Kommentar zur Verfassungskrise in Polen

Kaczynskis rücksichtsloser Konfrontationskurs 

Demonstranten protestieren gegen die umstrittene Justizreform am 23.07.2017 in Warschau (Polen) vor dem Obersten Gerichtshof.
Demonstranten protestieren in Warschau gegen die umstrittene Justizreform. © dpa-Bildfunk / AP / Alik Keplicz
Von Rosalia Romaniec · 29.07.2017
Der Chef der polnischen Regierungspartei PiS, Jaroslaw Kaczynski, hält an der umstrittenen Justizreform fest, trotz des Protestes Tausender und Drohungen aus Brüssel. Die Regierungspartei ent-demokratisiert damit das Land, meint die polnische Regisseurin Rosalia Romaniec.
Die Bilder der letzten Woche aus Polen lassen Hoffnung zu. Ja – das stimmt. Ich war selbst vor Ort und sah Tausende meiner Landsleute auf den Straßen demonstrieren – für eine unabhängige Gerichtsbarkeit und gegen eine radikale Politik. Ja, das ist erst einmal ein Grund zur Hoffnung!
Doch dass es nötig ist, heute mitten in Europa für freie Gerichte zu demonstrieren, ist schlimm genug und darf auch Angst machen. Das ist zum Beispiel die Radikalität, mit der die regierende PiS-Partei ihre Reformen durchpeitscht. Und auch die Respektlosigkeit, mit der sie jeglichen Widerstand abtut.
Die Regierung nennt den Staatsumbau einen "guten Wandel". Das klingt ebenso zynisch, wie der Name der Partei, die sich "Recht und Gerechtigkeit" nennt. Sie schaltet mehrere Staatsgewalten nach ihrem Gusto gleich. Es geht nicht um "Recht und Gerechtigkeit". Es geht dabei um Macht und Geld. Aber nicht nur. Es geht auch um eine Ideologie und um ein Monopol auf Geschichtsdeutung.

Regierung "sortiert" Bürger in gut und schlecht

Nein: Diese Regierung handelt nicht umsichtig und besonnen - Ganz im Gegenteil: Sie "sortiert" die eigenen Bürger in gut und schlecht. Was gerade in Polen passiert, ist weit mehr als ein Kampf um politische Macht. Es ist längst zum Kampf der Kulturen geworden. Auf der einen Seite die betonierten Köpfe, die einem Parteivorsitzenden wie einem Imperator blind folgen und immun gegen jegliche Kritik und ernsthaften Dialog sind. Auf der anderen Seite diejenigen, die frei und mit gleichen Rechten wie andere Europäer ausgestattet sein wollen und ihr Land durchaus selbstbewusst, mit nationalem Stolz, aber auch auf liberalen Werten basierend sehen.

Kein Dialog, sondern Spaltung

Was ihnen zuwider ist, ist auch der rücksichtslose Konfrontationskurs der Regierung - außenpolitisch, innenpolitisch und gesellschaftlich. Kein Dialog, sondern Spaltung. Das merkt man an den umstrittenen Entscheidungen ebenso wie an der Sprache. Für die Politiker der regierenden PiS-Partei ist die Opposition nicht einfach die "andere politische Kraft." Nein: Sie ist eine "totale Opposition", die eine "totale Niederlage" verdiene. Für mich ist das der "totale Wahnsinn".

Parteiinteressen gegen das Wohl des Landes

Die friedlichen Proteste der Bürger sind für die Regierung in Warschau kein Anlass nach einen Dialog zu suchen. Politiker der PiS nennen die Demonstranten eine "politische Tollwut".
Andersdenkende sind nicht einfach Andersdenkende, deren Meinung man in reifen Demokratien nicht teilen muss, aber respektiert, für die PiS sind sie Feinde und Verräter, die man ignorieren und beschimpfen darf. Bestenfalls belehrt man sie – so, wie man jetzt den Staatspräsidenten Andrzej Duda zu belehren versucht. Der einfache Abgeordnete Jaroslaw Kaczynski nennt Dudas präsidiale Veto-Entscheidung "einen Fehler", den man noch korrigieren und dann vergessen könne, damit man den Umbau des Staates weiter vorantreiben kann. Parteiinteressen gegen das Wohl des Landes – das kann nicht gut enden. Diese Ignoranz gegenüber staatlichen Autoritäten ist empörend und zeigt, wie unreif die polnische Demokratie noch ist. Wenn eine Regierung so wenig Respekt für den Präsidenten hat - wieviel hat sie dann für den einfachen Bürger?

Konfrontation statt Kompromisse

Statt Kompromisse zu schmieden sucht sie Konfrontationen. Es ist unanständig, wie eine Regierung dem Staat und der Gesellschaft ihre eigene Ordnung aufzwingen will, statt Reformen verfassungskonform zu machen und auf Mechanismen der Demokratie zu vertrauen. Der Erfolg nach der Methode der PiS kann eine verheerende und demoralisierende Wirkung haben. Wie soll es weiter gehen? Die optimistischen Szenarien sind nicht gerade die wahrscheinlichsten. Wird sich der junge Präsident dem Druck der regierenden Partei beugen oder hält er ihn aus?
Die Regierung wird keinesfalls einlenken. Sie ruft dazu auf, weder "dem Druck der Straße" noch dem "aus dem Ausland" nachzugeben. Kaczynski und Co. werden an ihrem radikalen Umbau Polens festhalten. Und deshalb werden weitere Massenproteste in Polen erwartet. Die Fronten erhärten sich und die Spaltung des Landes nimmt zu. Und das bedeutet nichts Gutes für die politische Stabilität des Landes mitten in Europa. Und auch nicht für Europa selbst.
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