Komödie aus Uruguay

Auf der Suche nach dem Sinn des Lebens

Ein Vorbild: Der "Nazi-Jäger" Simon Wiesenthal spielt eine Rolle in dem Film "Senor Kaplan"
Ein Vorbild: Der "Nazi-Jäger" Simon Wiesenthal spielt eine Rolle in dem Film "Senor Kaplan" © dpa / picture alliance / epa Schlager
Álvaro Brechner im Gespräch mit Susanne Burg · 11.07.2015
Was macht ein 70-jähriger Mann, der den Lebenssinn verloren hat? Er geht auf Nazi-Jagd - zumindest im Film "Senor Kaplan" des uruguayischen Regisseurs Álvaro Brechner. Der meint: Um das Leben zu meistern, braucht man vor allem Humor.
Susanne Burg: Komödien haben Hochkonjunktur. Auch in Uruguay. Dort war "Senor Kaplan" der erfolgreichste Film des vergangenen Jahres. Nun kommt er am Donnerstag nach Deutschland. Im Zentrum steht der 70-jährige Jacob Kaplan. Er lebt in Montevideo und ist ein Durchschnittsrentner. Und genau das macht ihm zu schaffen. Er hat keine einzige Heldentat vollbracht. Als in der Gemeinde das Gerücht kursiert, dass sich ein deutscher Nazi seit Jahren in der Gegend versteckt, geht er mit einem Bekannten auf Jagd, beobachtet ihn zum Beispiel beim Schwimmen im Ozean.
Filmausschnitt: Ein harmloses und routinemäßiges morgendliches Bad! - Keine Routine ist harmlos. Wer immer dieselben Bewegungen wiederholt, verfolgt ein bestimmtes Ziel. - Vielleicht trainiert er nur. Ich habe ihn nichts anderes machen sehen! - Und es erscheint dir nicht wichtig, dass dieser Verbrecher trainiert? Ich versichere dir, wenn diese Typen trainieren, bedeutet das nichts Gutes!
Burg: Ein Ausschnitt aus dem Film "Senor Kaplan". Regisseur des Films ist Álvaro Brechner. Ich habe den Regisseur aus Uruguay zum Interview getroffen und ihn gefragt: Inspiration für Ihren Film war die Geschichte Ihres Großvaters, der 1938 aus Polen geflohen ist. Was war es an der Geschichte, das Ihnen die Idee für den Film gegeben hat?
Álvaro Brechner: Na ja, die Familie meines Großvaters, die stammte ursprünglich aus Polen. Und meine anderen Großeltern, meine Großmutter kam sogar aus Deutschland. Und es ist relativ normal in Südamerika und vor allen Dingen in Uruguay oder in Argentinien, dass sehr viele Einwanderer eben aus Europa kamen und dann hier angefangen haben, eine ganz moderne Gesellschaft mitaufzubauen. Als ich dann das erste Mal in die Geburtsstadt meines Großvaters fuhr, war ich total überrascht, denn ich fand nichts von dem, was ich dort erwartet hatte, was ich mir da erhofft hatte, was dem entsprach, was immer in meiner Fantasie rumort hatte. Und ich fragte mich, was war das für eine Reise? Er hat sein Land verlassen, er hat sich von allem verabschiedet, was er kannte, kam dann auf einen neuen Kontinent. Und das muss ihm vorgekommen sein wie, als würden wir heute zum Mond reisen!
Das war eine völlig fremde Welt mit einer völlig fremden Sprache. Und es gab überhaupt keinen Kontakt mehr zu seiner alten Welt. Er musste wirklich von Null beginnen. Und meine Großmutter, die übrigens jetzt 90 ist, die stammte aus Deutschland, also aus Breslau, was heute zu Polen gehörte. Und sie musste 1939 das Land verlassen und es gab nur noch zwei Länder, die Visa für Juden gaben. Das waren China und Bolivien. Und dann wartete man auf das erste Visum und das kam eben aus Bolivien. Und so kam sie nach Bolivien und das ist völlig verrückt. Und ich wollte dieser Generation irgendwie die Ehre erweisen, eine Hommage erweisen mit diesem Film. Auch wenn das so direkt gar nicht mehr thematisiert wird. Aber dieser Hintergrund war mir wichtig. Ich wollte zeigen, was das für eine Generation war, die von Null begonnen hat und sich gar nicht gefühlt hat wie eine Einwanderergeneration, sondern sie fühlten sich Teil dieser neuen Länder.
Burg: Immer wieder taucht im Film dann Simon Wiesenthal auf, der als Aufgabe für die Nachgeborenen angesehen hat, die Erinnerung aufrechtzuerhalten. Wann kamen Simon Wiesenthal und seine Gedanken mit ins Spiel für den Film?
Ein Mann zieht Bilanz - und jagt Nazis
Brechner: Es ist die Geschichte von einem alten Mann, der sich fragt, was habe ich in meinem Leben eigentlich wirklich geleistet und habe ich irgendetwas hinterlassen? Und dann möchte er diesem berühmten Nazi-Jäger Simon Wiesenthal nacheifern. Er versucht, ihn zu kopieren. Aber er ist 76 Jahre alt und er hat natürlich überhaupt keine Voraussetzungen dafür, jetzt Nazis zu jagen. Er ist auch als Detektiv absolut nicht darauf vorbereitet. Um mein Projekt als Filmemacher zu entwickeln, habe ich mich dann auch mit Leuten aus dem Simon Wiesenthal Institute getroffen, habe mich darüber informiert, was es bedeutet, heute noch Nazis zu jagen. Und bin dann auch auf drei gestoßen, die diesen Beruf wirklich noch ausüben, der natürlich ein etwas seltsamer Beruf ist, weil man sich fragt: Gibt es überhaupt noch lebendige Nazis? Aber sie wollen natürlich auch die Erinnerung aufrechterhalten. Dann war es mir natürlich wichtig, dass ich irgendwie eine neue Perspektive finde. Also, es geht letztendlich gar nicht darum, wer Simon Wiesenthal ist oder was es bedeutet, heute noch Nazis zu jagen, sondern es geht um die verzweifelte Suche eines alten Mannes, der noch nach dem Sinn des Lebens sucht, der irgendetwas auf der Erde hinterlassen möchte. Und eben manchmal ist es ja auch fast eine absurde, sinnlose Suche, wenn man versucht, dem Leben noch einen Sinn zu geben.
Burg: Warum war es für Sie so wichtig, die Geschichte aus einer anderen Perspektive zu erzählen? Nämlich einer komödiantischen?
Brechner: Es ist gar keine Absicht, dass am Ende bei meinen Projekten immer wieder Komödien dabei herauskommen. Ich fange manchmal ganz dramatisch an und ganz ernsthaft und am Ende ist es dann wieder eine Komödie. Dabei wünschte ich mir so sehr, ich könnte auch mal ein reines Drama oder einen reinen Thriller drehen. Aber ich glaube, das hat damit zu tun, wie ich das Leben sehe. Es passieren manchmal schreckliche Dinge im Leben, aber wenn man darüber lachen kann, dann ist das auch eine Art von Mechanismus, wie man sich selbst auch wehren kann. Humor kann auch zu einer Rache werden, einer Rache gegen den Tod, eine Rache gegen das Vergessen. Und die Ironie besteht vielleicht darin, dass wir immer versuchen, dem Leben einen Sinn zu geben, und immer wenn wir kurz davor sind, dann entfernt sich dieses Ziel von uns. Und daher habe ich auch diese Szene, wo Gott mit Jacob spricht. Das hängt eben auch damit zusammen, jeder von uns ist auf dieser Erde, versucht, seinem Leben einen Sinn zu geben, und möchte einmalig sein, möchte besonders sein. Und deswegen gibt es eben diese Szene, dass Gott zwar mit dir spricht, aber du verstehst letztendlich gar nicht, was er dir letztendlich da mitgeben will. Was nach unserem Leben auf der Erde geschieht, das weiß ich nicht. Aber solange wir da sind, sollten wir kämpfen, und der Humor ist ein wundervolles Mittel für diesen Kampf.
Burg: Jetzt gibt es so ein paar Szenen, die wirklich außerordentlich komisch sind, da ist auch das Ehepaar Kaplan, hat einen sehr weltliches Leben geführt und die jüdische Gemeinde hat sie darüber ein bisschen vergessen und von der Gästeliste eines Banketts verschwinden lassen, sodass sie schließlich an einem Katzentisch hocken. Können Sie uns einen Einblick geben, wie Sie solche Komödienelemente erarbeiten? Also, kommen diese Ideen beim Schreiben oder sammeln Sie sie vorher und bauen sie dann in die Geschichte ein?
"Ich versuche nie direkt, komödiantisch zu sein"
Brechner: Es ist so, dass ich eigentlich nie direkt versuche, komödiantisch zu sein oder was Witziges zu schreiben, sondern für mich ist eine witzige Szene immer nur ein Kommentar zu meiner Geschichte, die ich erzählen möchte. Und in dieser Szene, die ist sehr, sehr wichtig. Weil, erinnern Sie sich mal, was genau vor der Szene passiert, da versucht sich Jacob mit den ganz Großen zu vergleichen, die schon in betagtem Alter noch zu gewissen Leistungen fähig waren wie beispielsweise Winston Churchill, der noch mal zum Premierminister gewählt worden ist. Er vergleicht sich sogar mit Abraham. Und in der Szene danach, also im Heute, da gelingt es ihm noch nicht einmal, auf einer Party eingeladen zu werden, weil man ihn schon vergessen hat. Er lebt noch, er ist noch lebendig, er möchte unsterblich werden und schon wird er im Alltag vergessen, bevor er überhaupt noch etwas leisten kann für die Nachwelt. Und deswegen sage ich mir: Man soll nicht immer so viel an die Zukunft denken, man soll erst mal versuchen, im Alltag zu bleiben, im Hier und Heute zu bleiben, und versuche erst mal, dass du in die Party hineinkommst!
Burg: Uruguay ist ein vergleichsweise kleines Land mit einer Bevölkerung von dreieinhalb Millionen Einwohnern. Ab und zu schafft es ein Film aus Uruguay dann auch in die internationalen Kinos oder auf internationale Festivals wie zum Beispiel der Film "Gigante", der 2009 auf der Berlinale drei Preise bekam. Wie stark ist das Kino, die Filmindustrie in Uruguay?
Brechner: Wie Sie bereits erwähnten, Uruguay ist nun wirklich ein sehr kleines Land mit etwa drei Millionen Einwohnern. Und es ist unglaublich schwierig, überhaupt Filme finanziert zu bekommen und dann auch noch gesehen zu werden vom Publikum. Wir haben vielleicht fünf bis sechs Filme, die wir pro Jahr produzieren. Wie gesagt, wir haben weniger Einwohner als Berlin! Und für die Filmemacher wiederum, wir sind doch eine eingeschworene Gemeinde, weil wir schon Lust haben, Geschichten zu erzählen, und müssen dabei so wahnsinnig viele Probleme und Schwierigkeiten überwinden, dass letztendlich die Filme, die sich durchsetzen, sich auch deshalb durchsetzen, weil so eine ganz starke Überzeugung dahinter stand, dass es diesen Film dann gibt und dass er es am Ende auch auf die große Leinwand schafft.
Burg: Also, eine der raren Gelegenheiten, einen Film aus Uruguay in Deutschland in den Kinos zu sehen: "Senor Kaplan" heißt der Film, Álvaro Brechner ist der Regisseur. Vielen Dank fürs Gespräch!
Brechner: Thanks to you, thank you very much!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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