Körting: "Wir brauchen keine V-Leute", um NPD zu verbieten

15.11.2011
Nach Ansicht des Sozialdemokraten Ehrhart Körting ist es nicht nötig, Informanten in die Hinterzimmer der NPD zu schicken, um zu erkennen, dass die Partei verfassungsfeindlich sei. An eine "Verschwörung" der Behörden im Fall der Zwickauer Terrorzelle glaubt er nicht.
Ute Welty: Dortmund, Kassel, München und Rostock. Man muss davon ausgehen, dass die rechtsradikalen Täter bundesweit operiert haben, bundesweit gemordet haben, und das über Jahre. In dieser Zeit ist es nicht gelungen, ihrer habhaft zu werden, oder – was noch schlimmer wäre – die Behörden haben von ihnen gewusst, aber nicht zugegriffen. Der Verfassungsschutz in Thüringen steht in der Kritik, genau wie die sächsischen Behörden, aber auch die Politik der Bundesregierung, und zu den Kritikern in vorderster Front gehört Ehrhart Körting, Innensenator von Berlin. Guten Morgen!

Ehrhart Körting: Guten Morgen, Frau Welty!

Welty: Stößt hier der Föderalismus an seine Grenzen oder ist er einfach nur schlecht organisiert?

Körting: Nein, ich glaube nicht, dass der Föderalismus an seine Grenzen stößt, weil in Kriminalfällen – und es handelt sich auch um einen Kriminalfall – arbeiten die Landeskriminalämter im Regelfall hervorragend zusammen, auch die Verfassungsschutzbehörden arbeiten hervorragend zusammen, es gibt Zentralstellen, wir haben das Bundesamt für Verfassungsschutz, wir haben das Bundeskriminalamt, wo alle solche Informationen zusammenlaufen können, und das ist …

Welty: Und warum hat das allen nichts genützt und keine Erkenntnisse vorangetrieben in diesem speziellen Fall?

Körting: Das wird die Frage sein, die in vielfacher Hinsicht zu beantworten ist. Da geht es einmal um die Frage: Wie kann es Täter geben, die vor 13 Jahren Rohrbomben basteln, dann gefasst werden sollen und untertauchen? Wie kann es möglich sein, dass jemand 13 Jahre in dieser Republik untertauchen kann, und dann noch in der Gegend, wo er bisher gewohnt hat? Warum hat es damals bei derartigen Menschen, von denen man ja vermutet hat, dass sie Anschläge vorbereiten, keine bundesweite Fahndung gegeben? Das ist eine der Fragestellungen, und die zweite Fragestellung ist natürlich auch – es hat fünf Morde in München und Nürnberg alleine gegeben –, das ist auch eine Frage an die bayrischen Behörden, das ist nicht nur eine Frage an Sachsen und an Thüringen, sondern auch an die bayrischen Behörden: Hat man wirklich in alle Richtungen ermittelt oder hat man zu schnell die Klappe fallen lassen und gesagt: Na ja, das sind Morde an Türken, also suchen wir mal die Täter im türkischen Milieu.

Welty: Aber ich kann das immer noch nicht zusammenbringen: Sie sagen auf der einen Seite, die Zusammenarbeit bei solchen Kriminalfällen läuft hervorragend, und jetzt beschreiben Sie, dass sie offenbar nicht funktioniert, wenn eben die bayrischen Behörden nichts weitergeben oder die Augen zumachen und wenn die Behörden in Thüringen und in Sachsen diese Leute nicht im Blick behalten.

Körting: Sie haben mich gefragt, ob das eine Frage des Föderalismus ist. Eine Frage des Föderalismus ist es nicht, weil ich meine, dass im Föderalismus derartige Fäden gut zusammengefügt werden und es eine gute Zusammenarbeit gibt. Das schließt aber im Einzelfall nicht aus, dass es Mängel gegeben hat und die Mängel muss man untersuchen.

Welty: Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich von der CSU will eine bessere Verzahnung von Verfassungsschutz und Polizei jetzt zum Beispiel. Sie sagen, das ist eine Selbstverständlichkeit – eine Selbstverständlichkeit, dass diese Behörden miteinander verzahnt sind oder dass sie besser verzahnt sein sollen?

Körting: Ja, ich habe die Frage von Friedrich nicht verstanden, muss ich Ihnen ehrlich sagen. Ich kann das ja jetzt immer nur aus der Sicht meiner Tätigkeit in Berlin betrachten, aber ich bin ziemlich sicher, dass das in anderen Bundesländern auch so ist. Der Verfassungsschutz ist eine Behörde, die beobachtet verfassungsfeindliche Bestrebungen. In dem Moment, in dem gravierende Straftaten eine Rolle spielen, ist es doch selbstverständlich, dass der Verfassungsschutz die Daten an die Polizei weitergibt und dementsprechend auch Polizei dann mit Maßnahmen greift. Insofern ist der Vorschlag von Friedrich – in solchen Fällen muss der Verfassungsschutz besser mit der Polizei zusammenarbeiten – eine Selbstverständlichkeit, die sich aus der jetzigen Rechtslage schon ergibt.

Welty: Der kluge Peter Glotz, den Sie ja in der SPD gut kennen, hat einmal gesagt: Warum eine Intrige vermuten, wenn Dummheit als Erklärung ausreicht? Was tun Sie: Intrige oder Dummheit vermuten?

Körting: Also ich vermute im Moment keine Intrige. Ich vermute nicht, dass es da irgendwo eine Verschwörung gegeben hat oder dass irgendwelche Leute bewusst etwas verschleiert haben, aber wir stehen am Anfang der Ermittlungen, ich kann es nicht beurteilen. Vieles deutet eher darauf hin, dass die Fälle – und da beginne ich mit dem Rohrbombenbau vor 13 Jahren und nicht mit den Morden, sondern sozusagen mit dem Ausgangspunkt, dass die Fälle nicht mit der nötigen Energie verfolgt worden sind, und zwar nicht so sehr, weil es die große Verschwörung gegeben hat, sondern weil es dann vielleicht auch ein Stück Unfähigkeit gegeben hat.

Welty: Bundeskanzlerin Angela Merkel will jetzt die Erfolgsaussichten eines NPD-Verbotes prüfen lassen. Für wie erfolgsversprechend halten Sie die Prüfung von Erfolgsaussichten?

Körting: Erst mal ein bisschen Polemik von mir auch mal. Ich bin seit Jahren jemand, der sagt, ich bin für ein NPD-Verbot, und viele haben eine ähnliche Position. Und zwar sind wir für ein NPD-Verbot, weil diese Partei für ein ausländerfeindliches, fremdenfeindliches Klima in unserem Lande sorgt und ich überhaupt nicht einsehe, dass wir derartige Dinge auch noch mit Steuergeldern finanzieren. Das ist über Jahre blockiert worden von CDU-Innenministern im Bund und in den Ländern. Insofern finde ich es ein bisschen unehrlich und ablenkend, wenn jetzt sozusagen ausgerechnet von der CDU gesagt wird: Und jetzt prüfen wir ein NPD-Verbotsverfahren.

Für mich ist die Frage NPD-Verbotsverfahren unabhängig von diesem Kriminalfall. Sie steht für mich generell: Wie geht der Staat mit solchen Parteien um? Ich bin der Meinung, der Staat hat eine Wehrfunktion und muss sich vor solchen Parteien wehren. Das muss man dann prüfen, das verlangen wir seit Jahren. Wir haben vor Jahren schon begonnen, einige SPD-Innenminister, Daten zusammenzutragen, Zitate zusammenzutragen, da hat sich ein Teil der CDU-Innenminister verweigert, hat die Daten gar nicht erst abgeliefert, unter anderem auch wieder Bayern, und insofern kommt das jetzt alles ein bisschen so holterdiepolter. Aber gut, ich will keinen schelten, wenn er sich besinnt und besseren Sinnes wird …

Welty: Ich warte immer noch auf die Polemik, Herr Körting.

Körting: Nein, die Polemik war das mit der … ein bisschen unehrlich ist, dass man das nun jetzt macht. Entweder bin ich dafür, derartige Parteien zu verbieten, oder ich bin nicht dafür, und dann ist für mich nicht ein Kriminalfall ausschlaggebend, sondern das, was an Klimaverschlechterung in unserem Lande passiert. Und da bin ich immer der Überzeugung gewesen: Wir können ein NPD-Verbotsverfahren erfolgreich machen. Wir können es übrigens auch machen, ohne dass wir aus dem Hinterzimmern der NPD Einzelinformationen über Vorstandssitzungen bekommen. Wir brauchen keine V-Leute, also bezahlte NPD-Leute, die ihr Wissen auch noch gegen Geld ein bisschen offenbaren, um aus den Vorstandsetagen etwas zu erfahren. Die NPD ist mit dem, was sie erzählt, was sie in ihren Plakaten macht, was sie in ihrem Wahlprogramm hat, so eindeutig gegen unsere Verfassung gerichtet und gegen Grundwerte unserer Verfassung, dass man die verbieten kann. Insofern: Die Erfolgsaussichten eines solchen Verfahrens sehe ich positiv, die Voraussetzungen, die das Bundesverfassungsgericht gesagt hat, dann dürfen aber in den oberen Etagen der NPD keine V-Leute sitzen, die sind in vielen Ländern, die ich kenne, erfüllt, in einigen Ländern weiß ich es nicht, weil die bisher immer gesagt haben: Wir können die Leute nicht abziehen.

Welty: Der Berliner Innensenator Ehrhart Körting im Interview mit Deutschlandradio Kultur. Danke dafür!

Körting: Nichts zu danken!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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