Kommentar

Pfingsten - das polyglotte Fest

04:25 Minuten
Reproduktion des Ölgemäldes TURMBAU ZU BABEL von Peter Bruegel.
"Turmbau zu Babel" als Gemälde von Peter Bruegel, entstanden im 16. Jahrhundert © imago / suedraumfoto
Von David Lauer · 31.05.2020
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Dass die Menschen unterschiedliche Sprachen sprechen, erklärt die Bibel als Strafe für den Turmbau zu Babel. Pfingsten ist das Fest, das die Kommunikation wiederherstellt, meint Philosoph David Lauer. Ideal für Sprachphilosophen – und nicht nur für sie.
Pfingsten ist ein Fest für Kenner. Man muss es schon deshalb schätzen, weil es von kulturindustrieller Vereinnahmung verschont geblieben ist und sich nicht schon Wochen vorher durch die Dauerpräsenz infantiler Markenbotschafter vom Schlage des Weihnachtsmanns und des Osterhasen ankündigt. Und auch jenseits seiner im engeren Sinne christlichen Bedeutung verkündet es eine wichtige Lehre. Wenn Weihnachten das Fest der Liebe ist und Ostern das Fest der Hoffnung, dann ist Pfingsten das Fest der Verständigung.
Die Apostelgeschichte des Lukas berichtet, wie die Jünger Jesu sich zur Feier des jüdischen Erntedankfestes in Jerusalem versammelt haben. Plötzlich ertönt ein Brausen vom Himmel und Zungen aus Feuer fahren in die Jünger. Wie entflammt beginnen sie, auf den Plätzen der Stadt zu predigen, und zwar wunderbarerweise so, dass jeder Mensch in der bunt durcheinander gewürfelten multikulturellen Menge sie in seiner eigenen Sprache sprechen hört und verstehen kann – in Sprachen, welche die Fischer und Handwerker aus Galiläa gar nicht beherrschen.

Die Utopie gelingender Kommunikation

Oft ist die Geschichte so gelesen worden, dass sie den Bogen zu der viel älteren Geschichte des Turmbaus zu Babel spannt. Ursprünglich, so steht es im 1. Buch Mose, sprachen alle Menschen dieselbe Sprache, die Sprache Adams. Doch als Strafe für das vermessene Ansinnen, einen Turm zu bauen, der bis an den Himmel ragt, verwirrte Gott die Sprachen der Menschen, so dass sie einander nicht mehr verstehen konnten. Das Pfingstwunder heilt diese babylonische Sprachverwirrung.
Der französische Philosoph Michel Serres hat die Pfingstgeschichte deshalb als eine Utopie gelingender Kommunikation interpretiert. Andere Sprachphilosophen sind misstrauischer. Sie sehen in der pfingstlichen Botschaft bloß eine uralte metaphysische Sehnsucht: das illusorische Verlangen nach einer unmittelbaren Präsenz des Sinnes und nach einer Verschmelzung der Seelen in einem wortlosen Einverständnis, das der Sprache nicht mehr bedarf.
David Lauer steht für ein Porträt-Bild vor einem grauen Hintergrund.
Der Philosoph David Lauer© © Fotostudio Neukölln / Gunnar Bernskötter
Aber dieser Verdacht wird der Geschichte nicht gerecht. Es gibt in ihr keine Kommunikation ohne das Medium der Sprache. Der heilige Geist kommt zwar auf die Apostel herab, aber er wirkt nicht anders, als dass er sie sprechen lässt. Und die Apostel wiederum sprechen gerade nicht in Engelszungen oder in der mythischen, vollkommenen Sprache Adams, sondern reden die gewöhnlichen Sprachen der Marktbesucher. Die einigende Kraft des Geistes, ob heilig oder nicht, wirkt nicht jenseits der kristallartig gebrochenen Verschiedenheit menschlicher Sprachen, sondern in ihr.

Einheit in Vielfalt

Pfingsten, das polyglotte Fest, nimmt die babylonische Vielsprachigkeit also nicht zurück, sondern versöhnt sie mit sich selbst. Es erinnert uns daran, dass eine Botschaft verstanden wird, wenn man es darauf ankommen lässt, sie in der Sprache derjenigen zu verkünden, von denen man verstanden werden möchte. Und es lehrt uns zu vertrauen, dass das, was zu sagen ist, sich letztlich in jeder Sprache mitteilen und verstehen lässt. Das erinnert an einen Satz Walter Benjamins aus seinem berühmten Aufsatz über die Aufgabe des Übersetzers von 1923: Das innerste Verhältnis der Sprachen, so heißt es dort, sei eines der "eigentümlichen Konvergenz". Es bestehe darin, "dass die Sprachen einander nicht fremd, sondern a priori […] einander in dem verwandt sind, was sie sagen wollen." Ein Fest für diese Einheit in der Vielfalt ist ein gutes Fest in einer Zeit, in der die Einfalt in ihrer Vielheit die Welt einmal mehr zu überwältigen droht.

David Lauer ist Philosoph und lehrt an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Philosophie des Geistes- und der Erkenntnistheorie. Er lebt mit seiner Familie in Berlin.

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