Kolossale Staubkörner

Wie klein ist der Ausschnitt der Welt, den wir wahrnehmen können! Wie unvorstellbar sind ihre eigentlichen Dimensionen! David Blatner wirft in "Extremwelten" einen Blick weit über das menschliche Maß hinaus, auf das Allerkleinste, die höchste Geschwindigkeit, die tiefste Temperatur oder das lauteste Geräusch.
Unsere Sinne sind perfekt dafür geeignet, uns in unserer Umwelt zurechtzufinden, aber nicht, um die Welt in ihrer Gesamtheit zu erkennen. Unsere Augen unterscheiden vielleicht noch zwei Staubkörner, die ein zehntel Millimeter Durchmesser haben. Für Bakterien sind die gleichen Staubkörner turmhohe Kolosse. Gesunde, junge Ohren erfassen ein Tonspektrum von 10 Oktaven. Aber die Zirpe einer Fledermaus ist noch um ein Vielfaches höher als der höchste Ton, den Menschen hören können. Unser Gehirn kann Millionen von Farben auseinanderhalten. Dennoch reagiert unsere Netzhaut nur auf einen winzigen Ausschnitt der elektromagnetischen Strahlung, die als Licht ins Auge fällt. Radiowellen, Röntgen- oder Gammastrahlen bleiben für uns unsichtbar.

Welche Größenordnungen den Menschen von der Welt der Atome oder von anderen Sternen trennen, das breitet David Blatner ausführlich und an vielen Beispielen aus. Das Ergebnis hätte ein Buch voller Listen vom Kleinsten zum Größten, vom Kältesten zum Heißesten, von der Stille bis zum Lautesten werden können. Aber tatsächlich enthält "Extremwelten" vergleichsweise wenige Tabellen und Skalen.

Verständliche Vergleiche veranschaulichen das Unvorstellbare
Stattdessen setzt Blatner in seinem Text auf augenfällige Vergleiche, mit denen er die Dimensionen deutlich macht, um die es zum Beispiel bei Entfernungen im All geht: Wenn die Erde so groß wäre wie der Punkt am Ende dieses Satzes, dann wäre der nächste Stern immer noch 1500 Kilometer entfernt. Und er holt zu ausführlichen Erklärungen aus, um Phänomene aus den sechs dargestellten Bereichen der Zahlen, der Größe, des Lichts, des Schalls, der Wärme und der Zeit verständlicher zu machen.

Beispiel Temperatur: Für uns im Alltag ist sie vor allem ein Wärmemaßstab. Dabei ist sie eigentlich ein Maß für die Bewegung von Teilchen. Ein Stoff ist umso kälter, je weniger sich seine Atome oder Moleküle bewegen. Würden alle Teilchen stillstehen, wäre der absolute Nullpunkt (-273 Grad C.) erreicht. Bewegten sie sich mit Lichtgeschwindigkeit, wäre das die absolut oberste Grenze für ihre Temperatur (die dann bei 1,4 x 10 hoch 32 Grad Kelvin läge).

Zwischen all den Extremen nimmt sich das menschliche Maß, die Skala der Dinge, denen wir in unserem Alltag begegnen, sehr begrenzt aus. Aber David Blatner versteht es, diesem Maß trotzdem noch einen Wert und einen bedeutungsvollen Platz zu geben. Sein Buch ist trotz des Titels keine effekthaschende Sammlung von Superlativen, sondern ein Augenöffner für die Komplexität und Tiefe unserer Welt.

Besprochen von Gerrit Stratmann

David Blatner: Extremwelten. Unser unfassbares Universum von unendlich klein bis unendlich
Aus dem Englischen übersetzt von Hainer Kober
Berlin Verlag, Berlin 2013
191 Seiten, 19,99 Euro
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