Konföderation von Israel und Palästina

Zwei Staaten, eine Heimat

Ein Grenzzaun in der Nähe der palästinensischen Stadt Beit Jala
Grenzzaun bei Beit Jala © Sabine Adler
Von Sabine Adler · 17.12.2017
Eine Initiative von Israelis kämpft für eine Konföderation von Israel und Palästina. In echten Begegnungen lernen beide Seiten, das Recht auf Heimat des anderen anzuerkennen: "Eine Zukunft kann es nur gemeinsam geben."
Freitagnachmittag in Tel Aviv-Jaffa, die Sonne ist fast im Meer versunken, Bier und Weißwein fließen. Mit ihren Gläsern in der Hand tanzen junge Leute in der Fußgängerzone, das Kneipenviertel wird zur Partymeile, der Pegel steigt. Die Zeiger des berühmten Uhrenturms von Jaffa stehen auf kurz nach halb fünf. Die hier zum Wochenende so richtig aufdrehen, sind entweder Ausländer oder säkulare Juden. Ganz anders in den jüdischen Gebieten Israels, wo alles zum Erliegen kommt, denn der Schabbat beginnt.
Gläubige Juden sind jetzt höchstens noch zu Fuß unterwegs, Busse und Bahnen fahren nicht mehr, Theater, Kinos, Restaurants und Geschäfte haben geschlossen, das öffentliche Leben steht still. Eliaz Cohen geht jetzt für 25 Stunden nicht mehr an sein Handy, der Computer bleibt aus, er trifft sich nicht mal mehr mit den Mitstreitern seiner Organisation "Two states – one homeland", "Zwei Staaten – ein Heimatland". Und das, obwohl es für ihn nichts Wichtigeres als diese Friedensinitiative für seine Heimat gibt. Der 44-Jährige mit dem wilden rotblonden Lockenschopf ist einer der Gründer dieser jungen Organisation, die etwas ganz Besonderes auszeichnet: Ihr gehören sowohl Juden als auch Palästinenser an.
"Wir haben viele Partner in der Initiative. Sie ist inzwischen angewachsen zu einer Bewegung. Wir nennen sie "Zwei Staaten – ein Heimatland". Das ist eine Vision von Israel und Palästina, die uns – Israelis und Palästinenser – verbindet. Schon dass wir Partner sind, widerspricht der weitverbreiteten Annahme, dass man unter den Palästinensern keine Verbündeten finden würde. Aber wenn du mit einem offenen Herzen und Verstand auf sie zugehst, kannst du absolut alles ansprechen und findest sehr starke Mitstreiter auf der anderen Seite und bist das du auch für sie."

Zwei-Staaten-Lösung für Aktivisten nicht mehr umsetzbar

Die Aktivisten um Eliaz Cohen geben der Ein-Staaten-Lösung wegen des endlosen Kampfes um die Führung keine Chance. Die bisherige Zwei-Staaten-Lösung sei wegen der vielen jüdischen Siedlungen nicht mehr umsetzbar, es sei denn, man zwinge 300.000 Menschen, wieder umzuziehen. Der intensive Siedlungsbau hat zusammenhängende Territorien für zwei künftige Staaten unmöglich gemacht. Das Westjordanland, von den Siedlern Judäa und Samaria genannt, sieht auf der Landkarte aus wie ein löchriger Käse. Die Konföderation, die die Initiative "Zwei Staaten – Ein Heimatland" dagegen anstrebt, funktioniere auch ohne in sich geschlossene Gebiete, sagen ihre Verfechter.
Eliaz Cohen ist Siedler, aber kein militanter, und orthodoxer Jude. Seine Familie beruft sich stolz auf ihre biblische Verwandtschaft zu Moses Bruder Aaron. So wichtig Eliaz sein Glaube ist, so wenig hält er von den ultraorthodoxen Juden, die sind ihm zu fundamentalistisch, zu extrem, nicht in der Lage, auf andere zuzugehen. Eliaz Cohen fällt das dagegen sichtbar leicht. Der vierfache Vater verdient seinen Lebensunterhalt mit dem Verfassen von Gedichten und gibt Kurse im literarischen Schreiben.
Der Poet, Aktivist und Siedler Eliaz Cohen (rechts) im Gespräch mit Sabine Adler
Der Poet, Aktivist und Siedler Eliaz Cohen (rechts) im Gespräch mit Sabine Adler© Deutschlandradio / Sabine Adler
Das Gedicht stammt aus seinem neuesten Band "Hear, oh Lord" und beschreibt Kfar Etzion, seinen Kibbuz, der in die Geschichtsbücher einging wegen des Massakers vor 70 Jahren. Die jüdische Siedlung liegt inmitten palästinensischer Dörfer und war deshalb im Unabhängigkeitskrieg 1948 Ziel eines Angriffs von Palästinensern und Kämpfern der Arabischen Union. Alle jüdischen Männer von Kfar Etzion wurden getötet. Die Spannungen bestehen bis heute. Was man leicht vergisst, wenn man sich in der großzügig angelegten Siedlung bewegt.
Auf einer weiten Wiese in Kfar Etzion jagen Jungen und Mädchen einem Kätzchen hinterher. Der Kibbuz besitzt eine Infrastruktur, die eher zu einer Kleinstadt passen würde, denn zu einem kleinen Dorf. Am Kindergarten, der Gärtnerei, dem Obst- und Gemüseladen mit Früchten aus eigenem Anbau und kleinen Geschäften vorbei, geht es zur Synagoge, denn Kfar Etzion versteht sich als religiöser Kibbuz.
Eliaz: "Hier ist der Kindergarten, hier die Synagoge. Nach links...You can park here."
Das Auto kann offen bleiben. Wir gehen zur Synagoge von Kfar Etzion. Dort ist die Menorah.
"Ich wuchs auf mit der heroischen Geschichte von Kfar Etzion. Dann, 2009, traf ich einige Enkel der Kämpfer von palästinensischer Seite und hörte die gesamte Story aus deren Perspektive. Da verstand ich, dass wir offen sein sollten für ihre Version und diese dann vielleicht sogar mit unserer kombinieren, denn sie sind doch sehr widersprüchlich. Das war erstaunlich."
Vom höchsten Punkt des Kibbuz öffnet sich eine weite hügelige Landschaft.
"Wir können den Muezzin von Beit Umar hören, sein Gebet. Beit Umar ist eine kleine Nachbarstadt mit 22.000 Einwohnern. Und wir sehen hier ringsherum die Berge von Hebron, sie sind die höchsten in Judäa. Sie sind mehr als 1.000 Meter hoch, so wie wir, wir liegen fast so hoch, 950 Meter. Und deswegen gibt es im Winter oft Schnee. Diese Orte ringsherum empfinden wir nicht als Bedrohung, sie gehören einfach zu diesem Platz. Eine Zukunft kann es nur gemeinsam geben, nicht, wenn man versucht, uns voneinander zu trennen."

Jüdische Siedler und palästinensische Patrioten als Partner

Seit dem Osloer Abkommen von 1993 und dem Gaza-Jericho-Abkommen von 1994 bleiben jüdische und palästinensische Bewohner fast völlig unter sich. Denn das Westjordanland wurde in A-, B- und C-Gebiete unterteilt, für die jeder eine Zugangsberechtigung vorweisen muss. Zusätzlich schränkt die fast 800 Kilometer lange und am Gazastreifen bis zu 40 Meter tief in den Boden gegrabene Mauer die Bewegungsfreiheit auf Straßen und illegalen Tunneln massiv ein. Das acht Meter hohe Bauwerk bewirkte, dass zwar deutlich weniger Menschen durch Selbstmordattentate getötet wurden. Andererseits nimmt die gegenseitige Dämonisierung immer weiter zu, weil Juden und Palästinenser sich nicht mehr persönlich treffen.
Blick auf die palästinensische Stadt Beit Jala
Die Stadt Beit Jala im besetzten Westjordanland © Sabine Adler
"Einer meiner wichtigsten Partner, Awni al Mashni, war einer der Fatah-Gründer in den 1970er-Jahren im Westjordanland. Er wurde von den Israelis verhaftet und saß mehr als zehn Jahre im Gefängnis. Er ist ein palästinensischer Patriot, Held und Anführer. Bei unserem ersten Treffen vor fünf Jahren sagte er uns, dass er die Verbindung der Juden zu diesem Land anerkennt. Das ist euer Heimatland, wir glauben das."
Ein erstaunlicher Satz aus dem Munde eines Palästinensers, wird doch offiziell genau das Gegenteil behauptet: Die Juden hätten kein Recht, auf dem Territorium des heutigen Israels zu leben. Hohe palästinensische Vertreter schafften es sogar, die Unesco auf ihre Seite zu ziehen, die im Oktober 2016 eine Tempelberg-Deklaration verabschiedete, in der Israel durchgehend als Besetzer bezeichnet wird und die die jüdischen Bindungen an Jerusalem vollständig negiert.
Dieser neue palästinensische Blickwinkel erfreute Eliaz Cohen zwar, aber er verwirrt ihn auch. Dass Palästinenser das Recht von Juden anerkennen, wie sie und mit ihnen im Heiligen Land zu leben, ist für sie ein großer Sprung über ihren eigenen Schatten.
Wir fahren nach Gush Etzion. Dort bewirtschaftet Chaled Abu Awar zusammen mit seinem Bruder Ali einen Bauernhof. Zwischen Gush Etzion und der Idylle im Kibbuz Kfar Etzion liegen Welten. Tatsächlich braucht man nicht länger als zehn Minuten mit dem Auto.
Gush Etzion ist kein einzelner Ort, sondern eine Ansammlung von neuen jüdischen Siedlungen. Über die Kreuzung von Gush Etzion führt die wichtige Verbindungsstrecke von Hebron nach Jerusalem. Sie ist stark befahren und die Kreuzung berühmt-berüchtigt. Jeder in Israel assoziiert mit ihr sofort Terror und Tod, denn bei Messerattacken 2015 wurden neun Personen angegriffen, vier starben an den Stichverletzungen. Seitdem bewachen bewaffnete israelische Soldaten die Ampeln und Straßen wie einen Checkpoint, die Bushaltestellen sind von Pollern umringt, damit kein Attentäter mehr sein Auto als Waffe gegen die Wartenden einsetzen kann. Eine Straße dieser gefährlichen Kreuzung führt zum Hof von Chaled und Ali Abu Awar.
Das Tor zum Bauernhof ist offen. Ein kräftiger Mann Anfang fünfzig begrüßt uns mit Brot und Salz.
"Mein Name ist Chaled Abu Awad, ich bin Palästinenser, ich bin ein gläubiger Moslem und lebe hier im Gebiet Hebron in Beit Umar bei Gush Etzion. Das ist unser Land. Und hier auf diesem Land haben wir das Karami-Zentrum eröffnet. Das Zentrum der Würde. Und hier bemühen wir uns um Würde, Freiheit und Gerechtigkeit für die Menschen in diesem Gebiet."

"Wir sind alle Opfer, wir sind Teil eines Spiels"

Chaled Abu Awar stammt aus einer Flüchtlingsfamilie, die lange erbitterten Widerstand gegen die israelische Armee leistete.
"Unsere Familie hat viele Erfahrungen sammeln müssen mit den israelischen Sicherheitskräften. Während der ersten Intifada 1987 sind sie zweimal pro Woche zu uns nach Hause gekommen. Die meisten von uns wurden verhaftet. Meine Mutter musste sechseinhalb Jahre in einem israelischen Gefängnis verbringen, ich war anderthalb Jahre in Haft, mein Bruder Ali zehn Jahre. Am 16. November 2000 wurde mein Bruder Jussuf erschossen. Der Tod meines Bruders war für unsere Familie der Punkt, an dem wir erkannten, was für einen hohen Preis wir in diesem Konflikt zahlen."
Chaleds Sohn Mohammed arbeitet im Schafstall. Der 29-Jährige war ebenfalls im Gefängnis, vier Monate lang und ohne Verurteilung, wie er sagt. Sein Jurastudium muss er neu beginnen. Ist er deswegen wütend auf die Israelis?
Mohammed: "Ich müsste es sein, aber ich verstehe, warum sie das tun. Sie wollen, dass ich Angst habe, aber das lasse ich nicht zu. Ich war im Gefängnis, aber ich bin nicht gefährlich. Die Palästinenser halten die Juden für Mörder und umgekehrt, aber die Politiker spielen mit uns ein politisches Spiel."
Gewalterfahrung haben die meisten Palästinenser, die sich hier auf Ali und Chaleds Hof versammeln. Aber die Verluste und die Ausweglosigkeit haben sie zum Umdenken veranlasst, sagt zunächst Sohn Mohammed, der die Tiere versorgt:
"Im Gefängnis habe ich mich an einem 44-tägigen Hungerstreik beteiligt. Plötzlich blickte ich anders auf das alles. Früher dachte ich, sie sind unsere Feinde, wir ihre. Seitdem ich aus dem Gefängnis heraus bin und hier mitmache, verstehe ich das so: Wir sind alle Opfer, wir sind hier Teil eines Spiel, was wir nicht sein sollten. Wir sollten uns menschlich verhalten und aufhören, uns so zu benehmen, wie die Politiker uns haben wollen."
Präsident Donald Trumps Ankündigung, die amerikanische Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem zu verlegen und damit als Hauptstadt Israels anzuerkennen, empfinden sie als ein weiteres Störmanöver der Politik, als neue Provokation, die sie einmal mehr auf die Probe stellt. Es kostet sie Kraft, sich nicht herausfordern zu lassen. Doch inzwischen hat Mohammeds Vater Chaled die Erfahrung gemacht, dass es sich lohnt, auf Gewalt zu verzichten.
"Wir sind zu einem Treffen eingeladen worden, das den Dialog zwischen Israelis und Palästinensern anstoßen sollte und bei dem wir uns gegenseitig unterstützen wollten, die Gewalt in unserer Region zu beenden. Seitdem sind wir sehr aktiv. Wir verstehen, wie viel Macht von der Gewaltlosigkeit ausgeht. Du hast Macht, wenn du deinen Ärger kontrollierst und human agierst."
Dieses erste Treffen von Juden und Palästinensern fand 2012 auf neutralem Boden statt, im christlich geprägten Beit Jala, keine halbe Autostunde von Gush Etzion entfernt. Es waren heimliche Zusammenkünfte, mit zehn Vertretern auf jeder Seite. Zu den jüdischen gehörten Siedler, Rechte, Linke, Thora-Schüler und Aktivisten. Auf palästinensischer Seite war das politische Spektrum nicht ganz so breit, sagt Eliaz Cohen.
"Viele haben Verbindungen zur Fatah, waren oder sind Anführer, Ex-Gefangene, Generäle, Offiziere, Mitarbeiter der Palästinensischen Autonomie-Behörde. Etablierte Leute. Auch Akademiker, Professoren, Doktoren. Wir und sie selbst sprechen vom 10-Jahres-Club, weil die allermeisten mindestens zehn Jahre im Gefängnis saßen. Innerhalb dieser fünf Jahre, die wir uns jetzt kennen, sind wir nicht nur Freunde geworden, wir sind wie Brüder. Wir besuchen einander in Israel und Palästina und gehen zusammen an die Weltöffentlichkeit, um unsere Vision zu präsentieren."
Mit einer gemeinsamen Erklärung reagierten sie auch auf US-Präsident Trumps Absicht, die amerikanische Botschaft nach Jerusalem zu verlegen. Dies sei eine Entwicklung, die in die falsche Richtung führe. Jerusalem gehöre keiner Seite allein.
Ihr Konföderationsmodell sehe Jerusalem als Hauptstadt sowohl von Israel als auch von Palästina vor, ohne Grenzen und ohne die schreckliche Mauer, so heißt es wörtlich. Die Stellungnahme endet mit dem Satz: "Wir beten dass dieser seltsame und klägliche Schritt von Präsident Trump nicht zu einem neuen Zyklus von Blutvergießen zwischen beiden Völkern führt."
Der einseitige Schritt von Donald Trump hat die Vermittlerrolle der USA beendet, sagen Beobachter und er hat weltweit Proteste ausgelöst. Im Gaza-Streifen gab es Tote. Das Wort von der dritten Intifada macht bereits die Runde. Auch die Initiative "Zwei Staaten – ein Heimatland" sieht sich auf die Probe gestellt. Die kommenden Tage und Wochen werden zeigen, wie belastbar die neuen Kontakte zwischen Juden und Palästinensern tatsächlich sind.

Bauernhof von Palästinensern wird zum gemeinsamen Treffpunkt

Wirklich eng wurden sie ab 2014, als eines Tages zwei Juden am Tor von Alis und Chaleds Bauernhof standen: Gekommen waren Eliaz Cohen und Schaul Judeman. Doch am Anfang war das Betreten des Hofs ein echtes Wagnis und das Misstrauen mit Händen zu greifen.
Chaled: "Das ersten Treffen war nicht mit mir, sondern mit meinem Bruder Ali."
Eliaz: "Du warst hier!"
Chaled: "Am Ende jedenfalls gingen wir zum Tor unseres Bauernhofes hier. Und Ali gab Eliaz und Schaul den Schlüssel für das Tor. Er sagte, wenn ihr etwas braucht oder euch treffen wollt, tut es hier...Bis zu diesem Treffen betrachteten wir die Siedler nicht gerade als Freunde. Wir wollten ihnen nichts tun, aber sie waren uns auch nicht willkommen, wir wollten sie nicht in unserer Nähe haben. Aber als wir sie sprechen hörten, war das anders. Das waren nette Leute, wirklich. Und als ich hörte, dass Ali ihnen die Schlüssel für unser Tor geben wollte, dachte ich, okay, warum nicht."
Chaled Abu Awad fasste zu dem Poeten Eliaz Cohen und dem Lehrer Schaul Judeman auf Anhieb Vertrauen. Chaled und sein Bruder Ali stellen seitdem ihren Bauernhof als Treffpunkt von Juden und Palästinensern zur Verfügung. Kinder, Jugendliche, Frauen und Männer sollen sich kennen- und verstehen lernen sowie in unterschiedlichen Organisationen aktiv werden.
Mohammed Abu Awad füttert Schafe im Tahier-Zentrum Gush Etzion
Mohammed Abu Awad im Tahier-Zentrum Gush Etzion© Sabine Adler
Diese direkte Begegnung veränderte ihr Leben, denn sie stellten überrascht fest, dass sie etwas sehr Wesentliches verbindet: dem jeweils anderen das Recht zuzugestehen, in diesem einen Land zu leben. Araber hatten sie bislang nur ins Meer schicken wollen, dachten die einen. Die Juden sind nichts als Besatzer, dachten die anderen. Doch nun billigen sie einander das Recht auf ein Leben in diesem einen Land zu. Für Chaled Abu Awar ist das unstrittig, denn das lehrt seine Religion.
Chaled: "Das Land darf nicht geteilt werden. Wir alle gehören in dieses Land. Aus historischen Gründen. Ich bin gläubiger Moslem. Ich weiß, dass das Judentum hier begonnen hat. Unser Vater Abraham stammt von hier, und seine Söhne Isaak und Jakob. Dann gingen sie nach Ägypten, von wo sie 400 Jahre später zurückkehrten. Das steht im Koran, in unserem heiligen Buch."
Anders als die Mehrheit auf jüdischer und palästinischer Seite vertrauen die neuen Freunde einander. Chaled Abu Awad, der kein Pathos mag, sagt, dass das aus reinem Pragmatismus geschehe.
"Siedler spielen eine wichtige Rolle unter den Israelis. Sie haben eine starke Position in der Politik, in der Regierung. Wenn wir sie herausfordern, sie noch extremer werden und uns noch mehr hassen, dann wird uns das nicht weiterhelfen, außerdem haben wir mit ihnen tagtäglich zu tun."

Europäische Union als Vorbild

Einig sind sich alle darin, dass die Politiker auf beiden Seiten nichts lösen. Eliaz Cohen wirbt für das neue Projekt: Zwei Staaten – ein Heimatland. Er ist also weder für eine Ein-Staaten-Lösung, noch für ein Zwei-Staaten-Modell, sondern für eine dritte Option: die Konföderation.
"Wir passen das Modell der Europäischen Union auf die Situation hier bei uns an: Jeder Siedler, wie ich selbst, meine Familie, meine Nachbarn in Gush Etzion und in allen anderen Siedlungen können wählen. An diesem Platz zu bleiben, weil Siedler zu unserem Volk gehören und die Palästinenser das ja anerkennen. Aber dann wären wir israelische Residenten im Land Palästina, denn unser Modell sagt: Hier wird Palästina sein."
Eine knapp zwölf Kilometer lange Mauer hat Israel in Beit Jala gebaut. Sie ist voller Graffitis  
Die israelische Trennungsmauer in Beit Jala© Sabine Adler
Das klingt einfacher als es ist, denn die Grenzfrage ist die heikelste, weil der Kompromiss vom Teilungsplan der UNO von 1947 ausgeht. Den die arabischen Staaten damals nicht anerkannt haben und von dem viele Israelis heute nichts wissen wollen. Anders als bei der Zwei-Staaten-Lösung geht ihr Konföderationsmodell nicht von zusammenhängenden getrennten Territorien aus, sondern von der Landkarte, wie sie jetzt aussieht. Als Schablone dient die Grüne Linie, die entscheidet, ob ein Ort demnach palästinensisch oder jüdisch wäre. Und unter dessen Hoheit stellen sich dann die Bewohner.
Eliaz: "Es geht um eine Union, wie die Europäische Union. Am Anfang ist sie klein, betrifft nur Israel und Palästina als Konföderation. Aber danach treten vielleicht Jordanien, Ägypten, Saudi-Arabien bei, also die moderateren sunnitischen Staaten. Israel und Palästina in einem Staat wäre ein Desaster, weil das zu einem endlosen Krieg führen würde, wer worüber die Kontrolle übernimmt. Dagegen sind zwei Staaten in einem Land – also als Konföderation – ein Ausweg, mit dem wir sogar die Probleme angehen könnten, die das Osloer Abkommen ausgeklammert hat: die Grenzen, die palästinensischen Flüchtlinge, die Siedler und Siedlungen und Jerusalem."
Beide Staaten in dem gemeinsamen Heimatland sollen kooperieren, die Grenzen wären offen, Jerusalem wäre die vereinte und gemeinsam verwaltete Hauptstadt. Es gäbe israelische und palästinensische Staatsbürger, wer auf dem Gebiet des jeweils anderen Staates lebt, wäre ein Resident mit geschützten Rechten. So könnten Flüchtlinge bzw. Siedler dort wohnen bleiben, wo sie derzeit leben.
Eliaz: "Wenn sie in Israel sagen, du bist ein Poet und deine Ideen sind utopisch, antworte ich ihnen, dass ein Utopist zu sein, kein Unheil darstellt. Dass wir hier in Israel sind, verdanken wir schließlich auch einem Utopisten: Theodor Herzl, ein Journalist aus Wien, aus einer gemischten Familie. Er hatte eine Utopie wie ein Prophet. Und er verwirklichte sie ganz praktisch in einer zionistischen Bewegung. Besser ein Utopist zu sein als ein Politiker wie unsere, die keine Vision haben."
Der Aktivist Cohen straft seine Kritiker Lügen, wenn die behaupten, sein Vorschlag finde keine Unterstützer. Er hat sie - auf jüdischer wie auf arabischer Seite - und vor allem sei die Idee besser als eine dritte Intifada oder neue Vorschläge aus Washington oder aus der Türkei. Dort haben die 57 Mitgliedstaaten der Organisation für islamische Kooperation ihrerseits Ost-Jerusalem als Hauptstadt Palästinas anerkannt.
Eliaz: "Letzten Sommer standen wir in Jerusalem kurz vor der dritten Intifada, als nach den Schüssen in der Altstadt von Jerusalem der Zugang zur Al-Aksa-Moschee beschränkt wurde. Aber zum ersten Mal haben die Palästinenser nach einem solchen Vorfall eine gewaltfreie Antwort gewählt. Ich weiß von meinen palästinensischen Partnern, dass diejenigen, die für den gewaltfreien Widerstand einstehen, zu einer starken Strömung geworden sind. Das ist so wichtig, denn viele Palästinenser wissen, dass nur Gewaltfreiheit ihnen eine bessere Zukunft bringt."

Rund 5.000 Anhänger zahlen Mitgliedsbeitrag

Die christliche Palästinenserin Faten Mukarker nennt sich ebenfalls eine Friedensaktivistin. Die 62-Jährige stammt aus Beit Jala, dem Ort im Westjordanland, in dem die jüdisch-palästinensische Annäherung begonnen hat. Ihre Jugend hat sie in Deutschland verbracht. Als Christin setzt sie auf Verständigung, wenngleich sie allen Grund hätte, die israelischen Behörden zu verfluchen.
"Dieser Garten war kein Garten, er war felsig und unfruchtbar. Und dann haben wir gepflanzt: Weintrauben, Aprikosen, Pfirsiche, Feigen. Das sind Aprikosenbäume."
Das Gelände, auf dem die Bäume stehen, führt steil bergauf. Oben auf der Kuppe des Hanges ist der Garten plötzlich zu Ende. Er stößt an Israels monströse Mauer, die ohne jede Ankündigung, erst Recht ohne das Einverständnis der Eigentümer mitten auf ihrem Grundstück errichtet wurde.
"Die Soldaten kommen mit Baggern und dann sind wir alle hier hoch gekommen, die ganze Großfamilie. Und der Mann im Bagger – ich habe ihn erkannt und auf ihn gespuckt: Schämst du dich nicht, ihnen zu helfen unsere Bäume auszureißen? Er sagte: Gibst du mir Brot für meine neun Kinder? Wenn ich gehe, werden sie nur einen anderen holen."
Faten Mukarker will sich keinesfalls vom Hass bestimmen lassen. Deswegen gibt sie der Initiative "Zwei-Staaten – Ein Heimatland" eine Chance, lässt sich ein auf deren Idee. Das Modell "Zwei Staaten – ein Heimatland" wird offiziell von keiner der Konfliktseiten bisher aufgegriffen, der politische Wille, sich mit dieser Option zu befassen, ist nicht erkennbar. Deswegen geht die Überzeugungsarbeit weiter. Rund 5.000 Anhänger zahlen für die Organisation einen, wenn auch kleinen, Mitgliedsbeitrag.
Sie haben einen langen Weg gemeinsam zurückgelegt, doch das ungleich größere Stück hin zum Frieden liegt noch vor ihnen.
Eliaz: "Die Medien fragen mindestens einmal pro Jahr vor Rosh Ha-Schana, dem jüdischen Neuen Jahr, wie sich Ministerpräsident Benjamin Netanjahu unsere Zukunft vorstellt. Kürzlich sagte er: 'Meine Vision ist, uns vor den wilden Tieren rundherum zu verteidigen und Israel mit einer hohen Mauer zu schützen.' Das heißt doch nichts anderes, als dass die Vision unseres Premierministers Netanjahu darin besteht, Israel zum größten Ghetto zu machen, das je errichtet wurde."
Da kämpft Eliaz Cohen doch lieber für seinen Plan, mag er anderen auch noch so utopisch vorkommen. Aber Hoffnung ist allemal besser als Resignation oder gar Gewalt, findet auch die christliche Palästinenserin Faten Mukarker. Vielleicht wird sie ja demnächst eine neue Mitstreiterin.
"So langsam, mit den Jahren ist nur noch die Hoffnung auf die Zivilgesellschaft. Ich denke, das ist so wie die alternative Medizin, an die ja manche auch nicht glauben, die aber für viele die letzte Hoffnung ist. Wir sind ja hier im Land der Wunder, wer hier lebt, der hat Verpflichtungen, an Wunder zu glauben. Das kann sein, dass diese Menschen was bewirken, ja."
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