Komponist Georg Christoph Wagenseil

Wiener Meister einer Zwischenepoche

Fiaker vor der Kirche am Hof in Wien
Fiaker vor der Kirche am Hof in Wien. Georg Christoph Wagenseil hielt seiner glanzvollen Vaterstadt immer die Treue und starb dort 1777. © dpa / picture alliance / Andy Bernhaut
Von Stefan Zednik · 29.01.2015
Mit der "Wiener Klassik" werden Haydn, Mozart und Beethoven verbunden. Von den ungezählten Meistern zweiten Ranges ist seltener die Rede. Ein solcher Meister ist der heute weitgehend vergessene Georg Christoph Wagenseil. Am 29. Januar 1715, vor 300 Jahren, wurde der Musiker geboren.
Leopold Mozart: "Dies Stück hat der Wolfgangerl den 24. Januarii 1761, 3 Täge vor seinem 5. Jahr nachts um 9 Uhr bis halbe 10 Uhr gelernet."
Es ist die erste Begegnung des noch nicht fünfjährigen Wolfgang Amadeus Mozart mit der Musik von Georg Christoph Wagenseil, dokumentiert von Vater Leopold. Der 44-jährige Wagenseil ist zu diesem Zeitpunkt bereits eine Berühmtheit des musikalischen Lebens, bekleidet am Wiener Hof die Position eines Hofkomponisten und ist dort unter anderem für die Ausbildung des kaiserlichen Nachwuchses verantwortlich. Als die umherreisende Musikerfamilie Mozart im darauffolgenden Jahr 1762 in Schloss Schönbrunn konzertiert, verlangt das sechsjährige Wunderkind nach Wagenseil. Dieser wird herbeigerufen, und Mozart fordert ihn auf:
Wolfgang Amadeus Mozart: "Ich spiele ein Conzert von Ihnen, Sie müssen mir umwenden."
Georg Christoph Wagenseil wird am 29. Januar 1715 in Wien geboren. Wien – das ist zu jener Zeit das Zentrum eines europäischen Imperiums, das sich vom Süden Italiens bis zu den Niederlanden erstreckt, ein unbestrittener politischer und kultureller Mittelpunkt. Das vom Vater, selbst Kaufmann, avisierte Berufsziel eines Juristen interessiert den Jungen wenig, sein Interesse gilt ganz einer musikalischen Ausbildung. Er nimmt Kontakt zur Kapelle des Wiener Hofes auf, wo er sich im Alter von 20 Jahren als Hofscholar bewirbt. Sein Lehrer und Förderer, Hofkapellmeister Johann Joseph Fux, bescheinigt ihm:
"Wenn Ihre Kayserliche Majestät jemals einen Scholaren der Komposition allergnädigst aufzunehmen beliebt, so kann ich pflichtgemäß zu diesem Supplicanten raten: Von diesem Subjekt sind sowohl im Orgelspiel wie auch in der Komposition virtuose Dienste zu erwarten."
Bereits mit 21 Jahren erste Komposition
Wagenseil wird aufgenommen, leistet als technisch brillanter Cembalist "virtuose Dienste", und schon mit 21 Jahren kommt seine erste Komposition einer Messe zur Aufführung. Kirchenmusik, kammermusikalische Werke vor allem für Cembalo und Orchesterstücke bilden den Schwerpunkt seines kreativen Schaffens, kompositorisch bewegt er sich auf der Höhe des musikalischen Barock.
Wagenseils Karriere in Wien gedeiht prächtig, vor allem die ab 1740 regierende Maria Theresia unterstützt ihn nachhaltig. So erhält er die Erlaubnis für einen einjährigen Italienaufenthalt. Und seine erste Opernkomposition erlebt 1745 in Venedig ihre Premiere. Er schreibt mehrere Werke für das Musiktheater, die auch in Wien für Aufsehen sorgen. Das "Wienerische Diarium" – die älteste Tageszeitung Wiens – berichtet, Kaiser und Kaiserin hätten sich ins Theater an der Burg begeben "und daselbsten einer Italienischen herrlichen musikalischen Opera, betitelt "Allessandro nell Indie", beygewohnet."
Die Oper wird in zwei Monaten 20 Mal gespielt. Und Wagenseils Ruf verbreitet sich in ganz Europa. Druckausgaben seiner Musik erscheinen in London, Paris und Amsterdam. Wagenseil gilt in der Mitte des Jahrhunderts als wichtigster Repräsentant der Wiener Musik, bis ihn gesundheitliche Probleme zum schrittweisen Rückzug zwingen. Maria Theresia entbindet den an Gicht erkrankten 1764 von allen höfischen Pflichten – Wagenseil reduziert sein Arbeitspensum auf privaten Musikunterricht in der eigenen Wohnung. Dort besucht ihn der englische Musikjournalist Charles Burney:
"Wagenseil ist schon ziemlich bei Jahren, mager und schwächlich, er konnte nicht von seinem Canapee aufstehen. Dennoch ließ er sich, auf mein dringliches Bitten, einen Flügel vorschieben. Und er spielte mir verschiedene Capriccios und Sonaten von seiner eigenen Komposition auf eine sehr feurige und meisterhafte Art vor."
Als Vertreter einer musikalischen Zwischenepoche ist Wagenseil heute nur noch Musikspezialisten bekannt. Dabei gilt er als Wegbereiter dessen, was in den folgenden 50 Jahren als "Wiener Klassik" entstehen und in die Geschichte der Musik eingehen sollte. Georg Christoph Wagenseil, Vorläufer von Gluck und Haydn, Mozart und Beethoven, stirbt am 1. März 1777 im Alter von 62 Jahren in Wien.