Körperdysmorphe Störungen

Wenn der vermeintliche Makel zur Obsession wird

Eine Frau blickt in einen Spiegel.
Eine Frau blickt in einen Spiegel. Menschen, die unter Dysmorphophobie leiden, haben eine verzerrte Körperwahrnehmung. © imago/Westend61
Von Dörte Fiedler · 22.10.2015
Unter Dysmorphophobie leidende Menschen sind überzeugt, an irgendeiner Stelle ihres Korpers missgestaltet oder merkwürdig zu sein. Die Belastung für die Betroffenen ist enorm. Über die Ursachen der kaum bekannten Krankheit gibt es bislang nur Vermutungen.
"... und alle anderen sagen: ich sollte nicht so fixiert sein auf etwas, das gar nicht da ist. Aber ich kann mir nicht helfen, ich sehe, was ich sehe - und das ist schrecklich. Das ist wie eine Falle, wie gefangen in einem Käfig leben."
Das ist Jason Simpson. Er erzählt auf seinem privaten Youtube-Kanal, wie es sich anfühlt, er selbst zu sein. Und das ist – offensichtlich – alles andere als einfach.
Das, was ich sehe, wenn ich sein Video anschaue, ist ein junger Mann mit modischer Frisur, pinkfarbenem Poloshirt, ein paar Ketten um den Hals. Irgendwie scheinbar ganz normal, das was er sieht unterscheidet sich von dem Bild, das ich von ihm habe aber so gravierend, dass dieses Selbstbild für sein Leben eine riesige Belastung geworden ist. Jason Simpson leidet unter einer psychischen Störung, Body Dysmorphic Disorder, Körperdysmorphe Störung oder Dysmorphophobie heißt sie auch.
"Wenn ich kurz versuchen würde es zu beschreiben, es kommt ja aus dem griechischen und heißt: Angst davor zu haben, schlecht gestaltet zu sein, körperlich schlecht gestaltet. Und im Deutschen heißt es Körperschemastörung, das heißt diese Menschen sind davon überzeugt an irgendeiner Stelle missgestaltet oder merkwürdig zu sein, und das was die Erkrankung ausmacht, was den Leidensdruck ausmacht ist die ständige fast zwanghafte Beschäftigung mit dem Thema den ganzen Tag."
"Nicht korrigierbar durch freundliche Worte"
In milder Form kennt das jeder, meint Dr. Goetz Broszeit, er ist Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychoanalytiker:
"... das gilt für fast alle psychischen Probleme, in milder Form kennt das jeder, sie können Menschen fragen irgendetwas an seinem Körper gefällt einem nicht, findet man nicht schön, hätte man gern anders. Das ist sozusagen die Basis für so eine Problematik, das würde man nur noch nicht Dysmorphophobie nennen."
Körperschemastörung, damit ist nicht das fotografische Abbild des eigenen Körpers gemeint, sondern die Vorstellung davon. Und die entsteht nicht, indem man in den Spiegel schaut, sondern ich spiegele mich in der Begegnung mit anderen Menschen und baue so eine Vorstellung von meinem Körper auf
"Das entscheidende Thema ist: welche Vorstellung habe ich von mir selbst?! Also es geht nicht um Körperwahrnehmung, so wie Druckgefühle am Bein oder Temperatur - sondern das Bild das ich von mir selbst habe. Und das ist bei diesen Menschen eben sehr verzerrt und ist nicht korrigierbar durch freundliche Worte."
Der Gedanke an den vermeintlichen Makel, eine zu hohe Stirn, eine riesige Nase, unreine Haut wird zur Obsession und beherrscht alles. Zum Problem wird es dann wenn die Beschäftigung mit dem vorgestellten Bild so zwanghaft wird, das alle Lebensbereiche davon betroffen sind.
Ein Gang durch die Fußgängerzone wird zur Qual. Die Welt scheint ein ausschließlich feindlicher Ort zu sein, und jedes Zeichen wird gegen dich verwendet. Jedes Lächeln wird als Ausgelachtwerden gedeutet und jeder neugierige Blick wird als höhnisch oder schlimmer noch angeekelt empfunden. In so einer Welt macht die zwanghafte Beziehung mit dem vermeintlichen Makel, Beziehungen zu anderen Menschen für Betroffene fast unmöglich. Für Außenstehende ist das oft schwer nachzuvollziehen, denn sie können die Entstellung, von der die Betroffenen so überzeugt sind, einfach nicht sehen.
Gesicht besonders häufig betroffen
"Ich kann nicht ich selbst sein mit diesem - meinem Gesicht."
"I was totally obsessed with my hair."
"Es war einfach nicht mehr möglich, bei Tageslicht raus zu gehen, nur wenn es dunkel war, hab ich mich getraut."
"The way I feel inside..."
"Und wenn es sonst unbedingt nötig war, dann nur mit verspiegelter Sonnenbrille."
"Schichten über Schichten Make-Up hab ich aufgetragen."
"I see what I see I cant help it."
"Manchmal bin ich den halben Tag nicht aus dem Bad gekommen."
"It's like living in a trapped world."
Diese Stimmencollage zitiert nur einen winzigen Ausschnitt des Gedanken-Panoramas einer an Dysmorphophobie leidenden Person. Unsere Vorstellung von uns selbst ist natürlich beeinflusst von der Außenwelt, vom gängigen Schönheitsideal von Kommentaren durch Mitmenschen und der Konfrontation mit der unendlichen Bilderflut zur Perfektion retuschierter Körper und Gesichter. Und so ist das Gesicht, das sich ja am wenigsten dem Blick der anderen entziehen kann, oft der Ort der Auseinandersetzung. Die Erscheinungsformen sind dabei vielfältig.
"Es gibt Menschen, die davon überzeugt sind, dass sich bestimmte Teile ihrer Gesichtsmuskulatur auflösen, und wenn sie bestimmte Bewegungen machen, immer mehr verschwinden, so dass sie dann bestimmte Bewegungen verhindern, so dass sie dann ganz grotesk nur noch auf andere Menschen zugehen können. Also es ist eine Vielzahl von Möglichkeiten, alles was sie sich vorstellen können gibt es."
Erfahrungen in der Kindheit können eine Rolle spielen
Männer sind von der Psychischen Störung übrigens ebenso häufig betroffen wie Frauen. Die Symptome, reichen von ständigem Kontrollieren einer bestimmten Stelle im Gesicht, über massive Übertuschung, sozialen Rückzug, Vermeidung von Spiegeln oder zwanghaftes Betrachten, bis hin zu Suizidgedanken oder -versuchen - und beginnen oft in der Pubertät. Oft gehen sie einher mit Begleiterkrankungen: Depressionen, Soziophobien, extremen Schamgefühlen und anderen Angststörungen. Die Diagnosestellung und Abgrenzung ist dadurch schwierig und häufig wird eine Körperdysmorphe Störung auch verkannt.
Genauso schwierig ist es, Ursachen zu benennen. Es gibt nicht bewiesene Annahmen ob Stoffwechselstörungen im Hirn eine Rolle spielen - und die Erfahrung von Therapeuten wie Dr. Broszeit, dass die Zeiten, in denen die Vorstellungen über den eigenen Körper entstehen, also sehr früh in der Kindheit, eine große Rolle spielen:
"Und meine Erfahrung ist zum Beispiel, dass bei bestimmten dysmorphophoben Störungen Ekel in der Interaktion eine Rolle gespielt hat. Also Eltern, die sich vor bestimmten körperlichen Sensationen geekelt haben, also Rückmeldungen die das Kind irgendwie einordnen muss."
Eine entscheidende Einsicht aus der Psychosomatik ist, dass Dysmorphophobie wie eine Art Metapher funktioniert, die Ablehnung und zwanghafte Beschäftigung mit meinem Makel, ist eine Art der Sprache, die mein Körper gewählt hat, um mich auf etwas hinzuweisen. Dr. Broszeit nennt es sogar einen kreativen Prozess des Körpers, ein Lösungsversuch um auf etwas aufmerksam zu machen, das Beachtung verdient. Und wie man damit umgeht, ob Verhaltenstherapie oder Psychopharmaka helfen können, ist dann immer vom Einzelfall abhängig.
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