Kommentar zum Freiheitsindex

Intellektuelle in die Politik!

Hand hält eine Lupe über einen Politiker am Podium.
Misstrauen und Skepsis gegenüber dem politischen Führungspersonal sind weit verbreitet. © imago
Von Ulrike Ackermann · 17.09.2017
Die Mehrheit der Deutschen sieht die Meinungsfreiheit gesichert. Doch die Unzufriedenheit der Bevölkerung über die politische Klasse ist groß. Neue Gesichter – wie in Frankreich – könnten die Politik wieder attraktiv machen, kommentiert Ulrike Ackermann.
Der Freiheitsindex Deutschland des John Stuart Mill Instituts hat jetzt kurz vor der Bundestagswahl ermittelt, dass sich die populistisch aufgeladene Stimmung in der Bevölkerung nach Finanzkrise, europäischer Schuldenkrise und Migrationskrise wieder normalisiert hat.
Davon hatte vor allem die AfD profitiert. Erfreulicherweise ist die gesellschaftliche Wertschätzung der Freiheit gestiegen und das generelle Vertrauen in die Institutionen der Demokratie wieder stabiler geworden. Doch die Unzufriedenheit der Bevölkerung über die Akteure der politischen Klasse ist groß. Eine deutliche Mehrheit wünscht sich, dass Politiker den Volkswillen unmittelbar umsetzen.

Argwohn gegenüber Volksvertretern ist so groß

Diese Zweifel an der Bereitschaft der Politiker, den Wählern zu dienen und die Interessen der Bevölkerung zu vertreten, sind nicht nur an den linken und rechten Rändern der Gesellschaft ausgeprägt. Misstrauen und Skepsis gegenüber dem politischen Führungspersonal reichen weit hinein in die bürgerliche Mitte. 43 Prozent der Bürger unterstellen, Politiker dienten nicht dem Allgemeinwohl, sondern verfolgten eigene Partei-, Wirtschafts- oder Lobbygruppeninteressen. Der Argwohn gegenüber den Volksvertretern ist so groß, dass nur 25 Prozent der Bürger glauben, die Abgeordneten wüssten über die Sorgen der Bevölkerung und das, was sie bewegt, Bescheid.
Dieser beunruhigende Befund ist nicht einfach wegzuschieben mit dem Argument, es handele sich um populistische Neigungen der Bürger. Denn die Kluft zwischen Bevölkerung und politischer Klasse ist tatsächlich groß. Und das mangelnde Vertrauen der Bürger in die Leistungseliten von Politik, Wirtschaft und Medien beobachten wir auch in den europäischen Nachbarländern und den USA.
Großkoalitionäre Konsenspolitik hierzulande, Kungeleien in den Fachausschüssen und die Vermeidung von Konflikten behindern offensichtlich nicht nur einen lebendigen, sichtbaren, politischen Willensbildungsprozess über alternative Wege. Eine derartige Politik schürt geradezu das Misstrauen in die politischen Akteure. Interessante Debatten, in denen der Bundestag tatsächlich zur Bühne lebendiger politischer Auseinandersetzung wird, finden nur statt, wenn der Fraktionszwang aufgehoben ist.

Frankreich wählt die alte politische Klasse ab

In Frankreich wurde die alte politische Klasse gerade abgewählt. Die Bürger verlangten nach neuen politischen Akteuren und schickten die alten in die Wüste. Gewonnen haben die Kandidaten eines unkonventionellen und intellektuellen Präsidenten, die zur Hälfte Politprofis und zur anderen Hälfte eigenwillige, herausragende Persönlichkeiten der Zivilgesellschaft sind.
Auf diese Weise kann man also erfolgreich dem europaweiten Misstrauen in das alte politische Führungspersonal begegnen. Auch in seinem Kabinett versammelt Macron eine Vielfalt kluger Köpfe und Quereinsteiger, denen eine liberale, offene Gesellschaft am Herzen liegt und die etwas Neues wagen.
Ein Experiment, von dem wir Deutschen lernen sollten. Mit dem Mut zu neuen Gesichtern und Gebräuchen, die die Politik wieder attraktiv machen, für die Politiker ebenso wie für die Bürger.
Mehr zum Thema