. Junge Leute versuchen, ihre Gefühle zu verstehen, während die Elterngeneration auf dem Heiratsmarkt vor allem ans Geld denkt. Catherine wird erwachsen und lernt, ihre romantischen Fantasien zu beherrschen und nicht mehr in ihren Büchern zu leben. Doch im "Gruselkabinett" lauert oft noch eine dramatische Wendung.

"Ich will in Zukunft nur noch mit kühler Vernunft urteilen. Womöglich gelingt es mir dann, Henry Tilneys Zuneigung zurück zu gewinnen."

Besprochen von Stefan Keim

Jane Austen: Northanger Abbey
Hörspiel, Titania Medien
Leverkusen 2010, 17,99 Euro