Konjunkturspritze mit Nebenwirkung

Wie der Ölpreissturz die Wirtschaft beeinflusst

Erdöltanks bei Yanbu in Saudi-Arabien.
Ölraffinerie im Irak. Was bedeuten die sinkenden Ölpreise für Deutschland? © picture alliance / dpa / Mehmet Biber
Von Stefan Schmid · 14.04.2015
Die Talfahrt der Ölpreise wirkt in Deutschland wie ein großes Konjunkturprogramm. Doch es drohen auch Probleme - nicht zuletzt beim Klimaschutz.
"Nächster Halt Hebertshausen. Bitte links aussteigen."
In Bayern muss man sich nicht auf ein Pferd schwingen, um eine "Bonanza" zu besichtigen. Mit der S-Bahn kommt man nämlich viel schneller in die Ortschaft Hebertshausen im Norden Münchens. Dort steht, etwas außerhalb des Ortes, ein grünes Ungetüm in der Moränen-Landschaft: Eine sogenannte "Pferdekopf-Pumpe" zur Ölförderung.
"Das Gewicht, was hinten dran ist, dieser Hammer, der dient dazu, dass nicht über die komplette Motorleistung das Gestänge und die Förderung nach oben transportiert werden muss, sondern Gegengewichte helfen dem Antrieb, die Last wieder nach oben zu ziehen. Das Gestänge unten bewegt die Pumpe, und zwar nur durch Hubbewegung, ganz einfach dargestellt wie eine Luftpumpe, die da unten sitzt. Das Gestänge, was 1500 Meter nach unten geht, bewegt sozusagen den Kolben der Ölpumpe."
Seit 35 Jahren pumpt sie schwarzes Gold aus der Bonanza nach oben. Ein "kleiner Glücksfall" für den Ölkonzern DEA, der seit März dieses Jahres im Besitz russischer Investoren ist.
"1981 hat man mit der Hebertshausen Eins die erste Fündigkeit hier angetroffen, und seitdem fördern wir in diesem Feld. Wir haben dann die Bohrung Hebertshausen Zwei die heute noch in Betrieb ist. Dann kam eine Hebertshausen Drei dazu, diese Bohrung ist dann aber relativ schnell versiegt. Und dann hat man noch eine Hebertshausen Vier gebohrt, die aber aufgrund einer sehr starken Verwässerung dann auch 1999 wieder außer Betrieb genommen werden musste. Also derzeit fördern wir immer noch mit der Hebertshausen Zwei."
"Was ist denn das für ein Öl? Wir kennen aus den Börsennachrichten WTI aus den USA, wir kennen die Nordseeölsorte Brent, was haben wir denn hier – ist das wie Nordseeöl?"
- "Es hat ein klein bisserl schlechtere Qualität wie Brent, deshalb gibt es einen kleinen Preisabschlag zum Brent-Öl", erklärt Markus Schuster, der für das Ölfeld zuständig ist. Beim Lokaltermin steht die Pumpe zwar still. Aber nicht, weil die Ölpreise so drastisch gefallen sind, sondern "weil wir einen Gestänge-Bruch hatten."
- "Passiert das öfter?"
- "Normal nicht. Aber diese Pumpe ist jetzt doch seit 1981 in Betrieb, und auf Grund der Alterung ist das Gestänge einfach jetzt so weit, dass es ausgetauscht werden muss."
Mit einer Förderung von 10.000 Litern pro Tag ist das Ölfeld in Hebertshausen allerdings nur eine sehr kleine Bonanza.
Im globalen Öl-Jargon sind das nämlich nur 6 Barrel Öl. Das weltweit größte Ölfeld namens "Ghawar" in Saudi-Arabien spuckt an einem Tag fünf Millionen Barrel aus. Steht der Preis dieser Ölsorte bei 100 Dollar, so nehmen die Saudis also aus diesem Ölfeld an einem Tag 500 Millionen Dollar ein. Fällt der Preis auf 50 Dollar, so fehlen 250 Millionen Dollar in der Kasse – jeden Tag!
Unter hohem Druck aus dem Internet
Etwas Vergleichbares ist passiert: Die Ölpreise sind weltweit regelrecht abgestürzt. Die Talfahrt begann im Juli 2014, seit Januar ist Öl am Weltmarkt nur noch halb so teuer wie zuvor. Der Preis der europäischen Ölsorte Brent ist zum Beispiel von 110 Dollar auf um die 55 Dollar gesunken.
Professor Claudia Kemfert, Energie-Expertin am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung DIW in Berlin, erklärt die Talfahrt so: "Die Ölpreise sind in erster Linie gefallen, weil wir ein Ölangebots-Überschuss haben. Was daran liegt, dass US – Amerika mehr Öl fördert, insbesondere mittels Fracking."
Dabei wird unter hohem Druck, mit Wasser, Sand und chemischen Zusatzstoffen schwer förderbares Öl aus dem Untergrund holt.
"Aber auch Russland hat mehr gefördert. Und man hat beobachtet, dass die weltweite Ölnachfrage nicht so stark gestiegen ist, wie es eigentlich angedacht war. Und all das in der Summe hat eher zu der Erwartung geführt, dass die Ölpreise stark sinken müssten. Man muss aber deutlich sagen: Es sind in erster Linie Spekulationen, die die Preise treiben. Denn die fundamentalen Marktdaten zeigen jetzt keine Ölschwemme oder was auch immer. Sondern es sind leichte Steigerungen da, die durchaus rechtfertigen würden dass der Ölpreis etwas nach unten gehen würde. Aber nicht so stark wie man es jetzt gesehen hat", sagt Kemfert.
Wie stark Spekulation das Auf und Ab der Ölpreise verstärkt, ist in der Fachwelt umstritten. Fakt ist, dass Erdöl nun schon seit einem dreiviertel Jahr wesentlich billiger zu haben ist, als in den dreieinhalb Jahren zuvor.
Weil das schwarze Gold der wichtigste Rohstoff der Welt ist, belebt der Preisverfall das Wirtschaftsleben in vielen Ländern. Auch in Deutschland, dass traditionell sehr viel Öl importiert. Alexander Schumann, Chef-Volkswirt des Deutschen Industrie-und Handelskammertages DIHK: "Der Ölpreisrückgang ist ganz klar ein Rückenwind für die deutsche Konjunktur. Wir hatten Ende vergangenen Jahres, bevor diese Preisentwicklung eingetreten ist, ein Bild, dass die deutsche Wirtschaft gut wächst in diesem Jahr, aber auch nicht überbordend. Dann kam dieser Preisrückgang so langsam und dann auch immer gewaltiger, und dann veränderten sich auch alle Prognosen. Man muss sehen, dass allein für dieses Jahr der Ölpreisrückgang einen Wachstumsschub von 0,5 Prozentpunkten gibt, auch wir haben unsere Prognose nach oben gesetzt."
Der Konjunkturmotor läuft besser, seit Ölprodukte wieder vergleichsweise günstig zu haben sind.
Auf dem Ölfeld in Hebertshausen bricht trotz des Preisverfalls keine Panik aus. Denn der hochbetagte Pferdekopf pumpt das Öl auch bei niedrigen Ölpreisen noch rentabel nach oben.
"Nein, hat derzeit noch keinen Einfluss. Wir hoffen natürlich, dass der Preis nicht noch weiter nach unten geht. Auch diese Maßnahmen, die wir jetzt mit dem Gestänge- Wechsel vor uns haben, sind immer noch in der Größenordnung, dass sich die Förderung hier wirtschaftlich betreiben lässt."
Das Ölfeld bei Hebertshausen ist - wie schon gesagt – eine winzige Bonanza. Es gibt größere in Deutschland – in Niedersachen und Schleswig Holstein vor allem. Aber auch diese Ölvorkommen reichen bei weitem nicht aus, um den Öl-Durst des Landes zu stillen.
Derzeit decken deutsche Öl-Quellen nur knapp 3 Prozent des Jahresbedarfs ab, 1970 waren es noch acht Prozent. Die Förderung liegt zurzeit bei 2,5 Millionen Tonnen. Doch der Förderhöhepunkt ist längst überschritten, der lag 1968 bei 8 Millionen Tonnen.
Die Auswirkung des Preisrutschs
Und so muss Deutschland eine hohe Öl-Zeche ans Ausland bezahlen. Mit dem Preisrutsch am Weltmarkt sinkt die Rechnung aber drastisch. Damit bleibt viel Geld für anderweitige Ausgaben übrig. Alexander Schumann vom DIHK: "Es heißt ja so schön: Der Ölpreis ist der Brotpreis der Moderne. Und wir kucken vor allem auf den Benzinpreis als wichtigste Ausprägung. An den Tankstellen profitieren die Verbraucher. Sie werden auch bei Heizkosten profitieren, momentan einfach auf Grund der Vertragsgestaltung ist das jetzt noch in weniger Fällen so, aber das kommt sukzessive an. Die Verbraucher werden auch, wenn sie Transportdienstleistungen in Anspruch nehmen, wenn sie in die Ferne reisen, das ab Mitte des Jahres spüren. Man schließt die Verträge ja immer in die Zukunft ab, hat also jetzt noch alte Ölpreise in den Verträgen. Und der neue Ölpreis kommt eben in die neuen Verträge. Aber ab Mitte des Jahres wird das auch dort, bei Transporten, bei Flugreisen spürbar sein."
So werden allein die Verbraucher durch den Preisrückgang bei Kraftstoffen und Heizöl um 12 Milliarden Euro entlastet. Dazu kommen weitere 12 oder 13 Milliarden an Ersparnis für die Volkswirtschaft, weil auch die Unternehmen viel weniger Geld für Öl-Erzeugnisse brauchen:

"Der Ölpreisverfall nützt natürlich jenen, die auf Ölprodukte direkt zugreifen. Das sind Transportbranchen, das ist die Logistik, die in der Vergangenheit ja relativ belastet waren von dieser Seite, die atmen jetzt durch. Auf der anderen Seite auch diejenigen, die jetzt Komponenten, die aus Erdöl hergestellt werden, verarbeiten, das sind nun mal auch die klassischen Branchen des Geschäftsmodells Deutschland, der Maschinenbau, die KFZ-Industrie, die Elektrotechnik, teilweise auch die Textilindustrie, die ja auch sich in den letzten Jahren sehr stark spezialisiert hat auf Industriematerialien, da entsprechend auch Erdöl als Rohstoff hat, aber auch energieintensiv ist und von dieser Seite profitiert wenn da die Preise zurückgehen. Es ist also, wenn man so will, der industrielle Kern unserer Volkswirtschaft, der davon profitiert."
Damit winken den Unternehmen höhere Gewinne. Und den Verbrauchern - wenn der Wettbewerb funktioniert - günstigere Preise. Denn der Rohstoff Erdöl wird vielfältig verarbeitet.
Neunzig Prozent des Öls verbrennen in Motoren und Heizungen. Aber zehn Prozent landen in tausenderlei Produkten des täglichen Lebens:
"Sie stehen morgens auf, gehen ins Bad, öffnen den Wasserhahn. Dann kommt eben durch das Kunststoffrohr, das mit Erdöl hergestellt wurde, das Wasser. Sie rasieren sich, wenn sie ein Mann sind, mit Rasierschaum, da ist Erdöl drin. Oder genauso im Duschbad, im Shampoo, im Deo, in der Seife. Sie gehen dann in die Küche, öffnen die Lebensmittelverpackungen, die aus Kunststoff sind, und genehmigen sich ihr Frühstück. Steigen ins Auto um auf die Arbeit zu fahren, dort greifen sie das Lenkrad an, das ist aus Kunststoff, schalten mit dem Schaltknüppel aus Kunststoff, rollen auf den Reifen, die aus Gummi hergestellt sind, und so können sie das fortsetzen. Selbst wenn sie dann nach einem langen Arbeitstag in den Sportklub gehen und Tennis spielen, haben sie dort Erdöl in der Hand, in Form ihres Tennisschlägers, oder eben auch ihrer Tennisbälle."
Das Grundstück mit der Förderanlage in Hebertshausen ist etwas größer als ein Tennisplatz, aber kleiner als ein Fußballfeld. Neben der Pferdekopfpumpe stehen dort noch einige Öltanks herum, zwei silbern glänzende sind senkrecht aufgestellt.
"Was wir hier sehen, sind eben Lager- beziehungsweise Klärtanks. Das Öl, wenn es raufkommt, hat eine Verwässerung, hat einen Wasseranteil von 16 Prozent. Diesen Wasseranteil müssen wir aus dem Öl hier auf der Station schon rausholen.In den ersten beiden Tanks, findet die Klärung statt, das Wasser wird abgeschieden und das Öl läuft über zwei Stufen in einen eigentlichen Lagertank, das ist dieser längere zylindrische liegende Tank. Dort stapeln wir das Öl, bis es dann abgeholt und zur Raffinerie transportiert wird, beziehungsweise zu unserem Partner, die RAG in Österreich, die von uns das Öl übernimmt."
Die RAG ist ein Ölkonzern, der in Bayern gerade auf Ölsuche ist, in Ampfing. Dort wurde schon einmal Öl gefördert. Projektleiter Ernst Burgschwaiger will nun mit fortschrittlicher Technik wieder eine kleine Bonanza einrichten. Statt einer alten Pferdekopf-Pumpe soll aber nur noch ein Container an der Oberfläche stehen:
"Die Kosten sind deutlich zurückgegangen, vielleicht wenn ich ein Beispiel nehme: So ein Pumpenbock, so eine Sonde musste früher einmal im Jahr gewartet werden, Wartungsdauer war ungefähr zwei Wochen. Heutzutage muss eine Sonde alle 10 Jahre gewartet werden – also da hat sich doch einiges getan."
Die Scheichs geben den Ton an
Der aktuelle Ölpreisverfall schmälert die Gewinnchancen des Projektes zwar. Aber das Feld soll mindestens eine Dekade lang Öl liefern. Ernst Burgschwaiger glaubt:"… dass diese Niedrig-Preis-Phase noch eineinhalb Jahre anhalten wird. Und Saudi-Arabien wird das bestimmen. Aber dann sollten die Preise wieder ansteigen, weil einfach die Fundamental-Daten nicht für so ein Preisniveau sprechen, wie wir es derzeit haben."
Saudi-Arabien ist der wichtigste Ölexporteur der Welt. Die Scheichs geben auch im Förderkartell OPEC den Ton an, sie könnten den Ölpreis beeinflussen.
Zwei Mal haben sie das schon getan, 1973 und 1979, und den Ölpreis durch einen Lieferboykott nach oben getrieben.
Und im vergangen Jahr hätten sie den Preisverfall bremsen können – dank ihrer dicken Finanzpolster können sie magere Jahre sozusagen "aussitzen".
Aber die Scheichs wollten den Ölhahn nicht zudrehen, angeblich um ihren Marktanteil zu halten. Der britische Ölexperte Paul Stevens sprach auf einer Konferenz der Denkfabrik Chatham House in London von einer "historischen" Entscheidung: "Für mich war das die wichtigste Entscheidung der OPEC seit Oktober 1973, als die Mitglieder sagten: Es ist unser Öl, wir setzten den Preis. Es ist eine ähnlich wichtige Entscheidung in der Geschichte dieser Industrie. Weil sie auf die Preiskontrolle verzichten und den Ölpreis im Konkurrenzkampf am Markt bestimmen lassen."
Energieexpertin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung erklärt die Zurückhaltung der Saudis mit der Situation am Ölmarkt: "Man muss sich genau anschauen: Woher kommen denn diese Ölangebotssteigerungen. Und die kommen eben aus Nicht-OPEC-Staaten, insbesondere aus den USA und Russland. Und jetzt fragt die OPEC zu Recht: Warum sollten wir drosseln, wenn andere immer mehr fördern. Einerseits, würde das überhaupt etwas bringen, andererseits ist damit ja nicht sichergestellt dass die anderen OPEC-Staaten nicht dennoch mehr fördern würden. So dass der Einfluss eher begrenzt war. "
Außerdem haben die Saudis schon einmal schlechte Erfahrungen mit einer Förderkürzung gemacht. Chatham – House -Experte Paul Stevens:" I think they felt they had no choice. … Because every time they cut, somebody else would increase their production."
Ich glaube sie haben gemerkt, dass sie keine Wahl hatten. Dass sie, wenn sie hart bleiben, denselben Weg gehen würden wie zwischen 1981 und 1985, als sie einen riesigen Marktanteil verloren haben. 1980 produzierte Saudi-Arabien 10,5 Millionen Barrel pro Tag, 1995 waren es nur noch 2,5 Millionen. Sie konnten sich ausmalen, wenn sie die Förderung im November drosseln, müssten sie drei Monate später wieder drosseln, und wieder und wieder. Weil bei jeder Förderkürzung jemand anders seine Förderung erhöhen würde.
Denn die meisten Länder, die vom Ölexport leben, brauchen dringend Öl-Dollars, um ihre Wirtschaft in Schwung und ihre Bevölkerung bei Laune zu halten. Das gilt für viele Staaten im arabischen Raum und in Afrika, aber auch für Venezuela oder Russland. Die Verschwörungs-Theorie, die Saudis hätten in Absprache mit den USA den Ölpreis fallen lassen, um Russland in die Knie zu zwingen, kann Claudia Kemfert nicht nachvollziehen: "Immer dann, wenn sehr viel Spekulation, wenn sehr viele Erwartungen im Markt sind, und die Preise in eine Richtung pendeln, steigen auch die Verschwörungstheorien immer weiter an. Fakt ist: Russlands Einnahmen hängen sehr stark an den Ölverkäufen, insofern ist Russland sehr verletzlich, was die Öleinnahmen angeht. Ungefähr 60 Prozent der Staatseinnahmen entstehen fast ausschließlich durch die Ölverkäufe, die Russland tätigt. Das ist Geld was tatsächlich auch fehlt. Russland ist allerdings im Moment in der Lage durch diverse Reserven die es hat, sicherlich auch längere Zeit zu überbrücken."
DIHK-Volkswirt Alexander Schumann teilt diese Einschätzung: "Es wird ja weiter gefördert und weiter Öl abgesetzt, und das ist das Entscheidende. Man hat auch technische Lernkurven, also dass man mit seinen Kosten jetzt runterkommt. Dazu bestand ja in der Vergangenheit keine Notwendigkeit weil einfach der Ölpreis so gut war, dass man gesagt hat: Hier kann ich immer weiter fördern und muss mir über technologischen Fortschritt bei meinen Förderanlagen weniger Gedanken machen. Das passiert jetzt, man hat da eine Kostenkurve, die nach unten zeigt. Und das alles zusammengenommen kann man nicht davon ausgehen, dass jetzt beim jetzigen Preis Russland bald das Geld ausgeht und der Staat Pleite gehen würde."
Die wirtschaftliche Talfahrt in Russland und die damit verbundene Abwertung des russischen Rubel bereiten allerdings einigen deutschen Unternehmen Probleme, etwa dem Sportartikelhersteller Adidas, dem Einzelhändler Metro oder Autoherstellern wie VW und Opel, die dort produzieren. So beschloss Opel, die Autofabrik in St. Petersburg zu schließen, VW fährt die Produktion in Kaluga herunter. Die meisten Firmen können Absatzeinbußen in Russland aber in anderen Ländern ausgleichen: "Die große Stärke der deutschen Exportwirtschaft ist ja, dass sie sehr breit aufgestellt ist. Wir haben keine Zielregion, die einen Anteil von über 10 Prozent hätte, unser wichtigster Handelspartner, Frankreich, hat 9,5 Prozent Anteil an unseren Exporten. Dann kommen ganz viele Zielregionen, die sich zu den Exporterfolgen zusammenaddieren, die wir haben. Und deswegen sind eben auch einzelne Länder, die jetzt in Schwierigkeiten geraten weil Öleinnahmen nicht mehr so fließen, nicht ausschlaggebend für uns, es überwiegt der Vorteil der zurückgegangen Preise."
Manche Bohrlöcher rechnen sich nicht mehr
Nur die Ölbranche muss den Gürtel erst mal enger schnallen. Manche Bohrlöcher rechnen sich nicht mehr, der Rationalisierungsdruck steigt. Allerdings nicht in Hebertshausen – dort ist die alte Fördertechnik immer noch gut genug: "Nein, hier in diesem Feld macht das keinen Sinn. Das Öl fließt wunderbar der Lagerstätte zu und wir können es einfach hochpumpen, ohne dass wir irgendwelche zusätzliche Maßnahmen ergreifen müssen. Alle Öl und Gasfelder sind Gesteinsschichten die einen entsprechenden Porenraum haben, wo das Öl drin sich befindet, oder das Gas auch. Und diese Poren müssen dann auch noch miteinander verbunden sein, das ist die Permeabilität, also die Durchlässigkeit. Nur dadurch kann das Öl oder das Gas zu den Bohrungen strömen. Die Mächtigkeit dieser Schicht, es handelt sich um den Rupel- Sandstein, diese Mächtigkeit ist 9 Meter. In dieser Schicht ist das Öl eingelagert und strömt dann zu der Bohrung hin."
Ölförderung ist keine Schlüsselbranche in Deutschland, Autoproduktion schon. Dort haben sich die Rahmenbedingungen drastisch geändert: Benzin ist billig, Spritsparen lohnt sich weniger als bisher. Spritschlucker könnten also wieder in Mode kommen. Energie-Expertin Claudia Kemfert erwartet aber keine grundlegende Verhaltensänderung der Autokäufer: "Sowohl im Mobilitätsbereich als auch in der energetischen Gebäudesanierung haben wir es hier mit mittel- bis langfristigen Investitionszyklen zu tun, die jetzt nicht durch kurzfristige Preisentwicklungen sehr stark beeinträchtigt werden. Denn in der Tat ist der Benzinpreis, der Ölpreis im Moment sehr niedrig. Aber der Kauf eines Autos wird alle sieben bis neun Jahre entschieden, dann kommen die Ölheizungen und entsprechende Gebäudesanierungen die auch für längere Zeiträume entschieden werden. Und dadurch, dass man mit steigenden Preisen rechnen wird, sind diese sehr kurzfristigen Preisschocks jetzt nicht unbedingt ein Indikator dafür, dass man jetzt sofort wieder nur Spritschlucker kauft oder jede Menge Ölheizungen sich zulegt. Sondern das sind mittelfristige Entscheidungen, die von solchen kurzfristigen Entwicklungen doch eher nicht beeinträchtigt werden."
Andere Experten glauben dagegen, dass der Ölpreis die Kaufentscheidungen schon beeinflusst. Professor Ferdinand Dudenhöffer, er lehrt Betriebs- und Automobilwirtschaft an der Universität Duisburg-Essen: "Der Autoabsatz an sich steigt nicht durch Änderungen der Ölpreise. Denn Deutschland ist so ein Markt, der ist gesättigt. Aber die Fahrzeuge, die verkauft werden, sind anders: Es werden wieder mehr PS nachgefragt, die SUV` s verkaufen sich noch besser als in der Vergangenheit, also: Niedrigerer Ölpreis führt dazu, dass man dickere, größere, breitere und Mehr-PS Autos kauft."
In den USA ist Sprit wegen niedrigerer Steuern noch viel billiger als hierzulande. Deswegen warnte US-Präsident Obama seine Landsleute, keine Spritsäufer zu kaufen, weil der Benzinpreis wieder steigen wird: "Don't get a gas-guzzler. Because Gasoil is going to go back up".
Doch die amerikanischen Autokäufer werden diese Mahnung wohl ignorieren. Ferdinand Dudenhöffer: "Die Amerikaner, die reagieren sehr schnell auf niedrige Energiepreise dadurch dass sie ihren Energiekonsum in die Höhe treiben. Man hat gerne diese Pickups, die größeren Pritschen-Fahrzeuge, bei uns gibt es die kaum. Und natürlich die SUV´ s. Die SUV` s sind bei uns eher kleiner oder mittel in der Größe, in Amerika, da liebt man wirklich die ganz großen Fahrzeuge, die großen Pickups mit großen Motoren. Dort geht der Trend ganz klar dort hin: Niedriger Ölpreis, ganz dicke Motoren und große Autos."
Die deutschen Autohersteller beteuern weiter verbrauchsarme Fahrzeuge anbieten und entwickeln zu wollen. Matthias Wissmann, der Präsident des Verbandes der deutschen Automobilindustrie: "Wir werden unabhängig vom Ölpreis in Effizienz und damit niedrigere CO2-Emissionen, niedrigere Verbräuche investieren. Auch wenn wir wissen, dass der Markt gegenwärtig das nicht so abfordert wie vor ein oder zwei Jahren."
Doch der Anreiz für Automanager und Autohändler, den Absatz großer Fahrzeuge zu forcieren, ist stark. Branchenkenner Dudenhöffer sagt: "Bei den Autobauern ist es so: Je größer das Fahrzeug ist, desto größer ist der Gewinn am Fahrzeug. Größere Fahrzeuge, mehr PS, das ist eher eine schöne Sache für die Autobauer, auch die SUV-Welle ist eine schöne Sache für die Autobauer, damit sind höhere Gewinne verbunden. Da versucht man mit neuen Modellen, mit neuen Motoren diesen Drang nach mehr Auto bei den Kunden zu befriedigen – denn es geht in bessere Gewinne."
Strengere Umweltvorschriften
In der EU müssen Kfz- Hersteller zwar in sechs Jahren strengere Umweltvorschriften erfüllen. Oder Geldstrafen bezahlen, die durchaus schmerzen würden. Aber die Hürden sind niedrig, für große SUV` s steht ein Hintertürchen offen: "Mit den heutigen Motoren kann ein Großteil der Fahrzeuge schon die Richtlinien von dem Jahr 20/21 erfüllen, in den nächsten Jahren bleibt für die Autobauer da genügend Luft, da wird niemand Strafen bezahlen müssen. Selbst durch diesen SUV-Trend, den wir haben. Weil die CO2-Vorschriften relativ schnell, einfach und gut für die Autobauer zu erfüllen sind."
Die Entwicklung besserer E-Autos dürfte zwar interessant bleiben, weil das Smog-geplagte China stark in diese Richtung drängt – und dieser Absatzmarkt ist riesig. Aber in Europa und anderswo bleiben Autos mit alternativen Antrieben wahrscheinlich weiterhin Ladenhüter: "In der Entwicklung sieht man, dass die Elektroautos es derzeit sehr schwer haben im Markt. Aber nicht nur die Elektroautos, sondern auch Erdgas-Fahrzeuge, Flüssiggasfahrzeuge, alles was alternative Antriebe sind. Und die sind dabei, abzusterben – also der niedrige Ölpreis ist Gift für die alternativen Antriebe. Die Freude ist beim Verbraucher, ganz klar, wenn er an der Tankstelle seine Rechnungen bezahlt. Aber für unsere Umwelt ist es so, dass der billige Spritpreis dazu führt, dass mehr verbraucht wird, dass mit größeren Fahrzeugen gefahren wird, dass wir schneller in diesen Klima-Konflikt kommen und schwieriger gegensteuern können."
Für die Ölbranche wäre diese Entwicklung natürlich positiv - weil sich damit die Aussichten auf eine Preiserholung verbessern: "Im Augenblick pumpen wir nur das Bohrloch leer, in zwei drei Tagen hoffen wir dann, was von der Lagerstätte zu sehen", erklärt Projektleiter Andreas Hollauer vom Ölkonzern Wintershall, dem größten deutschen Erdgas-und -ölproduzenten. Eine Probebohrung in Lauben im Allgäu soll Hinweise liefern, wie ergiebig das Ölfeld im Untergrund ist: "Es lohnt sich hier für uns als Firma, weil wir in Deutschland versuchen, auch Technologien zu entwickeln. Aber jetzt auf den Preis bezogen: Sie sehen ja: Dieses Projekt hat vor vier Jahren angefangen, steht jetzt vielleicht vor der Realisierung, und wird möglicherweise 10 Jahre Öl fördern. Daher sind solche kurzen Schwankungen weniger von Interesse. Wir haben die Langfristigkeit im Blick und denken, dass wir hier in Deutschland wirtschaftlich weitere Projekte voranbringen können."
Ob Erdöl langfristig wieder wertvoller wird, ist freilich ungewiss. Der jüngste Preissturz hat wieder einmal gezeigt, dass Ölpreisprognosen auf wackligen Beinen stehen, dass technischer Fortschritt die Welt des Erdöls drastisch verändern kann. Die Ölnotierungen an den Finanzmärkten reagieren mittlerweile auf kleinste wirtschaftliche und politische Veränderungen, Spekulation spielt eine große Rolle.

Der Handel mit Ölkontrakten ist von kurzfristiger Hektik geprägt, die Ölnotierungen schwanken sehr stark, die Unsicherheit ist groß. Ölkonzerne wie BP wagen trotzdem immer wieder einen Blick in die Zukunft, schließlich brauchen sie Perspektiven, um ihre Investitionen zu planen. Chef-Ökonom Spencer Dale skizziert die Zukunft so: "The big picture is: the oil market is growing out of it`s current weakness. … and that will take several years, oil demand will grow sufficiently to obsole the increase of supply form the US."
Das große Bild ist: Der Ölmarkt wächst aus seiner gegenwärtigen Schwäche heraus. Das Wachstum des Fracking-Öls wird sich abflachen. Wir denken aber nicht, dass das Angebot an Fracking-Öl aus den USA stark sinken wird. Die Weltwirtschaft wird wachsen, und damit auch die Nachfrage nach Öl. Und nach einiger Zeit, mehreren Jahren, wird die Öl-Nachfrage groß genug sein, um den Anstieg des Angebots aus den USA zu übertreffen.
Liegt BP-Ökonom Spencer Dale richtig, so würde Erdöl in den nächsten Jahren vergleichsweise billig bleiben. Die Internationale Energieagentur sieht das ähnlich: Die Fracking-Förderer in den USA werden nach Ansicht der IEA nicht in großem Stil vom Markt verschwinden – und weiter als Preisbremser wirken. Damit würde der Rückenwind für die deutsche Konjunktur noch eine Weile anhalten. Doch solche Vorhersagen sind nur ein Blick in die Glaskugel, im Ölgeschäft kommt es oft ganz anders, als man meint.
Das gilt auch für das beschauliche Öl-Feld im bayerischen Hebertshausen. Betriebsleiter Markus Schuster weiß nämlich nicht, wie lange er dort noch schwarzes Gold zapfen kann: "Das ist in dem Feld eine schwierige Frage weil: Nach den Seismik-Daten, die man damals gewonnen hat, wäre es eigentlich schon zu Ende. Das heißt wir sind eigentlich in einer Förderphase, wo wir uns freuen, dass es noch weiter geht. Aber nach den ursprünglichen Daten wäre eigentlich das Feld jetzt ausgeschöpft."
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