Komponistenporträt Paul Dessau

Mit Picasso und Thälmann

111:36 Minuten
Der Komponist Paul Dessau (1894-1979)
Sie nannten ihn "Pauken-Paule": Die Musik von Paul Dessau (1894-1979) ist oftmals perkussiv, herb und eigensinnig © www.imago-images.de
Moderation: Olaf Wilhelmer · 31.01.2020
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Das Schlagwort "DDR-Komponist" ist schnell bei der Hand, wenn es um Paul Dessau geht. Aber wann geht es überhaupt schon einmal um Dessau? Das Werk eines überaus vielseitigen und produktiven Musikers ist zu entdecken.
Als die Deutsche Demokratische Republik gegründet wurde, war Paul Dessau etwas über 50 Jahre alt. Es bedarf keiner Rechenkünste, um herauszufinden, dass der 1894 in Hamburg geborene Komponist den größeren Teil seines Lebens folglich nicht in der DDR verbracht hat. Und trotzdem ist es nicht falsch, Dessau mit der DDR in Verbindung zu bringen, war er doch einer der führenden Komponisten des jungen Landes – und ja, er schuf auch offizielle Musiken, heizte den Funktionären aber oft genug mit unerwünschten Klängen ein, wahrte Distanz und verbat sich testamentarisch ein Staatsbegräbnis.
Leider hat die Einordnung in die an sich nichtssagende Rubrik "DDR-Komponist" zur Folge, dass Person und Werk unter Generalverdacht gestellt und im wahrsten Sinne des Wortes links liegen gelassen werden. Während das Schaffen des ebenfalls nicht leicht einzuordnenden "DDR-Komponisten" Hanns Eisler heutzutage eine kleine Renaissance erfährt, ist es um seinen Antipoden Dessau still geworden.

Barrikadenchor und Zwölftonmusik

Erste Ansätze zu einer Wiederentdeckung gehen in der aktuellen Spielzeit von der Opernbühne aus, und das Konzert von Steffen Schleiermacher und dem Ensemble Avantgarde im Leipziger Gewandhaus geht mit der Veröffentlichung einer facettenreichen Dessau-CD einher, die das Label Dabringhaus und Grimm in Zusammenarbeit mit Deutschlandfunk Kultur produziert hat.
Der Pianist und Komponist Steffen Schleiermacher
Stets im Einsatz für vergessenes und verkanntes Repertoire: Der Pianist und Komponist Steffen Schleiermacher© Xavier Miró
Sowohl das CD-Repertoire als auch das teilweise darüber hinaus gehende Konzertprogramm legen den Schluss nahe, dass die Musik Dessaus nicht so leicht auf einen Nenner zu bringen ist. Die den Barrikadenkämpfern im Spanischen Bürgerkrieg zugeeignete "Thälmann-Kolonne" und das gleichzeitig entstandene, Pablo Picasso gewidmete Zwölfton-Klavierstück "Guernica" scheinen nicht einmal von ein und demselben Komponisten zu stammen.
Gemeinsam ist den Werken Dessaus, dass sie ein praktisch versierter Alleskönner schrieb. Wie Kurt Weill in eine jüdische Kantorenfamilie hinein geboren, zeigte Dessau schon früh musikalische Begabung, studierte Geige, Dirigieren und Komposition. Otto Klemperer und Bruno Walter machten ihn in der Weimarer Republik zum Kapellmeister an großen Opernhäusern, aber Dessau zog es nach einigen Jahren zum Kino, wo er zu den Pionieren der Filmmusik zählte.

Schönberg und Schulmusik

Der nationalsozialistische Rassenwahn trieb Dessau ins Exil – seine Mutter, die ihm nicht folgen wollte, wurde in Theresienstadt ermordet. Dieses Schicksal brachte Dessau zu seinen jüdischen Wurzeln zurück, die in seinem Schaffen fortan eine große Rolle spielen sollten. Und sie bestätigten den politischen Charakter vieler seiner Werke.
Über Paris und New York ging er nach Kalifornien, begegnete dort Bertolt Brecht und Arnold Schönberg, schrieb Filmmusik für Walt Disney und setzte seine politischen Visionen nach dem Krieg in der DDR auch ganz praktisch um: In seinem Wohnort in Zeuthen bei Berlin wurde Dessau Musiklehrer in einer allgemeinbildenden Schule. Seine jahrzehntelang praktizierte musikalische Arbeit mit Kindern machte ihn zu einem Propheten dessen, was heute "Education" heißt.
Gewandhaus Leipzig, Mendelssohn-Saal
Aufzeichnung vom 29.01.2020
Paul Dessau
Suite für Altsaxophon und Klavier
Drei Lieder für Sopran und Klavier
Concertino für Violine mit Flöte, Klarinette und Horn
"Thälmann-Kolonne"
"Guernica" für Klavier
Drei Intermezzi für Klavier
Variationen über ein amerikanisches Volkslied für Klarinette und Klavier
Drei Shakespeare-Sonette für Sopran und Ensemble

Julia Sophie Wagner, Sopran
Andreas Seidel, Violine
Adrian Tully, Saxophon
Matthias Kreher, Klarinette
Ensemble Avantgarde
Leitung, Klavier und Moderation: Steffen Schleiermacher

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