Kommentar

Hofberichterstattung für deutsche Start-ups

04:03 Minuten
Impression von der Börse in Frankfurt: Während ein Aktienhändler an der Börse seine Monitore beobachtet, wird auf einer Tafel im Hintergrund die Dax-Kurve angezeigt.
Börsengänge aus dem Bereich der neuen Technologien kämen in der Presse zu kurz, heißt es im Positionspapier des Beirats Junge Digitale Wirtschaft. © picture alliance/dpa | Arne Dedert
Von Mischa Ehrhardt · 13.07.2021
Audio herunterladen
Deutsche Digitalunternehmer haben in einem Positionspapier zur "Disziplinierung der Presse" durch staatlichen Erlass geraten. Ein handfester Skandal, der die Frage aufwirft: Wie konnte diese Forderung auf einer Ministeriumswebseite landen?
Es klingt wie ein absurder und ganz billiger Scherz: Die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner des Positionspapieres des Beirats Junge Digitale Wirtschaft, der das Bundeswirtschaftsministerium berät, wollten in Zukunft Medien per staatlichem Erlass dazu verpflichten, über kleinere Börsengänge zu berichten.

Medialer Rückenwind erbeten

Ich stelle mir das so vor: Ein Konzern verkündet Massenentlassungen. Doch ich kriege einen Anruf aus dem Bundeswirtschaftsministerium und werde dazu verdonnert, stattdessen über den Börsengang des siebenundzwanzigsten Online-Sexshops zu berichten. Klar, denn der zählt zur Kategorie deutscher Start-ups. Deswegen gehört der nicht nur beschützt, nein: Er muss auch medial gepuscht werden, auf dass es das Früchtchen überhaupt zu etwas bringt.
Das Beispiel kommt übrigens nicht von ungefähr. Denn eine der Unterzeichnerinnen des Positionspapieres ist Lea-Sophie Cramer. Sie hat Amorelie gegründet, einen Online-Sexshop.
Doch damit droht ins Lächerliche zu kippen, was ein handfester Skandal ist. Denn Cramer und ihre beiden Mitstreiter, Alex von Frankenberg und Christoph Gerlinger, meinen durchaus ernst, was sie da schreiben. Sie beklagen die niedrige Zahl an Börsengängen - und in diesem Zusammenhang einseitig diffamierende Artikel, die sich "als regelrechtes 'IPO- und new economy-bashing' unter Finanzredakteuren verbreitet haben".

Berichterstattung per Erlass

Übersetzt heißt das: Finanzredakteurinnen machen jede Form von Börsengang aus dem Bereich der neuen Technologien runter. Ein Erlass von staatlicher Seite muss das korrigieren und die ausgewogene Berichterstattung sicherstellen – inklusive der Berichtspflicht über jeden noch so unwichtigen Börsengang.
Gerlinger hat die Verantwortung für die Formulierungen übernommen und ist aus dem Beirat zurückgetreten. Dieser Schritt verdient weder Respekt, noch Achtung, wie Peter Altmaier meint. Er ist schlicht das Mindeste. Denn die drei Autoren haben in ihrem Papier nicht weniger gefordert als eine "Disziplinierung der Presse" durch staatlichen Erlass. Das bedarf keines weiteren Kommentars.

Regeln für Börsengänge? Lästig!

Doch es lohnt ein noch etwas genauerer Blick in das Pamphlet, dessen Autoren dringend ihr Verhältnis auch zu Rechtschreibung und Zeichensetzung überprüfen sollten. Denn neben staatlich verordneter Hofberichterstattung über Start-ups qua Disziplinierung der Presse streben die Verfasser auch an, dass alle möglichen Regeln für Börsengänge abgeschafft werden.
Vor allem stehen ihnen lästige Kommunikationsvorschriften und Berichtspflichten in Börsenprospekten beim Sprung aufs Parkett im Weg. Auch das ist konsequent gedacht.

Ökonomie der Verlautbarung

Denn dann müssen und können die staatlichen Stellen sich gar nicht inhaltlich lange mit ihrer Zensur beschäftigen. Sie können gleich die Verlautbarungen der jungen Firmen nehmen und abdrucken oder im Radio vorlesen lassen. Das geht schneller, ist effizient und kostensparend – ganz im Sinn der New Economy. Blaupausen lassen sich übrigens ebenso günstig aus dem nordkoreanischen Pjöngjang beziehen.
Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier distanziert sich nun von dem Papier, die Pressefreiheit sei ein hohes Gut. Deswegen hat er das Papier von der Webseite des Ministeriums entfernen lassen. Nun muss er aber mindestens noch eine Frage beantworten: Warum gab es im ganzen Ministerium keine Kontrolle, die das Veröffentlichen dieses toxischen geistigen Mülls verhindert hat?
Mehr zum Thema