Kopf ab!

Rezensiert von Ulrich Fischer · 27.07.2009
Die biblische Geschichte von Judith, die den Feldherrn Judith verführt und ihm den Kopf abschlägt, zeigt Sebastian Nübling in Salzburg als historische Tiefenschichtung: sowohl Vivaldis als auch Hebbels Judith-Interpretation kommen zur Geltung.
Friedrich Hebbels "Judith" spielt zur Zeit von Nebukadnezar. Der König will die ganze Welt erobern, sein Feldherr Holofernes belagert die jüdische Stadt Bethulien. Die Belagerten sind verzweifelt und ratlos, da ergreift Judith, eine schöne, jungfräuliche Witwe, die Initiative. Sie fühlt sich von Gott berufen, plant einen Anschlag: geht ins Lager der Feinde, verführt Holofernes und bringt ihn im Schlaf um. Als die Soldaten sehen, dass ihr Feldherr ermordet in seinem Blut liegt, geraten sie in Panik und fliehen. Judith hat Bethulien befreit.

Diese Geschichte strukturiert Sebastian Nüblings Inszenierung in der alten Saline auf der Perner Insel in Hallein. Er schichtet sie geschichtlich tief: neben Hebbels Version (19. Jahrhundert) steht die biblische und die von Antonio Vivaldi, der ein Oratorium geschrieben hat "Judith triumphans", 18. Jahrhundert, um dann schließlich in unsere Gegenwart vorzudringen. Thema ist die Sexualität - für Hebbel eine heikle Auseinandersetzung, weil 1840 Frauen Röcke trugen und keine Sexualität zu haben hatten.

Judith wird von drei Darstellerinnen gespielt: 1. Tajana Raj (Mezzosopran), 2. eine Frau aus Hebbels Jahrhundert (Stephanie Schönfeld) und 3. eine unserer Zeitgenossinnen: Anne Tismer. Als Schlüsselszene dient die Liebesnacht, in der Judith Holofernes verführt. Der grausame Feldherr wird von sechs Darstellern gespielt, der Hauptmann ist nichts ohne seine Soldaten, sie nichts ohne ihren Befehlshaber. Alle zusammen feiern mit den Judiths eine schwarze Party. So muss die Walpurgisnacht in Goethes Faust ausgesehen haben. Gewalt und Sex mischen sich unauflöslich, jeder will überwältigt werden, jeder überwältigen, penetrieren, penetriert werden.

Anne Tismer spielt eine junge, enthemmte Frau, die außer sich gerät im Wunsch nach Befriedigung. Ihr Monolog ist voller Obszönitäten, geschrien im Wunsch nach Überwindung aller Grenzen. "Fotze" ist noch eines der harmloseren Worte. Wüst, die Bühne verwandelt sich in ein Schlachtfeld.

Der Mord hingegen wird ästhetisiert, Lebende Bilder, die im Barock an Fürstenhöfen so beliebten tableaux vivants, die sich an berühmte Judith-Gemälde anlehnen, zeigen die schreckliche Bluttat als geordnetes, ja schönes Arrangement, Holofernes' Blut schmückt Judith wie Purpur.

Diese Verklärung von Judiths heimtückischen Mord zur gottgewollten Befreiungstat, die Vivaldi in triumphale Töne setzt, lehnt der Regisseur genauso ab wie die Verteufelung. Judiths Anschlag, die Tat einer Terroristin, muss aus den konkreten Umständen heraus begriffen und beurteilt werden. Die menschliche Innenwelt, unsere Gefühle und Begierden, unserer Triebe und Strebungen, zeichnet Nübling als Chaos.

Das Wirrwarr gipfelt in einer Figur, die von Daniel Gloger, einem Countertenor, verkörpert wird: ein Mann mit einer fast weiblichen Stimme, Bart und einem weiten Reifrock, unter den sich mitunter Holofernesse flüchten, um Unausdenkbares zu treiben. Das ist eine Synthese aus Mann und Frau, jemand, der überwältigt werden will und überwältigen, Sadist und Masochist zugleich. Die Ineinssetzung krasser Gegensätze erzeugt ein irrationales Wesen, das seit biblischen Zeiten verurteilt ist, Gewalt zu leiden und Gewalt (an) zu tun, Der Mensch in der Phase einer vormenschlichen, noch lange nicht selbst bestimmten Geschichte.

Die einzige Hoffnung liegt darin, dies zu erkennen und daraus Folgerungen zu ziehen - Schluss mit der Gewalt, Schluss mit dem Chaos - eine vernünftige Erziehung des Herzens und der Sinne.

Die Aufführung ist schwer befrachtet, fast überladen und macht es dem Zuschauer vor allem anfangs schwer, sich zu orientieren. Stark sind Anne Tismers Auftritte, ihre Judith revoltiert gegen die Fortdauer eines Elends der vielen, das von neokonservativen Herrschenden, verkörpert von Holofernes, als Fortschritt verklärt wird.

Für die Aufführung spricht, dass sie Schluss macht mit der üblichen Geschichtsvergessenheit auf deutschen Bühnen - die Tiefenschichtung ist klug und ästhetisch reizvoll. Trotz schwerer Einwände gegen die Überfrachtung eine sehenswerte Inszenierung.

Friedrich Hebbel/Antonio Vivaldi: Judith
Salzburger Festspiele
Aufführungen am 29. und 31. Juli; 2. 4., 6. und 7. August
Eine Koproduktion mit dem Schauspiel und der Oper Stuttgart
Sebastian Nübling, Regie
Lars Wittershagen, Komposition
Lutz Rademacher, Musikalische Leitung
Muriel Gerstner, Ausstattung
Gérard Cleven, Licht
Xavier Zuber, Dramaturgie
Kekke Schmidt, Dramaturgie

Besetzung:
Tajana Raj
Stephanie Schönfeld
Anne Tismer
Jonas Fürstenau
Daniel Gloger
Sebastian Kowski
Sebastian Röhrle
Dino Scandariato
Matias Tosi
Capella Triumphans