Kofferwörter: "Jeder weiß sofort, was gemeint ist"

Willi Winkler im Gespräch mit Stephan Karkowsky · 25.06.2012
"Merkozy", "Brangelina" und "Teuro" sind keine echten Begriffe, sondern zusammengesetzt aus zwei Wörtern, so genannte Kofferwörter. Sie geben komplexe Sachverhalte oft kurz und plakativ wieder. Der Journalist Willi Winkler mag sie nicht besonders.
Stephan Karkowsky: Gut, ich will das gern zugeben, das Wort "Grexit" erspart uns einen Lindwurmbegriff namens "möglicher Austritt Griechenlands aus der Eurozone". Aber sind Grexit und andere Kofferwörter ein Gewinn für die deutsche Sprache? Wir fragen einen Sprachprofi, den Autor der "Süddeutschen Zeitung" Willi Winkler. Tag, Herr Winkler!

Willi Winkler: Guten Tag. Das heißt, in München sagt man "Grüß Gott".

Karkowsky : Grüß Gott! Man nimmt an, dass sie seit rund 130 Jahren bewusst erschaffen werden, diese Wortbastarde, und dass Lewis Caroll nicht ganz unschuldig daran ist, vor allem durch das Gedicht "Jabberwocky" in "Alice hinter den Spiegeln". Haben Sie Lieblingskofferwörter?

Winkler: Das ist eine üble Frage. Also, mir fällt jetzt, unvorbereitet, tatsächlich eines ein, das es in Deutschland nicht gibt, weil es den Fall hier nicht gibt. Das Beispiel hat die amerikanische Presse erfunden. Es gab vor Kurzem eine Achtlingsmutter, eine alleinerziehende Mutter mit acht wie auch immer zustande gekommenen Kindern, die einigermaßen gleichzeitig auf die Welt kamen. Und bei uns hieß es eben "Achtlingsmutter", und im Englischen und im Amerikanischen kam man auf den Begriff "Octomom".

Karkowsky : Octomom ...

Winkler: Das ist also - drei Silben, da ist alles gesagt. Jeder weiß, das ist diese sehr, sehr seltsame Figur, die jetzt beschlossen hat, um die Kinder ernähren zu können, einen Pornofilm zu drehen. Da muss man nur "Octomom" sagen und der Stempel ist da. Jeder weiß, worum es geht.

Karkowsky : Manche dieser Kofferwörter haben eher eine unterhaltende Bedeutung, zum Beispiel das berühmte, das jeder kennt, über das sich Brad Pitt und Angelina Jolie immer wieder aufregen, "Brangelina". Die haben ja tatsächlich mal gesagt, wer das benutzt, kriegt von uns nie wieder ein Interview. Dabei wollten die Erfinder doch eigentlich nur deutlich machen, wie symbiotisch die beiden wirken, oder wie aus einem Guss. Oder wurde da gelästert?

Winkler: Letzteres. Da möchte ich drauf schwören. Also, "Brangelina" ist eine geniale Erfindung, weil dieses Paar eine Erfindung ist. Also, wenn es tatsächlich damit gedroht haben sollte, keine Interviews mehr für Lästerer zu geben, dann ist es deswegen interessant, weil die ja bekanntlich die Bilder ihrer Kinder für mindestens jeweils 2,8 Millionen verkaufen.

Also, das ist ein Kommerzunternehmen, das ist eine Firma. Man könnte auch "Pitt and Friends" oder "Pitt and Family limited" oder "unlimited" oder irgend so etwas sagen, oder "Embresa" oder "Firma" oder irgendwas. Das ist ein Markenname, den sie selber erfunden haben könnten. Weil es diese weitgespannten, weltweit reichenden Aktivitäten dieses Familienverbundes bezeichnet. Denn bis heute haben sie ja nicht geheiratet, also wird dieses Konglomerat aus zwei Schauspielern, etlichen aus aller Welt zusammengekauften Kindern und ein paar natürlichen damit bezeichnet.

Karkowsky : So habe ich das noch nie gesehen. Die sollten sich das als Trademark schützen lassen.

Winkler: Haben Sie noch nicht gemacht, aber das kommt möglicherweise posthum. Also, sie wissen, dass die Erben von Charlie Chaplin die Silhouette haben schützen lassen. Also, es ist schon möglich.

Karkowsky : Nicht verstanden habe ich, ehrlich gesagt, wieso das durchaus berechtigte "Merkozy" so schnell zu einem "Merkhollande" werden konnte. Sie?

Winkler: Ich habe es nicht bemerkt, dass es das geworden ist. Ich möchte mal behaupten, und da sind wir ja schon beim Thema, das klingt nicht so gut. Und darum wird sich das nie durchsetzen. Natürlich kann man sagen, gut, der eine ist Sozialist, Angela Merkel ist CDU, die harmonieren nicht so gut miteinander. Aber ich behaupte, die Silben harmonieren nicht so gut. Und das wird nicht zusammenkommen. Wie gesagt, es gibt politische Differenzen über Eurobonds oder was weiß ich, aber sprachlich klingt das einfach nicht. Die kommen sprachlich nicht zusammen.

Karkowsky : Es sollte ja auch eigentlich nur zusammenwachsen, was zusammen gehört. Und das war natürlich bei Merkel und Sarkozy viel klarer als bei Merkel und Hollande. Ich glaube, das hat man nur erfunden, weil man das so hübsch fand mit dem "Merkozy" und sich so schnell nicht davon verabschieden wollte, oder?

Winkler: Genau so ist es. Überlegen Sie mal, es gab ja vorher schon die Erbfreundschaft zwischen Helmut Kohl und Francois Mitterand. Wie hätte das klingen können? "Kohlerand", aber damals ist niemand auf die Idee gekommen. Damals wäre einem das vielleicht ein bisschen blasphemisch oder vielleicht auch spöttisch vorgekommen. Wenn Sie an diesen Händegriff in Verdun denken von den beiden Männern, da hat, ich weiß nicht, war es der "Spiegel" oder irgendjemand geschrieben: "Die schwule Geste". Das war der Gipfel an Respektlosigkeit. Aber dass man "Kohlerand" geschrieben hätte, das ging nicht.

Karkowsky : Hätte man nicht gemacht. Sie hören Willi Winkler von der "Süddeutschen Zeitung". Wir reden über Kofferwörter. Herr Winkler, andere Kofferwörter können komplexe Sachverhalte ungemein kurz und plakativ wiedergeben. Wie finden Sie denn zum Beispiel "Vatigate"?

Winkler: Meinen Sie jetzt Vattenfall und Krümmel?

Karkowsky : Nein, ich meine den Vatikan und ...

Winkler: Oh Gott!

Karkowsky : ... "Vati-Gate" und das "leak", was es dort gab, der persönliche Kammerdiener des Papstes, der Dinge ausgeplaudert hat.

Winkler: Da war ich in Italien, und komischerweise habe ich da nichts davon mitbekommen. Ja. Natürlich, das sind - Wikileaks ist eingeführt, und dann wird es erweitert. Sie können das an der vorigen Skandalform nachverfolgen. Also, es gab vor 40 Jahren den Einbruch in das Watergate-Hotel und seitdem ist jeder größere politische Skandal irgendwas mit dem Suffix "-gate". Und das letzte Opfer davon war bekanntlich Dirk Niebel, und da hieß es tatsächlich "Teppichgate". Nun hat der Teppich oder Afghanistan oder Herr Niebel überhaupt nichts mit einem Einbruch, mit einem größeren politischen Skandal zu tun. Das ist nur so eine lachhafte Geschichte, wo er sich halt dämlich angestellt hat. Aber es braucht dieses Suffix "-gate", weil man weiß sofort, hier kann ich skandalisieren, hier ist etwas Unregelmäßiges geschehen.

Karkowsky : Und dennoch muss man den Nachgeborenen mittlerweile erklären, wo ...

Winkler: Dass es um Watergate geht. Weil es so lange zurück liegt. Aber der heute praktisch vergessene Medienreferent Rainer Pfeiffer in Schleswig-Holstein von Uwe Barschel, der hat sich vorgenommen, ein Watergate zu inszenieren, und er wurde belohnt durch die "Spiegel"-Formulierung "Waterkantgate". Da ist doch alles drin, was man braucht.

Karkowsky : Das stimmt. Bei manchen Wörtern haben wir aber auch schon vergessen, dass es Kofferwörter sind. Ich musste mich erst wieder daran erinnern lassen. "Smog" zum Beispiel setzt sich zusammen aus "Smoke" und "Fog". "Brunch" aus "Breakfast" und "Lunch", das "Motel" aus ...

Winkler: ... "Hotel" und "Motor".

Karkowsky : Genau. Fast hat man ja den Eindruck, auf Denglisch gelingt das Bilden von Kofferwörtern leichter als auf Deutsch, oder?

Winkler: Ja. Weil das Englische keine Endungen hat, ganz einfach. Das erspart einem diese ganze Umstandskrämerei der Flektierung im Deutschen. Wobei ein Wort wie "Smog", das muss man natürlich sagen, das ist ein Phänomen in Los Angeles. Und insofern ist es eine unnötige Einfuhr ins Deutsche, weil es das in der Form nicht gibt. Also diese Wetterlage am Pazifik und so weiter, die ist bei uns nicht so. Es ist in gewisser Weise ja auch ein verharmlosendes Wort. Weil man nicht mehr vom Dreck in der Luft redet, sondern von diesem vier - eins, zwei, drei, vier - doch, es sind vier Buchstaben, und damit ist es fertig. Das ist auch so ein pazifizierendes Wort, behaupte ich.

Karkowsky : Ich habe nachgelesen: Der Germanist Hermann Paul nennt die Bildung von Kofferwörtern "Kontamination". Er versteht darunter den Vorgang, dass zwei Synonyme oder irgendwie verwandte Ausdrucksformen sich nebeneinander ins Bewusstsein drängen. Das ist doch hübsch. Man sieht förmlich die Drängelei im Kopf. Zwei Bedeutungen, ein Wort.

Winkler: Ja. Ich würde noch anderswo ansetzen. Lewis Caroll hat den Begriff "Burtmontoria" 1877 etwa erfunden. Das ist die Zeit, sag ich jetzt mal, wo sich die Psyche langsam erhellt. Also 1900 erscheint die "Traumdeutung" von Sigmund Freud und in München etabliert sich etwas später der Blaue Reiter. Und die programmatische Schrift von Wassily Kandinsky heißt "Der gelbe Klang". Ich behaupte, da beginnt es. Die Synästhesie von verschiedenen Sinneseindrücken, die werden übereinander gelegt. Und das ist, diese Kofferwörter sind nur eine Folge davon, dass man Sachen zusammendenken kann. Und für Journalisten, um auf die Ausgangsfrage zurückzukommen, ist das einfach eine Erleichterung. Wenn ich drüberschreiben kann: Smog oder Merkozy oder was, weiß jeder sofort, was gemeint ist. Wenn Sie mich jetzt aber fragen sollten, was ich von "Grexit" halte, da bin ich nicht davon überzeugt. Wenn Sie mich jetzt fragen, warum, dann ...

Karkowsky : Ich frage Sie mal, Herr Winkler, warum sind Sie davon nicht überzeugt?

Winkler: Weil es gerade so exotisch klingt. Also, Griechenland wird im deutschen Sprachbereich mit dem Vokal "i" bezeichnet. Im Englischen ist es im Vordergrund, es wird so ähnlich ausgesprochen, "Greece", aber man sieht die zwei "i"s. Und auch das Wort "exit" ist nicht so geläufig im Deutschen. Also "Grexit" muss man dekodieren. Das ist einfach wahnsinnig umständlich. Wenn man nicht eine Drachme und einen Euro daneben abbildet oder einen Griechen mit einer Baskenmütze und Bauch im Kafeneion, wird es wirklich schwierig. Das ist nicht etabliert. Es ist anders, die liebe "Bild"-Zeitung macht ja seit zwei Jahren eine brutale Kampagne gegen Griechenland. Und da entstehen Wortspiele, dass es einem die Zehennägel aufdreht, aber sie leuchten sofort ein. Zum Beispiel: "Griechen, die griechen jetzt unser Geld." Und so Blödsinn. Es ist wirklich schauderhaft, aber man versteht es.

Karkowsky : Ja, wir fangen jetzt nicht noch mal mit "Rehakles" an und mit den "Schweißheiligen" und dem "Schachverstand" und dem "Besserwesser", sondern wir machen hier Schluss. Willi Winkler von der "Süddeutschen Zeitung" über Kofferwörter wie "Grexit". Einmal im Kopf, sind sie nur schwer wieder herauszukriegen. Herr Winkler, es war mir ein Vergnügen.

Winkler: Danke gleichfalls.

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