Konkurrenz Bahn - Fernbus

"Derzeit hat die Bahn keine Chance"

Reisende steigen am Hauptbahnhof in Hamburg in einen ICE.
Reisende steigen am Hauptbahnhof in Hamburg in einen ICE. © picture alliance / dpa /Bodo Marks
Weert Canzler (WZB) im Gespräch mit Dieter Kassel · 17.12.2015
Der Preiskampf auf dem Fernbusmarkt sorgt nach Ansicht des Mobilitätsforschers Weert Canzler dafür, dass die Bahn derzeit nicht konkurrieren kann. Allerdings werde sich der Fernbusmarkt irgendwann konsolidieren. "Dann werden wir auch Preise haben, die deutlich höher sind."
Die Bahn steht in hartem Konkurrenzkampf zu den Fernbussen. Doch derzeit hat sie nach Ansicht des Mobilitätsforschers Weert Canzler vom Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) keine Chance, mit den günstigen Fernbussen zu konkurrieren.
Bald höhere Preise im Fernbusverkehr?
Der Kampf sei deswegen derzeit so hart, da der Fernbusmarkt ja gerade erst entstehe, so Canzler. Der Mobilitätsforscher erwartet jedoch, dass sich die Situation ähnlich entwickelt wie nach der Liberalisierung des Flugverkehrs, wo nach anfänglich hartem Preiskampf eine gewisse Konsolidierung eingetreten ist. Auch im Fernbusverkehr werde man in einigen Jahren wieder auf ein realistisches Maß kommen, so Canzler.
"Dann werden wir auch Preise haben, die deutlich höher sind."
Der Deutschen Bahn rät der Mobilitätsforscher zu einem Ausbau der "intermodalen Dienste" wie Fahrradverleih oder Car-Sharing sowie zu einer weiteren Flexibilisierung des Preis- und Belegungssystems: "Das ist schon genau das Zukunftskonzept."
Solche Dienste seien nicht nur eine Imagefrage, sondern überall auf der Welt "ziemlich im Kommen", so Canzler.
"Das ist etwas, wo die Bahn auch noch weiter gehen muss, und ich glaube, das wird sie auch tun."
Die Bahn braucht politische Signale und nicht nur Lippenbekenntnisse
Gleichzeitig nahm Canzler die Bahn gegen Kritiker in Schutz. Viele ihrer Probleme hätten auch mit schlechten Rahmenbedingungen zu tun. Damit die Zukunft bei der Bahn liege, brauche es entsprechende politische Signale und nicht nur Lippenbekenntnisse. Solange massiv weiterhin in die Straße investiert würde und relativ wenig in die Schiene und das Autofahren nicht die realen Kosten widerspiegele, gebe es keinen Wettbewerb, bei dem nicht nur die Bahn, sondern auch andere Anbieter auf der Schiene wieder ins Spiel kämen.
"All das muss politisch auch gewollt sein und organisiert werden", sagte der Politikwissenschaftler.

Das Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: Die Deutsche Bahn AG wird in gut drei Stunden, um 10 Uhr, auf einer Pressekonferenz über die Ergebnisse ihrer gestrigen Aufsichtsratssitzung informieren. Das ist relativ ungewöhnlich, denn so eine Sitzung ist eigentlich ein interner Vorgang, aber die Bahn steht unter Druck: Sie fährt im Personen- und vor allen Dingen auch im Güterverkehr hohe Verluste ein und häuft weitere Schulden an. Ganz offensichtlich gelingt es ihr nicht, Kapital daraus zu schlagen, dass Bahnfahren doch als besonders umweltfreundlich gilt. Warum das so ist, dazu jetzt Professor Weert Canzler – er forscht am Wissenschaftszentrum Berlin zu Fragen des Verkehrs und der Mobilität und ist unter anderem auch Sprecher des Leibniz-Forschungsverbunds "Energiewende". Schönen guten Morgen, Herr Canzler!
Weert Canzler: Schönen guten Morgen!
Kassel: Warum profitiert die Bahn nicht von diesem eigentlich ja doch vorhandenen Trend zu besonders umweltbewusstem Verhalten?
Canzler: Na ja, weil zum einen natürlich die Bahn auch unter Druck ist, es gibt neue Anbieter, es gibt Fernbusse, die sehr günstig unterwegs sind, es gibt auch immer noch den innerdeutschen Luftverkehr, der zum Teil auch mit Kampfpreisen agiert. Da gibt es natürlich auch, das kann man jetzt sicherlich nicht alles auf die Bahn schieben, einen sensationell günstigen Ölpreis, das heißt, das Autofahren ist auch wieder nach einigen Jahren günstiger geworden. Das sind alles ganz schlechte Rahmenbedingungen, und die Bahn hat genau mit diesen schlechten Rahmenbedingungen zu kämpfen.
Die Fernbuspreise werden sich irgendwann konsolidieren
Kassel: Machen wir es mal konkret: Man kann im Moment – ich habe das extra noch mal nachgeguckt –, nicht Heilig Abend, aber an normaleren Tagen, von Dresden nach Köln fahren zum Preis von 10 Euro mit dem Fernbus. Da kann die Bahn sich doch eigentlich nicht mehr ernsthaft auf einen Preiskampf einlassen, oder?
Canzler: Nein, da hat sie es verdammt schwer, und dieser Kampf natürlich deswegen auch so hart, weil der Fernbusmarkt ja gerade erst entsteht, das heißt, der wird sich konsolidieren. Das ist so ein bisschen wie beim Flugmarkt nach der Öffnung. In einigen Jahren wird das auch wieder auf ein sozusagen realistisches Maß kommen, da werden wir auch Preise haben, die deutlich höher sind, aber solange das der Fall ist, hat die Bahn natürlich im Grunde auf diesen bestimmten Relationen überhaupt gar keine Chance, mitzuhalten.
Kassel: Aber es gibt ja auch Relationen, wie Sie es nennen, also Bereiche, wo die Alternativen nicht so üppig sind: Reden wir über den Regionalverkehr, egal, ob wir über S-Bahnen reden, die ja oft auch von der Deutschen Bahn AG betrieben werden oder eben über die Regionalzüge, da habe ich immer das Gefühl, das interessiert die Bahn eigentlich gar nicht.
Canzler: Ja, wissen Sie, das hat was mit einem strukturellen Problem zu tun: Der Nahverkehr wird ja ausgeschrieben, da bietet die Bahn und andere Anbieter ja sozusagen –die treten ja nicht gegenüber dem Einzelkunden auf, sondern gegenüber dem sogenannten Auftraggeber, und das ist eine Behörde, die schreibt Kilometerkontingente aus, und um die bemühen sich dann verschiedene Unternehmen. Das heißt, da ist die Kundenorientierung natürlich gar nicht direkt da, sondern da geht es darum, diese Lizenz zu kriegen für eine gewisse Zeit, und das ist eine ganz besondere Situation, die hat mit Kundenfreundlichkeit relativ wenig zu tun. Da geht es darum, einen behördlichen Auftrag zu ergattern. Das ist das strukturelle Problem, dass der Nahverkehr natürlich in gewisser Weise immer noch wie früher ein Verwaltungsakt ist, um das mal zuzuspitzen.
Kassel: Aber das klingt mir jetzt inzwischen so, Herr Canzler, als sei die Bahn einfach nur Opfer äußerer Umstände und mache selber eigentlich alles richtig – das wollen Sie mir jetzt nicht ernsthaft erzählen.
Canzler: Nein, das will ich natürlich auch nicht sagen, das ist völlig klar, aber man muss aber auch immer ... Das ist ja auch leicht, immer auf die Bahn zu schimpfen. Man muss auch sehen, was sind die Rahmenbedingungen, was sind die strukturellen Bedingungen, unter dem Nahverkehr beispielsweise organisiert wird. Ich will jetzt nicht die Bahn für alles entschuldigen – natürlich muss sie das Programm, jetzt pünktlicher zu werden und schneller zu werden und auch das, was man verspricht, auch einzuhalten, das ist natürlich richtig. Das ist sozusagen die Pflichtaufgabe, das muss auch passieren. Also jetzt da die Bahn aus allem zu entschuldigen, das will ich natürlich auch nicht.
Im Nahverkehr lässt sich kein Profit machen
Kassel: Aber sie sagt ja – wir werden um 10 Details erfahren, aber durchgesickert sind drei Punkte: Mehr Sauberkeit, mehr Pünktlichkeit, vielleicht auch ein paar Verbindungen mehr, aber vor allen Dingen auch Sparen und weniger Personal. Ist das nicht vielleicht so ein Problem, dass die Bahn, auch wenn sie immer noch im Staatsbesitz ist, ja gewinnorientiert arbeitet. Kann man vernünftigen Regional- und Fernverkehr rein gewinnorientiert organisieren?
Canzler: Nein, das kann man nicht. Das sieht man ja auch beim Nahverkehr, der ist ja auch nicht, wie gesagt, gewinnorientiert, sondern da geht es ja darum, Ausschreibungen zu gewinnen und nicht, Profite zu machen im eigentlichen Sinne. Der Fernverkehr, okay, der ist rausgenommen, da konkurriert man gegen das Flugzeug und gegen den Fernbus und so weiter, ansonsten ist die Bahn natürlich – es ist ja auch nicht die Bahn, sondern es sind ganz unterschiedliche Bereiche. Im Grunde ist es ein Riesenkonzern, auch das ist richtig, und Riesenkonzerne haben immer das Problem, dass sie dazu neigen, groß zu sein, administrative Wasserköpfe aufzubauen und dergleichen. Insofern ist es dringend notwendig, da auch zur Strukturreform zu kommen, und das ist ja jetzt auch mit diesem Plan für die nächsten Jahre vorgesehen, der heute vorgestellt wird. Ich meine, die Bahn kommt nicht drum herum, schlanker zu werden, allerdings muss man auch sehen, es gibt eben nicht die Bahn, sondern es gibt ganz unterschiedliche Sparten.
Kassel: Dann gucken wir doch mal auf die Sparte Güterverkehr: Da will man zumindest vom Namen her zurück zu alten Zeiten, die soll wieder DB Cargo heißen bald, und da soll deutlich eingespart werden. Nun bilde ich mir immer ein, auch bei Gütern ist es eigentlich umweltfreundlicher, die auf der Schiene zu transportieren als auf der Straße.
Canzler: Ja, aber da kommt das gleiche Thema, was wir gerade hatten, natürlich wieder ins Spiel: Solange es so günstig ist, auch weiterhin trotz Maut, mit dem LKW den Güterverkehr zu organisieren, solange hat es die Bahn schwer. Das ist nun mal so. Außerdem haben wir einen zweiten sogenannten Güterstruktureffekt, das heißt, die Güter werden immer kleiner, das heißt, die Massengüter, die früher mit der Bahn transportiert wurden – von Stahl über Erz –, werden, relativ gesehen, weniger und die kleineren Einheiten werden größer, und da sind kleinere Fahrzeuge, eben nicht große Güterzüge, einfach im Vorteil, auch technisch gesehen. Das heißt, da haben wir auch ein strukturelles Problem. Insofern war die Entscheidung richtig von der Bahn, nicht nur auf der Schiene zu transportieren, sondern auch in den LKW-Bereich zu gehen und das zu kombinieren.
Nur volle Züge sind umweltfreundlich
Kassel: Ich habe jetzt langsam das Gefühl bei dem, was Sie sagen, die Zukunft liegt überhaupt nicht bei der Bahn.
Canzler: Doch, die liegt da schon, aber dafür müssen natürlich auch die politischen Signale kommen. Das heißt, solange es so günstig ist, mit dem PKW und auch mit dem LKW unterwegs zu sein, das ist das eine, solange auch massiv weiterhin in die Straße investiert wird und relativ wenig in die Schiene, solange man nicht politisch sagt, wir wollen – nicht nur als Lippenbekenntnis, sondern auch über ganz konkrete Entscheidungen –, wir wollen mehr Güter auf die Schiene, auf das Wasser, und wir wollen, dass auch das Autofahren selber die realen Kosten widerspiegelt, all das muss politisch auch gewollt sein und organisiert werden. Dann erst haben wir auch einen Wettbewerb, wo nicht nur die Bahn, sondern auch andere Anbieter auf der Schiene dann möglicherweise wieder ins Spiel kommen.
Kassel: Nun habe ich schon mehrmals erwähnt, dass Bahnfahren ja so umweltfreundlich ist – das ist natürlich auch ein Pro-Argument, mit dem man im Zweifelsfall auch höhere Preise rechtfertigen kann, aber ist denn die Bahn, so wie es jetzt läuft, wirklich so umweltfreundlich wie möglich schon?
Canzler: Die Umweltfreundlichkeit hängt von dem Belegungsgrad ab, das heißt, wenn ein Zug voll ist, ist er sehr günstig. Wenn er aber nur halb gefüllt ist oder nur 30 Prozent der Sitzplätze belegt sind, dann kommt man auf Werte, wenn man jetzt auf CO2-Emissionen geht, die nicht besser sind als ein vollbesetzter PKW, geschweige denn ein vollbesetzter Bus, also das hängt immer sehr stark davon ab, wie stark die Bahn ausgelastet ist. Deswegen ist es auch so wichtig, dass es eben viele Gäste gibt und dass man auch ein elastisches Preis- und Belegungssystem hat, dass möglichst dann die Züge auch belegt werden, wenn sie eben, wie bisher, halbwegs leer durch die Gegend fahren, über günstige Ticketkontingente und so weiter, und da ist auch noch eine Menge zu tun.
Die Zukunft sind "intermodale Dienste"
Kassel: Jetzt haben wir ausschließlich über Züge geredet, wo jeder sagen würde, worüber auch sonst – die beiden reden über die Bahn, aber die Bahn bietet ja längst mehr: Man kann Fahrräder leihen bei der Bahn AG, Autoleihprojekte und Carsharing haben sie auch – ist das die Zukunft, zu sagen, wir bieten mehr als nur in den Zug einsteigen, losfahren, aussteigen und dann mach, was du willst?
Canzler: Ja, das ist die Zukunft. Das ist auch die Zukunft, die schon seit ein paar Jahren angestrebt wird, und das ist ja auch nicht so ganz neu. Es ist ja mittlerweile, das Carsharingsystem und auch die Fahrradverleihsysteme der Bahn sind ja nun schon ein paar Jahre auf dem Markt, und da funktioniert es ja auch ganz gut. Das ist nicht nur eine Imagefrage, sondern es gibt immer mehr Leute, die Verkehrsmittel so kombinieren, weil ja niemand direkt am Bahnhof wohnt in aller Regel und dann auch noch weiter muss. Das ist schon genau das Zukunftskonzept, und das ist übrigens eins, was ja auch europaweit und weltweit im Prinzip abgeguckt wird. Diese intermodalen Dienste, wie es so schön heißt, sind ja überall im Moment ziemlich am Kommen, und das ist etwas, wo die Bahn auch noch weitergehen muss, und ich glaube, das wird sie auch tun.
Kassel: Weert Canzler vom Wissenschaftszentrum in Berlin über die Probleme der Bahn und über mögliche Lösungen. Ich fürchte, Herr Canzler, wenn uns Herr Grube jetzt zugehört hat, wird er nachher auf der Pressekonferenz auch sagen, das sind strukturelle Probleme, für die wir nix können, aber vielleicht sagt er noch mehr. Ich danke Ihnen sehr für das Gespräch!
Canzler: Ja, danke auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema