Kommentar zum Asylstreit

So viel Dilettantismus war selten

Horst Seehofer, CSU-Vorsitzender und Bundesminister für Inneres, Heimat und Bau, läuft auf seinem Weg zu einer Pressekonferenz, die in Anschluss an die Sitzung des CSU-Vorstands stattfindet, an einem Fernseher vorbei, auf dem die Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) übertragen wird.
Gezielter Provokateur: Horst Seehofer mit der Bundeskanzlerin im Rücken. © dpa-Bildfunk / Peter Kneffel
Von Rainer Burchardt · 23.06.2018
Gerade jetzt im Asylpolitik-Streit brauchte es dringend ein starkes, geeintes Europa. Stattdessen bestimmten Dilettantismus und bayerische Dünnbrettbohrer die Szene, kommentiert Rainer Burchardt.
Und jetzt auch das noch. Als hätten EU-Europa im Allgemeinen und Deutschland im Besonderen nicht genug Probleme, schlagen jetzt die Visegrad-Staaten wie Polen, Tschechien und Ungarn Alarm. Der von Kommissionspräsident Juncker auf Wunsch der deutschen Kanzlerin für dieses Wochenende anberaumte sogenannte "kleine Gipfel" zur Asylpolitik ist auf heftige Kritik in Osteuropa gestoßen, man hält diese Initiative für überflüssig und sinnlos. Das war ja wohl vorherzusehen.
Aber in diesen Zeiten der absoluten Unvorhersehbarkeit politischer Entwicklungen ist das kein Wunder. Spaltung ist das politische Wort der jetzt zu Ende gehenden Woche.

CDU und CSU zerrissen wie selten

Die Fraktionsgemeinschaft von CDU und CSU präsentiert sich zerrissen wie selten zuvor, und die Europäische Union wird faktisch von ihren eigenen, führenden Köpfen wie Merkel, Juncker und Macron auseinandergetrieben. So viel unseliger Dilettantismus der Hauptakteure war selten. Es ist nicht übertrieben, von einem Kontinent im Chaos zu sprechen. Und das zu einer Zeit, da ein überforderter Supermachtpräsident namens Donald Trump in der globalen Handels-, Außen- und Sicherheitspolitik keinen Stein auf dem anderen lässt.
Gerade jetzt aber wäre ein geeintes und starkes Europa nötiger denn je. Gerade jetzt darf das bis dato wirtschaftlich und politisch starke Deutschland sich nicht auf unkalkulierbare Scharmützel bis an den Rand der Unregierbarkeit einlassen, und gerade heute wäre angesichts der globalen Irrungen und Wirrungen ein Solidarpaket auf den Grundlagen westlicher Werte dringend vonnöten.

Schäbige Machtspiele

Max Weber hat in seinen Betrachtungen über "Politik als Beruf" vom Bohren dicker Bretter gesprochen und er hat das moralische Gegensatzpaar von Verantwortungs- und Gesinnungsethik entworfen. Doch, um im Weberjargon zu bleiben, die politischen Dünnbrettbohrer aus Bayern, deren Verantwortungsethik sich auf die "Mia-san-mia-Formel" reduzieren lässt, und dabei auch nicht von politischer Erpressung der Kanzlerin zur Lösung der Asylproblematik zurückschrecken, entlarvt sich als ein schäbiges Machtspiel.
Der zu Hause ohnehin entmachtete CSU-Chef auf Abruf Horst Seehofer spielt dabei nolens volens den "nützlichen Idioten" der Münchner Spalter Söder und Dobrindt. Sie sehen aufgrund der jüngsten Umfragen offenbar ihre landespolitischen Felle davon schwimmen und inszenieren mit einem möglichen Unionsbruch die Option für eine bundesweite Präsenz der CSU.

Eine inakzeptable Provokation der Kanzlerin

Diese Kopfgeburt hat ein Franz Josef Strauß auch schon einmal als aussichtslos begraben müssen. Und in der Sache selbst ist das erpresserisch angedrohte Schließen der bayerischen Grenzen gegen den angeblich überbordenden Flüchtlingsstrom allein personell-bürokratisch nicht zu bewältigen. Zumal dies eine inakzeptable Provokation der Kanzlerin wäre, die aufgrund ihrer Richtlinienkompetenz den Bundesinnenminister Seehofer entlassen müsste. Zumindest darüber könnten die Herren Söder und Dobrindt in "Max-und-Moritz-Manier" feixen. Wenn auch nur vorläufig und – natürlich – heimlich.
Doch welch ein Preis wäre dies Ausschalten ihres Parteivorsitzenden! Diese bayerische Lösung würde auch die Kanzlerin vor Probleme stellen. Sie müsste sich einen anderen Koalitionspartner suchen. Die Grünen scharren schon mit den Füßen. Aber mit denen wäre ein CDU-kompatibles Programm zur Lösung der Asylproblematik nicht eben leichter als bisher. Auch Neuwahlen wären höchst problematisch, weil davon, wie die Dinge aktuell liegen, vor allem die AFD profitieren könnte. Bliebe die Vertrauensfrage mit ungewissem Ausgang.

Kein Ende der Chaostage in Sicht

Also muss jetzt doch, was Merkel immer favorisiert hat, eine europäische Lösung her. Auch hier ist nichts mehr gewiss. Auch oder gerade die jüngsten Vorschläge Junckers, dessen Papier schon vorzeitig bekannt wurde, sind auf Skepsis gestoßen, Italien drohte mit Boykott, die Visegradstaaten ohnehin. Und auch die sogenannte Achse Rom-Wien-Berlin, genannt "Achse der Willigen", ist wohl nur Theorie. Juncker hatte übrigens ein Konglomerat von Lagern an den EU-Außengrenzen, Rückführung von Flüchtlingen in die Ankunftsländer und bessere Sicherung der EU-Außengrenzen vorgeschlagen. Inzwischen hat er aufgrund vielfältiger Proteste das Papier wieder kassiert. Die Chaostage in Brüssel und Berlin sind noch nicht zu Ende.
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