Konsequentes Einzelgängertum

Von Martina Seeber · 03.05.2012
Es gibt wenige Komponisten des 20. Jahrhunderts, deren Musik gegensätzlicher ist. Der Kanadier Claude Vivier, der ohne den Schutz intellektueller Attitüden nach der verlorenen Liebe ruft, und der gebürtige US-Amerikaner Conlon Nancarrow, der seine Seele mit der Mechanik eines Selbstspielklaviers in glücklichem Einklang wusste.
Andererseits eint Claude Vivier und Conlon Nancarrow, die sich in diesem Doppelprogramm gegenüberstehen, ihr konsequentes Einzelgängertum. Es gibt nur wenige Künstler, die in der Zeit der verbindlichen "Ismen" so unbeirrt an ihren eigenen Visionen festgehalten haben. Claude Vivier hat in der Ära der Fragmentierung dem Zerfall entgegengearbeitet und fast ausschließlich Melodien komponiert, und daraus einen beispiellos subjektiven Stil entwickelt. Er setzte auf Gefühl und Intuition statt auf Formeln, Berechnungen und Tabellen. Conlon Nancarrow hingegen fand seine Erfüllung in der Objektivität polyphoner Zeitkonstruktionen und mathematischer Gleichungen.

Zugleich hatten beide einen ungewöhnlich weiten und vielfältigen musikalischen Horizont. Claude Vivier fand von der katholischen Kirchenmusik über Alban Berg und Karlheinz Stockhausen zur Musik des fernen Ostens. Conlon Nancarrows Erweckungserlebnis war Strawinskys "Frühlingsopfer", als junger Trompeter spielte und hörte er Jazz und begeisterte sich für Musik aus Afrika, Kuba, China, Brasilien und Indonesien. Diese heterogenen Einflüsse haben sich seinem Werk unüberhörbar eingeschrieben.

Nancarrow hat in hohem Alter noch die Euphorie der Musikwelt erlebt, die seinen Zyklus "Studies for Player Piano zum Wohltemperierten Klavier" des 20. Jahrhunderts erklärte. Sein jüngerer Kollege hingegen hat weder späte Anerkennung genießen noch sein Lebenswerk vollenden können. Claude Vivier wurde 1983 im Alter von 35 Jahren in Paris ermordet. Seine Arbeit hatte damals gerade erst begonnen.

Ferne Welten - Das Ensemble Laboratorium und der Dirigent Manuel Nawri