Kommunalpolitiker im Fadenkreuz

Prügel, Hass und Morddrohungen

Ein Plakat der Kölner Obermeisterkandidatin Henriette Reker ist am 17.10.2015 in Köln (Nordrhein-Westfalen) einen Tatort zu sehen. Die Kölner Oberbürgermeisterkandidatin Henriette Reker ist einen Tag vor der Wahl bei einer Messerattacke in Köln verletzt worden.
Plakat von Henriette Reker in Köln nach dem Attentat vor einem Jahr © dpa / picture alliance / Federico Gambarini
Von Bastian Brandau · 17.10.2016
"Der Täter ist auf mich zugekommen und hat gefragt, ob er auch eine Rose bekommen könnte. Dann hat er  das Messer rausgezogen und es mir in den Hals gesteckt", erinnert sich Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker an das Attentat vor einem Jahr. Die Attacke ist nur ein Beispiel von Übergriffen auf Kommunalpolitiker.
Wenn Sven Scheidemantel das Haus verlässt und mit seinem Auto fahren will, macht er erst einmal einen Kontrollgang:
"Na, einfach mal mit dem Fuß so ran, und dann ein bisschen gucken, ob irgendwo ein Grat abgeht oder irgendwas, einfach mal mit dem Finger prüfen, ob irgendwo was locker ist."
Sitzen die Radmuttern noch fest? Liegt etwas unter den Reifen? Hat sich jemand an seinem Auto zu schaffen gemacht? Für Sven Scheidemantel ist das zur Routine geworden. Der parteilose Politiker sitzt im Kreistag von Bautzen und lebt in Arnsdorf, etwa eine halbe Stunde von der sächsischen Hauptstadt Dresden entfernt. Er engagiert sich gegen Rechtsextremismus. Meldet Gegendemonstrationen an. Tritt auf Bürgerversammlungen für Geflüchtete ein. Und hat sich damit Feinde gemacht.
Vor allem Lokal- und Kommunalpolitiker seien betroffen, erklärt Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes:
"Also die Kommunalpolitiker sind natürlich näher dran. Der Bundespolitiker ist auf einer Veranstaltung vor Ort, aber der Bürgermeister oder Oberbürgermeister ist eben täglich auf dem Marktplatz oder geht zum Rathaus, die unmittelbare Betroffenheit ist auf der kommunalen Ebene viel größer."
Landsberg spricht von einer regelrechten Hasswelle - nicht nur gegen Bürgermeister oder Landräte, sondern auch gegen einfache Ratsmitglieder:
"Das läuft eigentlich immer nach demselben Schema ab: Es hängt fast immer mit der Flüchtlingssituation zusammen. Zunächst gibt es beleidigende Mails, dann finden Bürgerversammlungen statt, da fliegen dann Gegenstände, dann werden die Drohungen intensiver, das heißt: 'Wir wissen, wo du wohnst!', und 'Wir wissen, wo deine Kinder zur Schule gehen!'. Als nächste Stufe gibt es dann Farbbeutel vor der Haustür oder Beschädigung des Autos, und dann gibt es eben auch tätliche Übergriffe, einer der schlimmsten war der auf Frau Reker, die Oberbürgermeisterin von Köln."

"Ihr unsäglich saudummes Gequatsche von Flüchtlingen"

Auch Landsberg selbst kennt Hass- und Drohbriefe, er bekommt regelmäßig welche via Mail oder Facebook. Manche sind 30 Seiten lang. Viele löscht er, einige hat er jedoch an die Staatsanwaltschaft Berlin weitergeleitet. In seinem Büro blättert er in einem dicken Stapel Papier:
"Was haben wir denn da alles?" "Ihr unsäglich saudummes Gequatsche von Flüchtlingen, die oft Analphabeten sind!" "Lass mal dein dümmliches Gutmenschen-Syndrom behandeln! Illegale Neger und muslimische Terrorsektenaraber gehören abgeschoben!" "Ich wünsche Ihnen, dass Ihre Ehefrau das Gleiche erleidet, wie die Frauen am Kölner Hauptbahnhof!"
Landsberg hat Anzeige erstattet, aber wie viele andere Politiker macht auch er die Erfahrung: Es passiert relativ wenig. Eine Drohung wird nur verfolgt, wenn darin ein konkretes Verbrechen angekündigt wird. Zu aufwendig ist es, jeder anonymen Pöbelei nachzugehen.
"Hass" ist auf einem Bildschirm zu lesen. 
Gerd Landsberg sieht eine "Hasswelle" gegen Kommunalpolitiker - nicht nur im Netz.© dpa / picture alliance / Lukas Schulze
Der Chef des Städte- und Gemeindebundes fordert deshalb, dass Politiker-Stalking zum Straftatbestand werden müsse. Landsberg sorgt sich um die kommunale demokratische Struktur, denn: Viele Ämter in der Kommunalpolitik sind ehrenamtlich. Wenn Menschen also nicht nur ihre Freizeit opfern, sondern zudem auch noch beschimpft, bedroht oder sogar tätlich angegriffen werden, dann habe das Folgen: Die Verantwortlichen im Amt geben auf, wie der Oberbürgermeister von Tröglitz in Sachsen-Anhalt im März 2015.
Markus Nierth hatte wochenlange Auseinandersetzungen mit Rechtsextremen hinter sich. Als die NPD schließlich einen Aufmarsch vor seinem Privathaus plante und er keinerlei Rückhalt in den eigenen Reihen spürte, reichte es ihm.
Auch in Oferdingen, einem Stadtteil von Reutlingen in Baden-Württemberg legte der Bezirksbürgermeister des Ortes, Ralph Schönenborn, vor einem Jahr sein Amt nieder.
Im Herbst 2015 war dort der Streit um eine Flüchtlingsunterkunft eskaliert. Schönenborn wollte ein Containerdorf für 76 Flüchtlinge auf einem städtischen Grundstück bauen lassen, die Mehrheit seiner Ratskollegen war dagegen. Sie forderten seinen Rücktritt, er selbst und seine Frau erhielten anonyme Drohungen. Nach sieben Jahren im Amt legte der 55-jährige Steuerberater sein Amt nieder. Interviews gab er keine, in einer Stellungnahme erklärte er schriftlich:
"Kontroverse Diskussionen sind in einer Demokratie der Normalfall und für die Meinungsbildung wichtig und notwendig. Wir alle in Deutschland suchen doch den richtigen Weg, mit einer solchen Völkerwanderung angemessen umzugehen. Eine Grenze wird aber dann überschritten, wenn Verunglimpfungen und Drohungen gegen Andersdenkende die Auseinandersetzung in der Sache belasten."
Heute, ein Jahr später, steht fest: Momentan müssen in Oferdingen keine Flüchtlinge untergebracht werden, die Kapazitäten in anderen Stadtteilen reichen derzeit aus.
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