Kosmopolitismus

Das Internet "neu verdrahten"

Zahlreiche Netzwerkkabel stecken in einem Serverraum in Berlin in einem Netzwerkverteiler.
Zahlreiche Netzwerkkabel stecken in einem Serverraum in Berlin in einem Netzwerkverteiler. © picture alliance / dpa / Matthias Balk
Von Vera Linß · 14.04.2014
Mit dem Internet sollte jeder zum Weltbürger aufsteigen. Doch die Natur des Menschen hat dieser Utopie einen Strich durch die Rechnung gemacht. Das weiß der Medienwissenschaftler Ethan Zuckerman - und gibt trotzdem nicht auf.
Das Internet muss für viele Gesellschaftsutopien herhalten. Eine davon lautet, dass sich alle Menschen zu Weltbürgern entwickeln, weil es nie so einfach war wie heute, mit Informationen aus jedem Winkel der Erde in Kontakt zu kommen. Allzu weit her ist es mit dem erhofften Kosmopolitismus jedoch nicht, sagt Ethan Zuckerman, der am "Massachusetts Institute of Technology" das "Center of Civic Media" leitet. Mehr noch: Das Bild, das sich die meisten Menschen von der Welt machen, ist kaum differenzierter als noch in vordigitalen Zeiten, so der Medienwissenschaftler.
Verantwortlich dafür sei eine Mischung aus strukturellen und psychologischen Gründen. Einer liegt in der Natur des Menschen selbst. Der neigt dazu, all die Nachrichten auszublenden, die keinen Bezug zum eigenen Leben und den eigenen Interessen haben. Wie auch die "Liebe zum Gleichen", nach der sich menschliche Gesellschaften organisieren: Der Mensch schaut nur ungern über den Tellerrand, wie Zuckerman anhand zahlreicher Studien beweist - etwa vom Soziologen Robert Merton oder von Paul Lazarsfeld, der schon in den 50er-Jahren beschrieb, dass Menschen sich eher mit ihnen ähnlichen Leuten umgeben, als mit Fremden.
Auch in Wirtschaft und Medien spiegelt sich diese Herangehensweise wider. Zuckerman liefert unzählige Fakten, die belegen, dass die Globalisierung weit weniger ausgeprägt ist, als es scheint. Die Zahl der Migranten ist weltweit kleiner als noch vor 100 Jahren, dafür sorgen Einwanderungsbeschränkungen. Und einheimische Waren werden nur scheinbar von Produkten aus China verdrängt. Tatsächlich geben US-Bürger dafür nur drei Prozent ihres Geldes aus.
Das Internet "neu verdrahten"
Auch für die Medien gilt: Berichtet wird, was für die USA direkt von Belang ist. Mit dem Internet hat sich das Spektrum nicht vergrößert. Vor zehn Jahren gründete Zuckerman das Webportal "Global Voices", das Blogs aus aller Welt miteinander vernetzt und so schon frühzeitig auf Konflikte aufmerksam macht. Die US-Medien interessierten sich für das Portal aber erst, als die Revolution in Tunesien bereits ausgebrochen war. In einem Selbstversuch musste der Autor dann jedoch feststellen, dass er selbst das Internet auch nur selektiv nutzt - obwohl er sich als Kosmopolit versteht.
All das macht deutlich, wie schwer es ist, den eigenen Horizont auf Weltniveau zu erweitern, so wie Ethan Zuckerman es sich wünscht. Einen Versuch ist es aber dennoch wert, meint er und fordert, das Internet "neu zu verdrahten". Sprachbarrieren müssten durch Übersetzungsarbeit überwunden werden.
"Brückenfiguren", also Menschen, die zwischen Kulturen vermitteln können, sollten mehr Einfluss gewinnen. Und schließlich müssten Algorithmen dafür sorgen, dass der User immer wieder mit Überraschendem konfrontiert wird. Das sind sicher gute, wenn auch nicht neue Ideen.
Spannender noch wäre die Frage gewesen, wie kosmopolitisch man überhaupt sein muss. Dass menschliches Verhalten auch eine Instanz wie das Internet nicht ausbremsen kann, hat schließlich auch etwas Beruhigendes.

Ethan Zuckerman: Rewire. Warum wir das Internet besser nutzen müssen
Aus dem amerikanischen Englisch von Sebastian Vogel
Verlag Hans Huber, Bern 2014,
292 Seiten, 24,95 Euro

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