Komponist Bernd Alois Zimmermann

Der Berufene

45:41 Minuten
Der Komponist Bernd Alois Zimmermann steht vor einem Fenster, raucht und lächelt.
Der Komponist Bernd Alois Zimmermann im Jahr 1954 © Schott Music
Von Sabine Fringes  · 14.08.2020
Bernd Alois Zimmermann zählt zu den herausragenden Komponisten der zeitgenössischen Musik. In einem Feature mit Originaltönen erinnert sich Bettina Zimmermann an ihren Vater.
Bernd Alois Zimmermann, 1918 in Bliesheim in der Eifel geboren, komponierte Werke für Orchester, Kammermusik, Musiktheater sowie elektronische Tonband-Musik. Auf einzigartige Weise verband er verschiedene Musiksprachen, kombinierte etwa serielle Musik mit Jazz, Barock und Klassik. Sein Leben endete abrupt, als er sich am 10. August 1970 mit 52 Jahren das Leben nahm. Da war seine Tochter Bettina Zimmermann 18 Jahre alt.
Für ihre Biographie über ihren Vater mit dem Titel "Con tutta forza" ("Mit aller Kraft") hat Bettina Zimmermann gut zehn Jahre lang Weggefährten ihres Vaters interviewt, seine Schriften, Briefe, Fotos, Gemälde gesichtet und ausgewählt. Im O-Ton-Feature von Sabine Fringes kommt sie mit ihren Erinnerungen zu Wort.

Ein barocker Typ

"Also, er war wirklich eine sehr farbige, schillernde Person, vielleicht hat er auch selber darunter gelitten, unter diesem Schillernden, vielleicht war es auch ein Teil von Zerrissenheit. Dieses Dionysische, das habe ich aus meiner Kindheit sehr gut in Erinnerung. Er war auch sehr humorvoll, er konnte das Leben sehr genießen. Er ist gerne in der Natur gewesen, er hat sich gern bewegt. Ein Freund von ihm, der Architekt Johannes Peter Hölzinger, hat mir in einem Gespräch gesagt, 'Dein Vater war eigentlich ein barocker Typ', und das finde ich auch einen sehr guten Ausdruck. Er sagte, er verkörperte irgendwie alles – die Gegensätze und das, was dazwischen liegt."

Erziehung im Kloster

"Mein Vater ist in Bliesheim aufgewachsen, das ist ungefähr 50, 60 Kilometer von Köln entfernt Richtung Eifel, also ganz ländliche Gegend, kleines Dorf. Die Familie meiner Oma waren Ackerer und mein Opa war Stellwerkmeister. Meine Großeltern waren sehr gläubig, und sie haben meinen Vater und auch seinen Bruder Josef, auf jeweils eine Klosterschule geschickt.
Blick auf das Kloster Steinfeld in der Eifel von einer nahe gelegenen Wiese aus
Blick auf das Kloster Steinfeld in der Eifel© picture alliance / dpa / Hans-Joachim Rech
Mein Vater ist nach Kloster Steinfeld gekommen, bei Urft, das war ein Salvatorianerkolleg, weil seine Eltern wohl auch merkten, dass da eine Begabung ist, die gefördert werden sollte, und so war mein Vater ungefähr sechs Jahre auf diesem Salvatorianerkolleg. Er ist natürlich in den Ferien immer wieder nach Hause gekommen und hat auch sehr an seiner Familie und auch an seinem Dorf und seinen Freunden gehangen, an seinen Eltern wirklich bis zu seinem Lebensende. Und insofern ist er natürlich sehr katholisch und sehr gläubig aufgewachsen."

Frühe Rilke-Vertonungen

"Im Kloster Steinfeld gibt es eine Basilika, und in dieser Basilika gibt es eine tolle Orgel, eine König-Orgel, und auf dieser Orgel, bevor sie elektrifiziert wurde, hat mein Vater Orgelspielen gelernt und hat mit Mitschülern auch dem Organisten, das hat mich immer sehr beeindruckt als Kind, Luft geben müssen, auf die Bälge springen, damit der Organist, damit die Orgel Luft bekam, und da hat er öfter mal aus Quatsch dem Organisten zu wenig Luft gegeben, so dass die Töne so heruntergingen. Das war so eine Anekdote, die er manchmal erzählte. Ob er da schon anfing zu komponieren, das könnte sein. Die frühesten Stücke meines Vaters sind Stücke für Klavier solo und frühe Lieder. Das früheste Lied, was ich hier so entdecke, das ist von 1939, zum Beispiel nach Texten von Rainer Maria Rilke, auch Nietzsche hat er vertont, und ein sehr schönes Lied ist auch 'Es fiel ein Stern ins Meer' von Harald Loth. Ja, das sind so die frühesten Stücke."

Komponieren - eine Berufung

"Für meinen Vater war das Komponieren nicht nur ein Beruf. Sondern eine Berufung. Mir hat er gesagt, und daran erinnere ich mich gut, weil ich da schon in der Pubertät war und sich das mir sehr eingeprägt hat, auch die Eindringlichkeit, in der er mir das gesagt hat, dass er nämlich eigentlich keine Wahl hat.
Dass er komponieren muss. Und er hat auch in diesem Brief, an den ich gerade denke, wo er über die Berufung schreibt, gesagt, dass Komponieren für ihn auch so etwas ist, wie Berichterstatten."

Den Krieg verarbeiten

"Je länger ich an dem Buch gearbeitet habe, und je länger ich mich mit meinem Vater und auch mit seiner Musik beschäftige, desto mehr bin ich zu der Überzeugung gekommen, dass sehr viel davon Kriegsverarbeitung war, und dass der Krieg meinen Vater zutiefst geschädigt hat.
Wie eigentlich alle Männer dieser Generation, Männer wie Frauen. Man denkt, die direkteste Verarbeitung wäre in der Oper 'Die Soldaten', weil der Titel das so nahelegt, aber mein Vater würde dem sicherlich widersprechen, es geht darin weit über bloße Kriegsverarbeitung hinaus."
Der Komponist Bernd Alois Zimmermann unterhält sich mit dem Dirigenten Michael Gielen.
Der Komponist Bernd Alois Zimmermann unterhält sich mit dem Dirigenten Michael Gielen.© picture alliance / dpa / Otto Noecker
"Die Oper hebt das eigentlich mehr auf ein allgemeineres Niveau – dass Menschen in Zwangssituationen geraten, aus denen sie nicht mehr herauskommen. Aber natürlich ist da ganz stark eine Verarbeitung des Krieges. Aber damals in den 50er-, 60er-Jahren auch eine aktuelle Verarbeitung der Gefahr einer drohenden Atomkatastrophe und eines drohenden Atomkriegs. [...] Ich denke, dass im Grunde genommen in vielen Werken mein Vater den Krieg verarbeitet hat, ohne dass es eine direkt erkennbare Kriegsverarbeitung war."

Nie ungestört

"Unsere Wohnungen waren eigentlich nie so, dass mein Vater vollkommen ungestört war. Also es gab natürlich das Bedürfnis, ruhige Arbeitszeit zu haben, und dann ist meine Mutter mit uns lange spazieren gegangen. Wir waren viel draußen, im Park, um ihm Ruhe zu verschaffen, aber das habe ich so gar nicht in Erinnerung, dass wir still sein mussten oder so.
Sonst war es zum Beispiel so, dass immer wieder die wichtigen Arbeitszeiten meines Vaters eigentlich in unsere Schulferien fielen, denn dann hatte auch die Musikhochschule Ferien und er musste nicht unterrichten, und das war ihm immer total wichtig, diese Ferienzeiten. Deshalb gibt es in den Korrespondenzen immer wieder diese Nordsee-Adressen, weil wir eben auch in die Natur fuhren und mein Vater da am besten arbeiten konnte."

"Das Gelb und das Grün"

"Ich selber habe auch in Erinnerung, dass er gerne Spaß gemacht hat, also richtiggehend Quatsch. Und ja, er hatte vielleicht, wenn er mit uns Kindern zusammen war, eben auch seine kindliche Seite ausgelebt oder seine Freude am Spiel, und am Spielen, am Toben, am Lachen.
Diese Seite kommt, wie ich finde, in sehr vielen Stücken zum Ausdruck, aber wenn man jetzt ganz stark auf das Spiel hin will, dann fällt mir ein, er hat eine Musik zu einem Puppenspiel gemacht, ein Puppenspiel von Fred Schneckenburger, der wunderschöne Stabpuppen und sehr fantasievolle Puppen gebaut hat, und zu diesem Stück hat er die Musik geschrieben, "Das Gelb und das Grün", und das ist wirklich eine sehr lustige Musik."

Von Bach bis Fitzgerald

"Woran ich mich erinnere, ist, dass mein Vater Musik immer sehr laut stellte, wir hörten immer sehr laut Musik, da wurde auch manchmal von den Nachbarn geklopft. Es war nicht ein Heiligtum, vor dem wir da saßen. Vielleicht haben wir auch dabei gegessen, aber daran erinnere ich mich nicht.
Aber es war wirklich eine Vielfalt an Musik. Bach war sehr wichtig, aber auch Wagner, Schubert, Schumann, Beethoven, Messiaen, Debussy, das war alles sehr wichtig, Jazz, Ella Fitzgerald, Modern Jazz Quartet, also das war eine Vielfalt an Musik, die wir zu Hause hörten, Musik war einfach präsent."
"Ein wichtiger Zug an ihm und an seiner Musik: dass er diese Unabhängigkeit bewahrt hat, er hat sich natürlich mit den Zeitgenossen auseinandergesetzt, Darmstadt war wichtig, aber er folgte keiner Schule, keinem Dogma. Wie gesagt, die Form oder die musikalischen Mittel, die er gewählt hat, die standen im Zusammenhang mit den inhaltlichen Notwendigkeiten des jeweiligen Stücks, an dem er arbeitete."

Das letzte Werk

"Dieses Stück, die 'Ekklesiastische Aktion' ist sein letztes Werk, und für mein Gefühl kommt darin eben diese unglaubliche Zerrissenheit zum Ausdruck, die mein Vater wohl empfunden haben muss, - das ist meine Sicht, ich möchte nicht sagen, dass das so war. Dass er sich wirklich zerrissen fühlte zwischen Glaubenwollen oder Glaubenkönnen, der Sehnsucht nach Gott, der Sehnsucht nach dem Glauben und dem absoluten Zweifel und dem Verzweifeln an Gott.
Es gibt zum Beispiel eine Passage, wo mein Vater in die Partitur schreibt (blättert), das haben wir hier abgebildet, das ist aus der 'Ekklesiastischen Aktion' (blättert weiter): Hier. Das ist der Dirigent, er legt den Taktstock nieder, verweigert im Grunde das Dirigieren und verbirgt sein Gesicht in den Händen, und der Sänger, der Gesang des Sängers, mündet in eine Wehklage. Und es gibt mutige Sänger, die dann wirklich klagen. Heulen, klagen, das hat dann nichts mehr mit Gesang zu tun. Verlässt den Rahmen des Gesangs und klagt."

Sich vom Leben verabschieden

"Was erstaunlich ist: Bis zum Schluss, obwohl er so krank war und so depressiv: dass sogar sein letztes Stück so unglaublich energetisch ist. Die 'Ekklesiastische Aktion' ist voller Energie. Das ist ein Stück, das ist so erschütternd. Das ist ja so ein scheinbarer Widerspruch, dieses 'Sich-vom-Leben-verabschieden' und auf der anderen Seite mit solcher Energie.
Ich habe mein Buch auch 'con tutta forza' genannt, weil ich finde, dass da so viel Kraft, Gewalt in seiner Musik steckt. Ich finde das so erstaunlich, dass sogar in seinem letzten Stück noch so viel Energie zu spüren ist. Mein Vater war ein unglaublich energetischer Mensch. Das ist ein Wort, das sehr gut zu ihm passt: Energie, Temperament, Impulsivität. Wenn man seiner Musik gut zuhört, dann weiß man etwas über seine Person. Das erzählt eigentlich am meisten über seine Persönlichkeit."
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