Kongolesischer Unabhängigkeitsheld

Der tödliche Mut des Patrice Lumumba

08:32 Minuten
Patrice Lumumba (M) wird am 2. Dezember 1960 von Mobutu-Truppen verhaftet und der Presse vorgeführt
Brutales Ende: Patrice Lumumba (M) wird am 2. Dezember 1960 von Mobutu-Truppen verhaftet und später erschossen. © picture-alliance/ dpa | UPI
Von Alexander Behr · 13.01.2021
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Am 17. Januar 1961 starb der erste Regierungschef des unabhängigen Kongo: Patrice Lumumba. Er hatte selbstbewusst wirkliche Unabhängigkeit von den Kolonialmächten gefordert - und bezahlte dafür mit seinem Leben. Das Verbrechen wirkt bis heute nach.
Geboren am 2. Juli 1925 in der Provinz Kasai, ist Patrice Lumumba zunächst Postbeamter und Gewerkschafter. Schnell macht er sich als talentierter und charismatischer Redner einen Namen. Er spricht sich für einen geeinten Kongo jenseits von ethnischen Barrieren aus und ist ein vehementer Gegner der Kolonialherrschaft.
Im Gegensatz zu anderen Parteiführern strebt Lumumba nicht nur die formelle Unabhängigkeit an. Er will das Land auch in die wirtschaftliche Unabhängigkeit führen. Im Jänner 1959 kommt es in der Hauptstadt Leopoldville, dem heutigen Kinshasa, zu Massendemonstrationen gegen die Kolonialherrschaft, die sich auf das ganze Land ausbreiten und die blutig niedergeschlagen werden.
Mittlerweile ist auch den Belgiern klar: Die Unabhängigkeit des Kongo lässt sich nicht länger hinauszögern. So beginnen am 20. Januar 1960 in Brüssel die Unabhängigkeitsverhandlungen – zunächst ohne Lumumba; der sitzt wegen sogenannter "antikolonialer Umtriebe" im Gefängnis.

Belgien gibt dem Druck der Kongolesen nach

Doch die kongolesischen Delegierten fordern seine Befreiung. Die Kolonialregierung lenkt ein, er kommt nach Brüssel, mit verletzten Handgelenken. So kann er am berühmten "table ronde", den Verhandlungen am "Runden Tisch", teilnehmen. Die kongolesischen Delegierten agieren geschlossen. Belgien gibt dem Druck nach. Am 30. Juni 1960 soll der Kongo unabhängig werden.
Nach Beendigung der Verhandlungen finden am 25. Mai 1960 im Kongo Parlamentswahlen statt, von denen Lumumbas Partei MNC als Sieger hervorgeht. 30. Juni 1960, Palais de la Nation, Léopoldville.
Die Kongolesinnen und Kongolesen feiern die Unabhängigkeit, müssen aber die herablassende Rede des belgischen Königs Baudouin, Onkel des heutigen Königs Philippe, hören, in der er die angeblichen Wohltaten von König Leopold II. rühmt: "Kongos Unabhängigkeit stellt die Krönung des Werkes dar, das König Leopolds eigenes Genie ersann, das er mit hartnäckigem Mut unternahm und an dem Belgien unverdrossen weiter arbeitete."

Lumumba widerspricht dem belgischen König

Kein Wort zu den unvorstellbaren Gräueltaten an der kongolesischen Bevölkerung, kein Wort zu den Millionen Opfern von Ausbeutung und Unterdrückung. Ein Schlag ins Gesicht der Kongolesen. Während der König spricht, notiert Patrice Lumumba in Windeseile eine Rede. Ohne dass es im Protokoll vorgesehen wäre, ergreift er das Wort. Was dann folgt, ist eine spektakuläre Abrechnung mit Belgien und ein flammendes Bekenntnis zur Überwindung der Kolonialherrschaft.
"Kämpfer der Unabhängigkeit, heute siegreich. Unsere Wunden sind zu frisch und noch immer zu schmerzhaft, um sie aus unserer Erinnerung zu vertreiben. Wer wird je die Massaker vergessen, in denen so viele unserer Geschwister umgekommen sind, die Gefängnisse, in die jene geworfen wurden, die sich weigerten, sich einem Regime der Unterdrückung und Ausbeutung zu unterwerfen? Zusammen, meine Brüder, meine Schwestern, werden wir einen neuen Kampf beginnen, einen erhabenen Kampf, der unser Land zu Frieden, Wohlstand und Größe führen wird."
König Boudoin ist erzürnt. Bereits zu diesem Zeitpunkt bahnt sich an, dass die ehemalige Kolonialmacht brutal zurückschlagen wird. Denn allen ist klar: Lumumba schickt sich ernsthaft an, der Ausbeutung des Kongo ein Ende zu bereiten.
Ein Schreckensszenario für Belgien, für die mächtige Bergbauunion Union Minière und die Konzessionäre, sagt Buchautor und Aktivist Emmanuel Mbolela: "Die Kolonialmächte wussten, dass es für sie nicht mehr möglich sein würde, sich ohne Wenn und Aber den Ressourcen des Landes zu bedienen, wenn Lumumba an der Spitze des Staates stünde. Sie wussten, dass Lumumba alle bisherigen Wirtschaftsbeziehungen neu verhandeln würde. Das war inakzeptabel, denn das hätte die Entwicklung von Belgien und ganz Europa zu sehr gebremst."

Belgien unterstützt separatistische Bestrebungen

Moishe Tschombé, Präsident der Provinz Katanga, erklärt die Abspaltung des riesigen und rohstoffreichen Landesteils. In seinen separatistischen Bestrebungen wird er augenblicklich von Belgien unterstützt.
Der bekannte Schweizer Soziologe und Buchautor Jean Ziegler erlebte als junger UNO-Mitarbeiter die Kongo-Krise aus nächster Nähe mit. "Stellen Sie sich vor, nur 12 Tage nach der Unabhängigkeit – als die Minenprovinz Katanga ihre Unabhängigkeit erklärt. Die unglaublichen Reichtümer des Landes sind dort konzentriert. Die Provinz erklärt also die Unabhängigkeit, konstituiert ihre eigene Regierung, schafft eine eigene Armee."
Lumumba versucht zu retten, was zu retten ist: Als er von der Abspaltung Katangas erfährt, fliegt er mit Präsident Kasavubu dorthin – doch der belgische Kommandant Weber, der später in die Ermordung Lumumbas involviert sein wird, erteilt ihnen keine Landeerlaubnis für den Flughafen der Provinzhauptstadt Elisabethville. Belgische und amerikanische Geheimdienste beginnen mit dem Armeechef und späteren Langzeitdiktator Mobutu zusammenzuarbeiten. Der Handlungsspielraum von Lumumba wird immer enger.

Lumumba und seine Mitstreiter werden ermordet

Im September wird Lumumba zu Hausarrest verurteilt. Er versucht zu fliehen, doch Armeechef Mobutu lässt ihn von Soldaten verfolgen. Mit zwei seiner Mitstreiter wird Lumumba gefasst und in einer Kaserne bei Thysville im Westen des Landes interniert. Bald danach bringt man ihn auf Betreiben des belgischen Ministers d'Aspremont nach Katanga; er wird mehrere Stunden verhört und gefoltert. Im Beisein von vier belgischen Polizisten, Präsident Tschombé und zwei Ministern der abtrünnigen Provinz werden Lumumba und seine Mitstreiter erschossen. Um alle Spuren zu beseitigen, gräbt ein belgischer Polizeibeamter die Leichen kurze Zeit später wieder aus, zerstückelt sie mit einer Säge und löst sie in Säure auf.
Der Buchautor und Aktivist Emmanuel Mbolela: "Stellen Sie sich einmal vor, man hätte General de Gaulle auf Betreiben eines afrikanischen Landes auf diese Weise ermordet... Unvorstellbar! Stellen Sie sich vor, ein schwarzer Polizist würde sich in Fernsehinterviews damit brüsten, den leblosen Körper eines europäischen Staatsführers zerstückelt und in Säure aufgelöst zu haben – unvorstellbar. Was geschehen ist, schmerzt heute noch."
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