Kommentar zur Staatskrise in Spanien

Reden statt raufen

Polizisten der spanischen Guardia Civil sichern Proteste in der katalanischen Regionalhauptstadt Barcelona ab.
Nach dem Referendum ist die spanische Guardia Civil in Barcelona dauerpräsent. © imago / ZUMA press
Von Burkhard Birke · 07.10.2017
Schon Anfang kommender Woche könnte die Regionalregierung in Barcelona die Unabhängigkeit Kataloniens verkünden. Die Zentralregierung in Madrid will das verhindern. Und gießt weiter Öl ins Feuer. Unser Redakteur Burkhard Birke hält das für einen großen Fehler.
Ein Europa der Regionen wäre die Lösung – nicht nur um das Unabhängigkeitsstreben der Katalanen, sondern auch anderer Gegenden und Minderheiten in Europa zu befriedigen und schwelende Konflikte zu entschärfen. Katalonien ist nur das jüngste Beispiel in der Kette. Mit dem Baskenland, Schottland, Südtirol und Flandern existiert weiteres Spalt-Potential. Das mag die offensichtliche Zurückhaltung der EU erklären, spricht aber auch für eine gewisse Feigheit.

Die Feigheit der EU

Diese innerspanische Auseinandersetzung geht Europa sehr viel an. Da genügt es nicht auf die Unrechtmäßigkeit des Unabhängigkeitsreferendums zu verweisen. Es wäre das Mindeste gewesen, die Polizeigewalt gegen friedliche Bürger zu verurteilen, die nicht anderes wollten als ihre Meinung zu äußern. Erschreckend ist dabei, wie der spanische Zentralstaat in alte koloniale Muster zurückfällt, um ein hegemoniales Konzept von Nation auf Biegen und Brechen durchzusetzen.

Zwei Schnellzüge rasen aufeinander zu

Keine Frage: Das Referendum war nicht verfassungskonform. Es ist auch de jure nicht möglich, dass Katalonien einseitig seine Unabhängigkeit erklärt. Völkerrechtlich prallen dabei zwei Konzepte aufeinander: Das des Selbstbestimmungsrechtes der Völker, was die katalanische Regierung mit Carles Puigdemont für sich beansprucht, und das der Integrität von Staaten oder Nationen, auf das sich der Madrider Regierungschef Mariano Rajoy beruft.
Statt auf die Bremse zu treten, lassen die beiden Sturköpfe den Streit eskalieren wie zwei Schnellzüge, die aufeinander zu rasen. Der Crash scheint unvermeidlich und hätte fatale Folgen nicht nur für Katalonien und Spanien, sondern für ganz Europa.

Banken verlassen bereits Katalonien

Mit Sabadell und vermutlich Caixa kehren zwei wichtige Banken Katalonien als Hauptfirmensitz den Rücken. Zahlreiche Unternehmen vor ihnen sind diesen Weg bereits gegangen. Denn ein unabhängiges Katalonien wäre nicht mehr Teil der EU. Ein Beitritt zur EU würde wohl auf immer und ewig von Spanien verhindert: Der Beitritt eines Landes zur europäischen Schicksalsgemeinschaft muss einstimmig beschlossen werden. Katalonien ist neben der Hauptstadtregion Madrid wirtschaftliches Rückgrat Spaniens. Nahezu ein Fünftel des Sozialproduktes wird hier erwirtschaftet. Mit bis zu 16 Milliarden Euro subventioniert Katalonien den Rest Spaniens. Das ist ein sensibler Punkt. Die nach Unabhängigkeit strebenden Katalanen wollen aber mehr als nur einen gerechteren Finanzausgleich. Es geht um die Anerkennung als Nation mit eigener Kultur und vor allem Sprache. Dieses Ansinnen hat Madrid in all den Jahren stets weit von sich gewiesen. Es war der Führer des Partido Popular, der heutige Regierungschef Mariano Rajoy, der gegen ein von der Mehrheit der Katalanen per Referendum akzeptiertes Autonomiestatut vor gut zehn Jahren geklagt hatte.

Madrid heizt den Konflikt weiter an

Aus Sicht der Katalanen entscheidende Punkte wie der Begriff Nation wurden daraufhin annulliert. Der Konflikt ist also keineswegs neu und die ablehnende Haltung gerade auch Mariano Rajoys hat die Unabhängigkeitsbewegung gestärkt. Madrid gießt weiter Öl ins Feuer mit dem brutalen Vorgehen der noch aus der Zeit von Diktator Franco verhassten Guardia Civil gegen Initiatoren und Teilnehmer des Referendums und der Entscheidung des Verfassungsgerichtes, die Sitzung des katalanischen Parlaments am Montag abzusagen, auf der möglicherweise die Unabhängigkeit erklärt würde.

Das Modell Schottland – ein Ausweg aus der Krise?

Es ist höchste Zeit zu deeskalieren und den Dialog zu suchen. Vielleicht könnte die UNO oder Norwegen – ein Außenstehender vermitteln. Was spricht dagegen die Katalanen wie etwa die Schotten oder Waliser als Nation anzuerkennen? Auch ein Abkommen wie mit dem Baskenland über einen größeren Eigenanteil an den Steuern sollte möglich sein. Je rigider sich Madrid jedoch den Wünschen der Katalanen entgegenstellt, desto größer dürfte das Lager der Befürworter der Unabhängigkeit werden.
So oder so scheint eine Reform der postdiktatorialen Verfassung Spaniens dringend geboten – auch die Umwandlung in einen Föderalstaat sollte in Erwägung gezogen werden. In einem Europa der Regionen wären sogar Katalonien und Baskenland dies und jenseits der spanisch französischen Grenze denkbar – zugegeben das ist ein Traum, aber er wäre die Antwort auf die Identitätssuche vieler Bürger und ein Gegenmodell zum teils rassistisch gefärbten Nationalismus, der in Europa wieder grassiert.

Burkhard Birke ist Redakteur von Deutschlandfunk Kultur und hat als Hörfunkkorrespondent in Brüssel, Paris und London gearbeitet.
Burkhard Birke, Deutschlandradio Kultur
Burkhard Birke, Deutschlandradio Kultur© Deutschlandradio - Bettina Straub
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