Koordinationsprobleme im Orchester

Von Uwe Friedrich |
Ein zersägter Baumstamm zu Beginn, ein Amoklauf zum Schluss: Balázs Kovaliks Inszenierung von Smetanas "Verkaufter Braut" an der Staatsoper Berlin kann nicht überzeugen. Auch deshalb, weil der musikalische Leiter Karl-Heinz Steffens das Orchester nicht im Griff hat.
Was war wohl zuerst da: Der Staatskapellenklang unter dem musikalischen Leiter Karl-Heinz Steffens oder die Idee des Regisseurs Balázs Kovalik, schon während der Ouvertüre zu Bedřich Smetanas "Verkaufter Braut" gemächlich und lautstark einen Baumstamm zersägen zu lassen? Spannungslos und behäbig beginnt die Aufführung, nichts ist zu spüren von der flirrend-erwartungsfrohen Stimmung dieser aufbrausenden Musik, die sich immer wieder in Tanzrhythmen entlädt, in virtuos-fröhlichen Ausbrüchen einer Lebensfreude, die im Lauf der Oper immer wieder infrage gestellt wird.

Stattdessen gibt es unter dem von Generalmusikdirektor Barenboim stark geförderten Ex-Philharmoniker Steffens regelmäßig Koordinationsprobleme sowie kleinere und größere Zusammenstöße im Ensemblespiel der Orchestergruppen. Selbst seinen Klarinettistenkollegen gibt er niemals die Möglichkeit gibt, ihre bei Smetana immer extrem wichtigen Melodien melancholisch aufblühen zu lassen. Wenn schon die Koordination im Graben den Dirigenten überfordert, kann die Tempofindung mit der Bühne nicht funktionieren.

Selbst ein mit allen Wassern gewaschenes, erfahrenes Ensemblemitglied wie Reiner Goldberg als Zirkusdirektor kann die Zeichen vom Dirigentenpult nicht richtig deuten und trudelt ebenso verzweifelt durch seinen Auftritt wie vorher seine bedauernswerten Ensemblekollegen durch zweieinhalb Akte. Der Tenor Burkhard Fritz braucht als Jeník (Hans) lange, um die lyrische Freiheit für die Liebeserklärungen an seine Mařenka (Marie) zu finden, die wiederum von der Sopranistin Anna Samuil mit wenig flexibler und extrem vibratoreicher Stimme verkörpert wird.

Der ungarische Regisseur Balázs Kovalik verfrachtet das heimliche Liebespaar mit Hilfe seines Bühnenbildners Csaba Antal in ein Heimatmuseum, steckt die beiden in folkloristische Hochzeitsgewänder der Kostümbildnerin Bettina Walter und stellt sie in Glasvitrinen aus. In solchen Vitrinen werden auch Mařenkas Eltern in ihrem Miniaturbauernhof oder der Stotterer Vašek (Wenzel) mitsamt Kuh und Ziege herein- und herausgeschoben.

Wenn sie aber einmal aus den Schaukästen herausgestiegen sind, fängt der Regisseur Kovalik nicht mehr viel mit ihnen an. Die Sozialstrukturen im böhmischen Dorf zwischen Tradition, finanziellen Abhängigkeiten und der Sehnsucht nach dem großen Liebesglück interessieren ihn nur am Rande. Der unpräzise und schrill singende Chor tritt nur als blockhaftes Kollektiv auf und hat ebenso wenig Spaß an diesem Kirchweihtag wie Pavlo Hunka an seinem Auftrag, als Heiratsvermittler Kecal das richtige Paar unter die Haube zu bringen.

Einzig Florian Hoffmann kann als unbeholfener Vašek überzeugen, obwohl der Regisseur ihn als hoffnungslosen Dorftrottel zeigt. Wenn aber Vašek weder Mitleid noch Sympathie erzeugen kann mit seinen Ängsten und Nöten, fehlt dieser abgründigen Komödie das Zentrum, in dem die Verkaufsintrige Jeníks erst ihre emotionale Wucht entfalten kann. Die Auflösung, dass nämlich Jeník der verschollene Halbbruder Vašeks ist und er seine Braut quasi an sich selbst verkaufte, kann da nur noch ein müdes Gähnen hervorlocken. Ganz zum Schluss lässt der Regisseur den frustrierten Wenzel vollkommen unvorbereitet Amok laufen. Diese Verzweiflungstat kann erstens niemand gutheißen und kommt zweitens etwa drei Stunden zu spät.

Staatsoper Unter den Linden
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