Kommentar zum Theater-Lockdown

"Es fühlt sich an wie eine Bestrafung und Verhöhnung"

04:55 Minuten
Alle Anstrengungen mit Hygieneregeln waren in den Theatern vergebens. Ab Montag gibt es vier Wochen lang keine Vorstellungen mehr.
Alle Anstrengungen mit Hygieneregeln waren in den Theatern vergebens. Ab Montag gibt es vier Wochen lang keine Vorstellungen mehr. © Getty Images / Lukas Schulze
Von Dorothea Marcus · 31.10.2020
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Unsere Kritikerin Dorothea Marcus hat Stimmen zur Theaterschließung in den kommenden vier Wochen eingesammelt. Sie selbst befürchtet, dass sich die Corona-Lage bis Anfang Dezember kaum bessern werde. Dann würde der Lockdown umsonst gewesen sein.
Es ist ein Paukenschlag, der den Kulturbetrieb hart erwischt: Der in dieser Woche beschlossene und auf vier Wochen angelegte bundesweite Lockdown betrifft nicht nur die Gastronomie und die Sportangebote, sondern auch alle Bühnen. Die Reaktionen sind von Fassungslosigkeit und Empörung geprägt, viele Verbände und Institutionen haben ihren Protest bereits öffentlich bekundet.

Stimmen aus dem Theater

Dazu sagt der Intendant des Schauspiels Köln, Stefan Bachmann: "Vielleicht ist das jetzt einfach nochmal ein solidarischer Beitrag, den wir leisten müssen in Anbetracht der Situation. Die nehme ich schon ernst. Es ist schwer zu sagen, weil mir natürlich auch angesichts der steigenden Zahlen mulmig zumute wird. Ach ja, eine Mischung aus Niedergeschlagenheit und Pragmatismus. Man kann sich jetzt nicht hinsetzen und rumheulen, man muss einfach weitermachen. Ich glaube nicht, dass das Theater in Vergessenheit gerät, nur weil wir jetzt drei oder vier Wochen nicht spielen. Wir werden umso präsenter wieder erscheinen."
Wilma Renfordt, Dramaturgin des NRW-Impulse-Festivals, sagt: "Nein, Angst nicht, aber Lust habe ich auch nicht drauf. Wenn es sein muss, muss es sein, und dann müssen wir so gut wie es geht, den Winter überstehen. Schön wird es nicht werden, aber ändern kann man es auch nicht. Was soll man sonst machen. Gemeinsam durchstehen."
Ich kann mich einfach nicht in die Reihe derer einreihen, die nun sagen: Ja, es ist schlimm, aber die zweite Schließung für Theater muss sein, es ist eine erneute Geste der Solidarität, es wäre schwer vermittelbar, es nicht zu tun.
Ich bin verzweifelt. Und wütend. Und das nicht, weil ich nun als freie Theaterkritikerin keine Jobs mehr habe. Persönlich komme ich schon klar, schließlich wollen Kultursendungen mit Inhalt gefüllt werden und ich habe viele Ideen. Nein, was mir Sorgen macht, der zweite Lockdown macht so müde. Er fühlt sich so sinnlos an. Haben denn alle Anstrengungen nichts gebracht?

Ohrfeige an die Kultur

Es fühlt sich an wie eine Bestrafung und Verhöhnung. Es ist eine Ohrfeige an die Kultur, wenn sie unter "Unterhaltung" subsumiert wird und statt Theatern nun Schlachthöfe und Shoppingcenter, Gottesdienste und die Bahn offen bleiben. Es ist eine Missachtung der Tatsache, dass sich die Theater bis zur Unkenntlichkeit verbogen haben, um die sichersten, kontrolliertesten, geradezu sterilsten Hygienebedingungen herzustellen, weit über jede Wirtschaftlichkeit und Logik hinaus. Um trotzige Symbolträger einer gebildeten, demokratischen Gesellschaft zu bleiben und dafür zu sorgen, dass die Moral irgendwie oben blieb.
Dabei ist ein Monat Theaterpause nicht das Schlimmste. Schlimmer ist der Zweifel daran, ob eine vierwöchige Schließung überhaupt etwas bringt. Ich befürchte, dass Anfang Dezember nicht ein einziger potenzieller Theaterbesucher das Infektionsgeschehen eingedämmt hat. Und damit gilt: Pauschale, nicht zielführende Verbote gefährden letztlich die Akzeptanz der notwendigen Einschränkungen. Wo soll das hinführen? Mit wie vielen Lockdowns wollen wir die Besucher von Kultureinrichtungen noch vergraulen?

Corona-Leugner rücken näher

Und wenn schon ich die Maßnahmen als inkonsistent, willkürlich und nicht wirksam genug empfinde? Wie wird es dann erst den Krawallheinis und Hatern aus dem Netz gehen? Meine Kosmetikerin hat mir gerade erklärt: "Die Reichen wollen, dass wir Armen uns alle impfen, um früher zu sterben, und Corona sei gar nicht schlimm. "
In meinem Viertel wurde gestern Party bis zum Abwinken gefeiert. Die Leugner und Verbotmissachter, die Elenden und Aufgebrachten, sie rücken näher und werden sich potenzieren. Der gesellschaftliche Frieden wird gefährdet, wenn das meiste, das Kraft, Mut und Hoffnung gibt, verboten ist. Mit pauschalen, undifferenzierten Schließungen aller Institutionen, die Menschen Ventile verschaffen können, kreiert man Brandherde. Da schließe ich Gastronomie und Sportstätten natürlich mit ein. Ohne Kunst und Zusammenkunft wird es in einer Gesellschaft traurig und gefährlich.

Gute Hygienekonzepte

Dabei liegen doch Konzepte auf dem Tisch, mit einem Virus zu leben, der nicht mehr verschwinden wird. Sie müssen stärker gehört werden. Alte Menschen massiv schützen, durchgetestete Hilfsnetzwerke kreieren, Maskenpflicht, Mund spülen. Es wird ohnehin so weit kommen. Warum nicht jetzt schon? Denn was ist, wenn der Virus, wie wir schon ahnen, im November gar nicht wesentlich eingedämmt ist?
Zum Schluss nochmal Intendant Stefan Bachmann: "Dann würde ich dezidierter dafür eintreten, dass man sich selektiver verhalten muss. Weil Kultur einfach so … das lässt sich für mich dann auch mit nichts mehr begründen. Meine Geduld ist wirklich arg strapaziert und Ende November dann auch zu Ende."
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