Komponist Nils Frahm über Erik Satie

"Musik für den Hintergrund"

Der Pianist und Komponist Nils Frahm in der Sendung "Studio 9" im Deutschlandradio Kultur
Der Pianist und Komponist Nils Frahm in der Sendung "Studio 9" im Deutschlandradio Kultur © Deutschlandradio / Matthias Horn
Nils Frahm im Gespräch mit Dieter Kassel · 17.05.2016
Seine Zeitgenossen haben ihn teils mit Missachtung gestraft: Heute gilt der Komponist Erik Satie mit seinen "einfachen" Kompositionen als Wegbereiter moderner Musik und Vorbild für die Musikrichtung Ambient. Das Besondere an Satie beschreibt der Komponist Nils Frahm.
Der Komponist Erik Satie (1866-1925) gilt als Wegbereiter einer neuen, modernen Musik - und war dennoch, auch wegen seiner eigenwilligen Experimente, umstritten unter seinen Zeitgenossen. Die meisten kennen heute seine "Gymnopédie", ein langsames, fast meditatives Stück, das als musikalische Untermalung Einzug in Film und Werbespots hielt. Der Pianist, Komponist und Konzertveranstalter Nils Frahm hält große Stücke auf Erik Satie:
"Das könnte man auch heute schreiben und würde immer noch sagen, das klingt ja annähernd modern, nicht im Sinne von atonal oder nach Neuer Musik, aber es hat so eine Kühle und so eine Leere und so eine Leichtigkeit und auch so eine Einfachheit, die, ich glaube, nicht gesehen wurde vor ihm."

Musik als Gebrauchsgegenstand

Man könne sicherlich sagen, das Satie Musikrichtungen wie Ambient und Künstler wie Brian Eno beeinflusst habe. Erik Satie habe es gewagt, Musik zu produzieren wie einen Gebrauchsgegenstand – "Musik für den Hintergrund". Der Komponist habe immer erklärt, er wolle Musik machen, die keinen störe. Frahm:
"Ich finde es eigentlich ganz spannend, wenn man beides schafft: etwas zu tun, was bei Nichtbeachtung vielleicht nicht stört, aber, wenn man darauf achtet, sich darauf konzentriert, einen trotzdem nicht langweilt. Und ich glaube, das hat Satie geschafft."
Er fügte hinzu: "Ich bin ja selbst Musikhörer und ich würde lügen, würde ich behaupten, immer wenn ich Musik höre, gebe ich mich der Musik völlig hin. Ich glaube, heute nehmen wir Musik auch als etwas wahr, was im Hintergrund passieren darf. Und das ist wahrscheinlich auch die Konsequenz von Komponisten wie Erik Satie."

Das Interview im Wortlaut:

Dieter Kassel: Gerade wird geräumt hier im Studio, weil ich nämlich mit unserem nächsten Gesprächspartner, dem Komponisten, Pianisten, manchmal auch Konzertveranstalter und viel mehr, Nils Frahm, schon geredet habe. Wir haben schon gequatscht über Erik Satie, aber erst mal schönen guten Morgen!
Nils Frahm: Guten Morgen!
Kassel: Erik Satie ist ein Mann, vor dem, das habe ich festgestellt, manche Leute – Sie ja natürlich sicherlich nicht, als Profimusiker – manchmal ein bisschen Angst haben. Und deshalb würde ich vorschlagen, wir hören jetzt als Erstes einen kleinen Ausschnitt aus der Musik, die Satie komponiert hat, wo – da bin ich mir ziemlich sicher, ich habe das ausprobiert – viele Leute sagen: Das kenne ich, ich weiß bloß nicht, wie es heißt, und ich hätte auch nicht gedacht, dass es von ihm ist!
(Musik Erik Satie)
Kassel: Das ist Musik, die glaube ich einige Leute – wir erwähnen natürlich nicht den Konzernnamen – aus einem Werbespot für eine Versicherung kennen.
Frahm: Na klar.
Kassel: Andere kennen ihn aus diversen Filmausschnitten, aus Fernsehsendungen, ich glaube, ich habe es auch schon mal in irgendeiner Reportage gehört, als ruhig über den See gefilmt wurde.
Frahm: Ja.
Kassel: Nils Frahm, wenn man das jetzt so hört – das war übrigens, weil viele sagen, ich weiß gar nicht, was es ist, der Anfang der "Gymnopédie" von Erik Satie –, wenn man das so hört, kann man finde ich kaum glauben, dass Satie ja immer als, na ja, der Wegbereiter der sogenannten Neuen Musik, der Wegbereiter der Minimal Musik gilt.
Frahm: Ja.

Modern - nicht im Sinne von atonal

Kassel: Sie würden trotzdem auch sagen: Ist aber wahr, das war er eigentlich?
Frahm: Ja, ich denke schon, dass Erik Satie da eine wichtige Rolle spielt. Im Prinzip hat ja durch so eine Art von Musik, gerade wie wir sie eben gehört haben … Das könnte man auch heute schreiben und würde immer noch sagen, das klingt ja annähernd modern, nicht im Sinne von atonal oder nach neuer Musik, aber es hat so eine Kühle und so eine Leere und so eine Leichtigkeit und auch so eine Einfachheit, die, ich glaube, nicht gesehen wurde vor ihm. Und deswegen kann man ihn gar nicht hoch genug einschätzen, wenn es darum geht, wie wird Musik heute gemacht, wie wird sie verstanden. Es geht um Ambient, um am Ende auch, was Brian Eno noch weitergeführt hat, das wäre vielleicht … bin ich vorsichtig, aber ohne Satie nicht denkbar.
Kassel: Aber Satie selber ist ja Zeit seines Lebens doch von Zeitgenossen … es gab natürlich große Ausnahmen auch, aber von vielen nicht so richtig ernst genommen worden.
Frahm: Richtig.
Kassel: Er hat selber gesagt: Meine Musik soll ja einfach sein, und andere haben daraus Kritik gebastelt und gesagt, ja, ist sie auch, ist ein bisschen arg schlicht!
Frahm: Ja, simplistisch oder irgendwie simpel. Abwertend einfach. Klar hatte er neben anderen Komponisten, Claude Debussy, die dann in Paris zusammen auch irgendwelche Zirkel besuchten und wilden … ich glaube, so eine Art Freimaurervereinigung, ich weiß nicht mehr genau, was da war … aber die hatten natürlich sehr viele Interessen und da war viel los in der Zeit. Und ich glaube, Musik war sicherlich eine wichtige Beschäftigung für Satie, aber ich schätze … ich bin jetzt kein Biograf von ihm, aber ich schätze, dass er auch sehr viele anderen Interessen hatte, die, na ja, im weitesten Sinne Kunstinteressen waren.
Und ich glaube, die Musik war in seinem Gesamtverständnis auch ein Kunstwerk und sollte tatsächlich auch etwas Neues darstellen, etwas, was sich Kollegen vielleicht nicht trauten, weil sie immer noch damit beschäftigt waren, was Großartiges, was noch Schnelleres, Komplizierteres, Aufregenderes zu schreiben. Und Satie hat das anscheinend erkannt und hat gesehen: Nein, wir gehen in eine ganz andere Richtung, wir reduzieren das Ganze auf diese paar Noten, diese paar Akkorde und gucken, was passiert, kann Musik nicht auch ein Teil unseres Lebens sein, muss es immer der Hauptfokus sein? Müssen wir zum Konzert gehen, das Konzert angucken, oder könnte Musik auch einfach ein Teil des Raumes sein, ein Möbelstück im weitesten Sinne? Und da hat er ganz viele Tore aufgestoßen.

Spannend, wenn man beides schafft: Hintergund und Tiefe

Kassel: Nun werden wir gleich ein bisschen noch darüber reden, wo eigentlich der Zusammenhang – so es den überhaupt so konkret gibt – zwischen Erik Satie und Ihrer Musik liegt. Aber ich glaube, dazu wäre es ganz sinnvoll, jetzt auch mal was von Ihnen zu hören. Es hat etwas damit zu tun, dass ich diesen Ausschnitt gerade jetzt spiele, mit dem, was Sie gerade gesagt haben, aber das werden wir gleich noch auflösen.
Musik Nils Frahm
Kassel: Das ist ein Ausschnitt aus Musik, die Sie komponiert haben, "Says". Würden Sie denn damit was anfangen können, wenn ich jetzt sage oder wenn ich Sie einfach nur frage: Ist das, was wir gerade gehört haben, musique d’ameublement? Also was Sie gerade von Satie erwähnt haben, also frei übersetzt Musik zur Bemöbelung, zur Raumausstattung?
Frahm: Ja, ich finde es eigentlich ganz spannend, wenn man beides schafft: etwas zu tun, was bei Nichtbeachtung vielleicht nicht stört, aber, wenn man darauf achtet, sich darauf konzentriert, einen trotzdem nicht langweilt. Und ich glaube, das hat Satie geschafft. Also, mit seinen, sage ich mal, diese "Gymnopédies" sind seine einfachsten … Es gibt ja auch sehr komplexe Stücke von ihm, die viel atonaler sind und vielleicht auch, wo dann deutlicher wird, was jetzt die Rolle in der Neuen Musik sein könnte von ihm. Aber diese einfachen Stücke haben die Qualität, wie gesagt, was Brian Eno auch als Ambient-Meister, muss man sagen, als gute Ambient-Musik bezeichnet oder als wichtige Ambient-Musik bezeichnet, ist etwas, was bei Nichtbeachtung nicht stört, nicht ablenkt, aber bei Beachtung unterhält und einen auch fesselt.
Und ich glaube, diesen schmalen Grat zu gehen, ist nicht einfach. Und ich als Komponist meine, das beurteilen zu können, daran zerbreche ich auch oft. Weil, der Grat ist wirklich, man rutscht schnell ab in so eine Banalität, in wirklich was Simples oder vielleicht auch in etwas zu Störrisches, zu Forciertes. Und ich finde es sehr spannend, das zu vermitteln.
Kassel: Aber woran Sie ja nicht zu zerbrechen scheinen, ist auch einer dieser Grundsätze von Erik Satie, der ja immer wieder gesagt hat … Also, unter anderem soll er … Sagen wir mal immer soll, es ist ja nicht alles wirklich eindeutig überliefert: Man darf dem Hörer, dem Publikum nicht die Zeit stehlen mit seiner Musik. Und eben diese musique d’ameublement nebenher, das ist ja glaube ich etwas, wo auch heute noch ganz viele Musiker, egal ob Performer oder Komponisten aus jedem Genre, wo die eher einen roten Kopf kriegen, wenn man sagt, du sollst Musik machen, die keinen stört, um es mal böse zusammenzufassen. Aber das stört Sie nicht, wenn man Ihre Musik so betrachtet?

"Ich gebe mich nicht immer der Musik völlig hin"

Frahm: Ich bin ja selbst Musikhörer und ich würde lügen, würde ich behaupten, immer wenn ich Musik höre, gebe ich mich der Musik völlig hin. Ich glaube, heute nehmen wir Musik auch als etwas wahr, was im Hintergrund passieren darf. Und das ist wahrscheinlich auch die Konsequenz von Komponisten wie Erik Satie. In den 70er-Jahren wurde die Ambient-Musik entwickelt und seitdem können wir uns darauf einigen, so wie es Art déco gibt, gibt es natürlich auch Ambient. Und ich meine, Art déco ist in der bildenden Kunst auch eine Art Schimpfwort in manchen Kreisen, aber ich finde, es ist immer eine Frage der Verhältnismäßigkeit. Man kann auch mit diesem Ansatz etwas Großartiges schaffen und es ist eher eine Erweiterung der Möglichkeiten, was Musik kann. Musik kann auch im Hintergrund funktionieren, kann auch das Unterbewusstsein ansprechen, es kann ganz viel. Und ich finde es erst mal spannend, wenn Komponisten dazu beitragen, das, wofür Musik gut sein kann, dieses zu erweitern. Und das hat Satie sicherlich getan.
Kassel: Ich hoffe, dass wir jetzt was getan haben – mein Gefühl ist, das haben wir vielleicht –, nämlich Menschen Angst zu nehmen vor Musik, die so ein bisschen verschrien ist. Weil, Satie – ich finde, das haben wir bewusst auch weggelassen –, was er alles erzählt hat, welche kuriosen Namen er seinen Kompositionen, und diese großartigen Regieanweisungen, darüber reden wir beide bei seinem 200. Geburtstag dann spätestens! Nils Frahm war bei uns zu Gast, selbst Pianist, Komponist, manchmal auch Konzertveranstalter und vieles mehr. Ich danke Ihnen sehr, dass Sie Zeit hatten, vor allem so am frühen Morgen!
Frahm: Ja, danke schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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