Körper und Geist

Immer unter Strom

Der deutsche Diskuswerfer Robert Harting trainiert im Kraftraum des Bundesleistungszentrums Kienbaum bei Berlin.
Der deutsche Diskuswerfer Robert Harting trainiert im Kraftraum des Bundesleistungszentrums Kienbaum bei Berlin. © picture alliance / dpa / Michael Kappeler
Von Elmar Krämer · 21.04.2014
Die Zeiten, in denen Krafttraining ein prolliges Image anhaftete, sind vorbei. Heute gehört es zum guten Ton, ins Studio zu gehen. Aber wer trainiert wie? Und gibt es noch den klassischen Bodybuilder?
Arnold Schwarzenegger: "Man muss a Ziel haben. Ich muss an Grund haben, an ganz an kleinen Grund, warum geh i ins Studio rein und trainere."
Trainer Dr. Bayer: "Ein richtiger Boom ist entstanden in den 60er-, 70er-Jahren durch Arnold Schwarzenegger."
Schwarzenegger: "Jedes Gewicht das i heb ist eine Stufe näherzukommen an des Ziel – zuerst die Vision und dann die Realität."
Trainer Dr. Bayer: "Arnold Schwarzenegger spielt eine sehr wichtige Rolle, weil er es publik gemacht hat. Wir haben aber natürlich ganz viele Fassetten des Krafttrainings."
Till Paulmann: "Mir geht's um ganzkörperliche Fitness, natürlich bin ich auch narzisstisch und eitel und sehe gerne gut aus. Ich will jetzt nicht zu fette Muskeln haben. Ich will einfach ganzkörperlich mich gut fühlen, das ist einfach für mein Lebensgefühl, dass ich mich besser fühle, wenn ich mich durchtrainiert fühle."
Onkel Jörg: "Der Wille zum Anstrengen ist bei vielen nicht mehr vorhanden, die jungen Leute wollen, die haben die Idee: heute Anmelden, gestern Muskeln, vorgestern einen coolen Körper – aber es ist leider anders herum."
Schätzungen gehen davon aus, dass rund acht Millionen Menschen in einem der fast 10.000 Fitnessstudios in Deutschland angemeldet sind. "Angemeldet" - das heißt natürlich nicht, dass sie auch regelmäßig trainieren.
Die guten Vorsätze halten oft nicht lange
Oft ist der Vorsatz kurzzeitig da, wenn sich der Körper bemerkbar macht, jemand aus dem Bekanntenkreis einen Infarkt hatte, oder gar der Arzt zu körperlicher Betätigung rät. Genauso oft löst sich der gute Vorsatz dann aber auch wieder in Luft auf, wenn einen nach den Ferien der berufliche Alltag wieder in Beschlag nimmt, die Kinder in die Schule müssen und man sich sowieso auch gerade so ein bisschen kränklich fühlt – Ausreden gibt es genug.
Der gesundheitliche Nutzen durch ein richtig dosiertes Krafttraining ist mittlerweile aber nachgewiesen. Dr. Gerhart Bayer, Trainingswissenschaftler an der Humboldtuniversität Berlin:
"Man hat immer angenommen, dass im Krafttraining die Frage des Herz- Kreislaufsystems ein Problem ist, durch die sogenannte Pressatmung und hat angenommen, dass Personen, die viel Krafttraining betreiben vom Herz- Kreislaufsystem nicht gut drauf sein sollten. Bei Untersuchungen hat sich herausgestellt, dass das Gegenteil der Fall ist. Allerdings die Kausalität ist noch nicht ganz klar. Das heißt also, Menschen die viel Krafttraining betreiben, haben ein sehr stabiles, ein sehr gutes Herz-Kreislaufsystem, jetzt kommt es natürlich noch auf das Krafttraining an. Die Bodybuilder sind da nicht so die Vorreiter aber es gibt ja sehr unterschiedliche Formen von Krafttraining, so dass es so ist, dass das Krafttraining in präventiver Sicht dem Ausdauertraining schon den Rang abgelaufen hat. Die Frage, wer Krafttraining betreiben sollte, würde ich gerne zurückgeben und umkehren und fragen, wer sollte keines betreiben?"
Der Trainingswissenschaftler verweist auf Untersuchungen, die dem normalen Mitteleuropäer gravierende Haltungsprobleme attestieren.
Bei der Büroarbeit vor dem Monitor tendiert man dazu, die Schultern nach vorn hängen zu lassen. Macht man das über Jahre, ohne für Ausgleich zu sorgen, kann das massive Folgen haben.
"In kürzester Zeit relativ viel erreichen"
"Der normale Schreibtischtäter müsste eigentlich die Schulter gerade halten, so ein Gleichgewicht haben - ein sogenanntes arthromuskuläres Gleichgewicht - und das wäre eigentlich nur mit Krafttraining wieder hinzukriegen. Wir haben mehrere solcher Probleme als normaler Mitteleuropäer. Zunächst einmal sollte jeder, der sich gesund erhalten will, alltagskörperliche Belastungen favorisieren oder, wenn er das nicht tut, mit Krafttraining nachhelfen und da kann er in kürzester Zeit relativ viel erreichen."
Natürlich ist aller Anfang schwer und der am schwersten zu trainierende Muskel ist der Kopf - sagt Christian Zippel. Der Personal-Trainer und Doktor der Philosophie rät, einfach mal den Kopf auszuschalten und anzufangen:
" ... davor macht es nie Spaß, da hat man nie Lust, sich aufzuraffen und den Schweinehund zu überwinden, danach geht es einem eigentlich immer besser. Daran sollte man sich orientieren."
Na dann: Übungen für zu Hause oder das Büro vom Personal-Trainer Christian Zippel:
"Dazu stehen wir einfach mal auf – so, das war es schon. Man muss wissen, Sitzen ist eigentlich eine Krankheit. Der Körper ist eigentlich der gleiche, wie in der Steinzeit, genetisch sowie auch von seinem Knochengerüst und dem Bewegungsapparat her. Und er ist es nicht gewohnt zu sitzen. Wenn wir das aber den ganzen Tag machen, dann fährt er in einen gewissen Dämmerstand runter: Das Hormonsystem entwickelt sich in eine Richtung, die nicht positiv ist, der Bewegungsapparat baut ab, die Knochensubstanz baut ab, die Muskeln degenerieren, das Nervensystem degeneriert, man bekommt Rückenschmerzen, Halsschmerzen und der ganze Stoffwechsel geht in den Keller. Also wenn man wirklich effektiv seine Fitness steigern möchte, ohne zu Schwitzen, dann schafft man das nur, wenn man aufsteht, vielleicht auch im Stehen arbeitet, mehr zu Fuß erledigt."
In der Praxis dann doch schwer
Viele Dinge, die einfach klingen, scheinen in der Praxis doch schwer. Im Internet kursiert ein Foto, auf dem eine Rolltreppe abgebildet ist, die zu einem Fitnessstudio führt – symptomatisch für das Leben in der Großstadt?
Vielleicht braucht der Mensch Strukturen und Orte zum Trainieren? Vielleicht braucht er Trainer oder Antreiber – vielleicht auch die Aussicht auf die Sauna nach dem Training oder den Mineraldrink an der Bar. Und den geselligen Austausch über Trainingsleistungen oder den Stress auf der Arbeit. Auf jeden Fall hat das Fitnessstudio mit seinen Kraftmaschinen, Crosstrainern, Rudermaschinen und Trimmrädern für viele einen nicht zu unterschätzenden Aufforderungscharakter. Und wer erst einmal regelmäßig seine Beiträge zahlt, der geht auch hin – anfangs zumindest.
Schauspieler, Politiker, Bodybuilder: Arnold Schwarzenegger
Schauspieler, Politiker, Bodybuilder: Arnold Schwarzenegger© picture alliance / dpa / Kiko Huesca
Trainingspläne und Kurse von Zirkeltraining über Body-Shape, Pilates, Yoga bis zu Zumba – da ist für jeden was dabei.
Doch das alles nützt nichts, wenn man es nicht will und kein Ziel vor Augen hat.
Schwarzenegger: "Ich muss an Grund haben, an ganz an kleinen Grund, warum geh i ins Studio rein und Trainer."
Es gibt Menschen, die einem ästhetischen Idealbild nacheifern und diesem alles unterordnen: Den Tagesablauf, die Ernährung, das ganze Leben - Bodybuilder!
Ihr Ruf ist denkbar schlecht. Als dumm werden sie verschrien: Dicke Arme, kleines Hirn, unsympathisch, einsilbig – keine Menschen, mit denen man sich unterhalten kann – aber stimmt das wirklich? Ist es möglich, seine Muskulatur derart zu formen, ohne seinen Kopf zu benutzen? Trainingswissenschaftler Dr. Gerhart Bayer:
"Das Krafttraining des Bodybuilders ist ein sehr hartes Krafttraining und sehr umfangreich. Ist auch eine Sache, die sehr zeitintensiv ist."
"XXXL: Die Schmiede" steht über dem Eingang zu einem Flachbau in einem Hinterhof in Berlin Weißensee – eine der ersten Adressen in Berlin, so heißt es, wenn es um "knallhartes Bodybuilding" geht.
Bodybuilder äußern sich selten öffentlich
Hier sind die Bodybuilder bereit über ihren Sport zu sprechen – offen und ehrlich, wie sich im Laufe der Gespräche zeigt.
In der Regel äußern sich Bodybuilder nicht so gern in der Öffentlichkeit, viele sind besorgt, dass man sich lustig über sie macht.
Normalbürger sind Striche in der Landschaft im Vergleich zu den Männern, die hier an der Bar im Eingangsbereich sitzen und abwartend schauen. Sie machen Pause, trinken Elektrolytgetränke und Eiweißdrinks oder bereiten sich mental auf das anstehende Training vor.
Einer von Ihnen ist Philipp Lasitsch. Der 31-Jährige befindet sich gerade in der Wettkampfvorbereitung. In einigen Wochen tritt er bei den Berliner Meisterschaften im Bodybuilding an. Das bedeutet tägliches hartes Training, doch Motivationsprobleme sind ihm fremd:
"Zu Bodybuilding bin ich so gekommen: Ich mach schon seit ich klein bin Leistungssport, war erst im Kampfsport ziemlich erfolgreich."
Kann man so sagen: fünfmal Deutscher Meister, zweimal Europameister, einmal Weltmeister im Thaiboxen der Junioren.
"Dann bin ich ins Basketball gewechselt. Da auch bis hoch in die zweite Bundesliga hab ich gespielt. Und dann irgendwann hab ich gesagt, bin ruhiger geworden, jetzt hab ich ein Kind bekommen, Familie, Planung alles drum und dran und dann hat man gesagt ok, dann hat man nicht mehr so viel Zeit für den Sport und dann hab ich gesagt, ich möchte eigentlich nur ein bisschen fit bleiben und bin durch einen ehemaligen Arbeitskollegen auf meinen Trainer gestoßen, und dann mit jedem Jahr ist der Ehrgeiz gewachsen, man wurde immer schwerer, hatte mehr Muskulatur, hat immer härter trainiert, hat gesehen, oh das bringt Erfolge, das ist gut. Und dann irgendwann kam der Schritt, wo ich mich entschieden habe: Jetzt richtig oder gar nicht, und dann haben wir es richtig durchgezogen und so ist das eigentlich alles gekommen."
"In einer ganz anderen Welt"
Wenn Philipp im Bodybuilding-Studio in seinem weiten Kapuzenpulli auf einem Stuhl an der Bar sitzt und äußerst ruhig von seinem Training erzählt, dann wirkt er nicht sonderlich auffällig – nur seine wachen Augen verraten den zielstrebigen Willen und den Ehrgeiz, mit dem der ehemalige Kampfsportler jetzt Bodybuilding betreibt.
Als er dann aber aufsteht, wird offensichtlich, dass er sein Training sehr ernst nimmt.
"Da ist man drei Monate in einer ganz anderen Welt. Also, da lebt man nur für sich. Ja, da geht locker mal 4 bis 5 Stunden am Tag drauf. Das ist nicht nur Training, das ist auch Kochen, Solarium - so doof es sich auch anhört - Einkaufen, weil, man kauft dann nicht nur eine Packung ein, sondern man geht dann halt mal richtig einkaufen einen ganzen Tag lang, um alles zu haben, dass alles da ist. Es geht schon eine Menge Zeit flöten. Es ist schon ein Egoismus, den man an den Tag legen muss und wenn man einen Partner hat, dann betet man nur jeden Tag, dass der dafür Verständnis hat. Mehr möchte man eigentlich nicht."
Abgesehen von noch mehr Gewicht auf den Maschinen und immer definierteren Muskelbergen.
Das Ziel ist die Bühne. Beim Wettkampf treten die Bodybuilder in knappen Höschen, mit brauner Haut und geöltem Körper ins Scheinwerferlicht und vor die Jury. Auf diesen Moment arbeiten sie hin. Die Muskulatur wird nach Masse, Symmetrie und Struktur bewertet. Unter der Haut darf kein Gramm Fett sein, und auch Wasser wird vermieden:
"An diesem Tag entwässert man den Körper sehr sehr stark. Man ist im Grunde so stark entwässert, dass es nicht mehr gesund ist. Also ich sage immer: An dem Tag, an dem man am besten aussieht – nach unseren Kriterien- könnte eigentlich ein kleines Kind einen umschubsen und man könnte sich nicht wehren. Man ist völlig ausgelaugt, einem geht's nicht gut, der ganze Körper ist leer, kein Wasser, keine Energie drinne und dann muss man trotzdem noch Leistung erbringen."
Sein geölter Körper, sein strahlendes Grinsen
Warum tun sich die Bodybuilder das an? Jörg Grothe ist 56 Jahre alt, Trainer, Sportdozent und seit 38 Jahren Bodybuilder. Bodybuilding ist sein Leben, so sagt er und eigentlich mache er das nur für sich.
Und doch ist es der Moment auf der Bühne, wenn das Publikum ihn bewundert, wenn er im Rampenlicht steht. Sein geölter Körper, sein strahlendes Grinsen und die unwirklich anmutenden Muskelberge. Dieser Moment ist für die Bodybuilder ein ganz besonderer, da sind sie sich einig:
"Dieses oben auf der Bühne Stehen und seine Kür zeigen und mit den anderen Bodybuildern zu posen, nach einer coolen Musik und die Massen da unten zum Toben zu bringen und dann diese Ausschüttung, das kann man nicht erklären. Philipp Lasitsch: Wenn man der letzte Mensch auf Erden wäre, dann würde man sich das eh nicht antun also macht man es auch, weil man einen leicht narzisstischen Hang hat. Man macht das für die Anerkennung der anderen Menschen."
Trainieren für den Auftritt auf der Bühne: ein Wettbewerb im weißrussischen Minsk.
Trainieren für den Auftritt auf der Bühne: ein Wettbewerb im weißrussischen Minsk.© picture alliance / dpa / Tatyana Zenkovich
Anerkennung durch andere Menschen ist ein Grund den eigenen Körper zu bearbeiten, doch der Einstieg ist meist ein anderer. Auch bei Philip Lasitsch und vielen seiner Trainingspartner ging es langsam los, einfach mal ein bisschen Krafttraining – vielleicht für den Rücken oder weil man ja was tun muss. Irgendwann hat sich das Ganze dann verselbstständigt: Muskeln sind gewachsen und mit ihnen der Reiz an- und auch über die Grenzen zu gehen. Und da locken dann auch Pillen und Medikamente:
"Also das Thema Medikamente ist natürlich ein riesiges Thema in diesem Sport. Es ist ein Thema in jedem Sport, doch in diesem Sport ist es sehr sehr offensichtlich, weil, ich kann gewisse körperliche Grenzen exponentiell nicht ohne das erweitern. Das funktioniert nicht. Was mich an der ganzen Sache nur stört ist der Irrglaube, ein Fußballer nimmt keine Doping-Mittel das aber nicht so breit getreten wird oder man das nicht so eindeutig sehen kann, wie bei jemandem, der seinen Körper zur Schau stellt.
Nimmt er selbst auch Medikamente?"
"Ja, brauche ich nicht zu verneinen, ich bin da sehr ehrlich, ich gehe sehr offen mit dem Thema um. Ansonsten würde man nicht diese körperlichen Voraussetzungen schaffen können zum Teil."
Mehr Muskeln als viele Männer
Ähnlich offen geht auch Madeleine mit dem Thema um. Die 35-jährige Fitnesstrainerin ist seit vier Jahren Bodybuilderin – sie hat mehr Muskeln als viele Männer. Nur durch hartes Training sei das allerdings nicht zu erreichen sagt sie und so wird zu chemisch hergestellten Hormonen gegriffen:
"Ganz ehrlich - es geht bei uns Frauen gar nicht anders. Naja, irgendwann kam bei mir auch der Punkt, an dem sich einfach nichts mehr bewegt hat. Natürlich haben wir auch wochenlang dagesessen und abgewogen, ja, nein, Konsequenzen. Was hängt alles dahinter, was kann sich verändern? Meine Stimme ist schon tiefer, ja – das ist, womit ich gerechnet habe."
In diesem Fitness-Studio ist Doping kein Thema hinter vorgehaltener Hand – die Maxime lautet: Lieber offen und unter medizinischer Kontrolle, als heimlich und im gefährlichen Selbstversuch. Dr. Gerhart Bayer von der Humboldtuniversität:
"Die modernen Dopingmittel das sind Anabolika, das sind eiweißaufbauende Hormone. Man kann das Training effektivieren, man kann das Training nicht ersetzen, darüber muss man sich im Klaren sein. Und es gibt auch ungewollte Wirkungen, und jetzt meine ich noch nicht einmal die pathologischen Wirkungen, sondern auch eine Eiweißzunahme, eine Massenzunahme an Stellen, wo sie nicht hingehört. Das geht vom Herzmuskel bis an andere Stellen. Da würde ich sehr vorsichtig sein. Das sind Medikamente – man hört es immer im Fernsehen: Risiken, Nebenwirkungen – fragen sie Ihren Arzt oder Apotheker. Das sollte man sehr ernst nehmen."
Natürlich ist Bodybuilding die extreme Form des Krafttrainings – aber durch diesen Sport und die sich daraus entwickelnden Studios hat sich ein gesellschaftlicher Wandel vollzogen.
Muskeln nicht mehr mit Proletentum gleichgesetzt
1977 erscheint der Film "Pumping Iron", ein Dokudrama übers Bodybuilding, in dem Arnold Schwarzenegger eine entscheidende Rolle spielt. Dieser Film gilt als Meilenstein in der Entwicklung des Krafttrainings - er hebt eine Subkultur in das Rampenlicht der Öffentlichkeit und öffnet dem Krafttraining Türen in weitere Bevölkerungsschichten.
Muskeln werden nicht mehr ausschließlich mit Proletentum gleichgesetzt, bald schon gehören sie zum guten Ton. Wer erfolgreich ist, muss heutzutage auch so aussehen – Manager, Musiker, Medienmacher – vom Hipster bis zur Hausfrau. Mann und Frau treffen sich im Fitnessstudio – oder auch nicht, denn seit ein paar Jahren macht sich bei den Trainingswilligen ein Trend zum Individualtraining bemerkbar: "Bodyweighttraining" – also Körpergewichtsübungen, Training nach DVDs, Apps oder mittels Reizstrom. Trainingswissenschaftler Dr. Gerhart Bayer von der Humboldtuniversität Berlin:
"Ich muss für mich klarmachen, was will ich überhaupt. Insofern steht für mich nie die Frage, Körpergewichtstraining versus Maschinentraining oder Gerätetraining versus Hantel, sondern das ist immer eine Frage der Zielstellung und oft ist es eben auch so, dass ich mit einer Sache anfange und dann in eine andere gleitend übergehe. Und dann eben auch entsprechende Erfolge sowohl mit der einen, als auch mit der anderen Methode habe, je nachdem, wo ich hin will."
Ist die Motivation da, gibt es verschiedene Wege mit dem Krafttraining anzufangen. Der gängigste und für Neueinsteiger geeignet, ist ein Fitnessstudio – vorausgesetzt, die Trainer sind gut. Doch gute Trainer sind ein Kostenfaktor und so wird ein entsprechendes Studio auch teurer sein, als eines, wo man allein gelassen wird.
Sind aber ein Grundverständnis für körperliche Betätigung und genug Selbstdisziplin vorhanden, dann eröffnet sich ein schier unerschöpflicher Markt an Angeboten.
"You are your own gym"
Als Experte für Individualtraining gilt Mark Lauren. Der ehemalige Fitness-Spezialist in der US-Armee hat sich mit seinen Trainingsideen selbstständig gemacht. Sein Konzept basiert auf einer Kombination unterschiedlicher Übungen, die ohne Hilfsmittel und an jedem Ort durchgeführt werden können. Nichts Neues, aber sehr effektiv kombiniert. Sein Buch "Fit ohne Geräte" ist ein Bestseller und auch als App erhältlich.
"Sie müssen nur anfangen, wo immer sie sind."
Für unter drei Euro kann man sich das Programm aufs Handy laden.
"You are your own gym" steht da weiß auf grauem Grund, darunter ein großes grünes Feld "Workouts" – einmal drücken und dann kann man wählen: "zehn Wochen Programm" und "schnelle Workouts".
Die App stellt Übungen für alle Körperpartien zusammen: Beine, Arme, Brust, Rücken, Bauch, Po.
Mark Lauren macht im Display die Übungen mit, man sieht also die richtige Ausführung. Auch die Zeiten und die Art des Trainings werden vorgegeben, je nach eingegebener Selbsteinschätzung.
Krafttraining mit der App ist sehr effektiv, vorausgesetzt, man trainiert regelmäßig. Das bloße Herunterladen, und die Gewissheit, dass man ja könnte, reichen natürlich nicht!
"Sie müssen regelmäßig trainieren. Entscheidend ist, was ihnen wichtiger ist, ihre Ziele oder das, was ihnen beim Erreichen ihrer Ziele im Weg steht."
Ähnliche Konzepte, wie das der App gibt es zu Hauf. Vor allem der DVD-Markt ist groß und unübersichtlich und auch im Internet findet man massenhaft Trainingseinheiten und Trainer – da fällt die Auswahl schwer.
Höherer Trainingseffekt mit Konzentration
Zweite Übung für zu Hause oder das Büro vom Personal-Trainer Christian Zippel:
"Es ist etwas, was ich das Prinzip der Höchstkontraktion nenne. Und dabei geht es darum, dass, wenn man zum Beispiel am höchsten Punkt der Liegestütz ist, dann sollte man wirklich noch einmal alle Muskeln anspannen, weil wenn man sich nicht wirklich darauf konzentriert und nur die Bewegung ausführt, dann möchte der Körper sich möglichst energiesparend bewegen, sprich er setzt möglichst wenig Muskelfasern ein. Wenn man sich darauf konzentriert, setzt er deutlich mehr Muskelfasern ein und dadurch hat man einen deutlich höheren Trainingseffekt."
Jede Art von Training hat immer auch eine psychische Komponente – stimmt die Motivation nicht, ist es schwer, den gewünschten Erfolg zu haben, oder kontinuierlich das Training fortzuführen.
Der Gitarrist Till Paulmann hat jahrelang Yoga und Kung-Fu trainiert, ist ins Fitnessstudio gegangen. Seit gut fünf Jahren trainiert er nach DVDs. Auf die Idee dazu ist eigentlich gar nicht er gekommen:
"Das war eigentlich meine Frau, weil, die hat vor zehn Jahren angefangen, Yoga-Programme zu Hause zu machen, Pilates-Programme und das war zwar für mich nicht das richtige Programm, aber, weil ich auch gerne Sport mache, dachte ich, das ist ganz gut, es verbinden zu können. Zeit mit meiner Frau, sie macht sowieso Sport, häng ich mich gleich mit rein, das war ganz praktisch. So habe ich angefangen und das alles zu Hause, da dacht ich mir: geil! Und hab dementsprechend auch weiter nach Programmen gesucht und hab da jetzt ein sehr geiles Programm gefunden, mit dem ich am liebsten trainiere, das nennt sich P 90x, kommt aus Amerika und ist von einem Personal-Trainer namens Tony Horten."
Für dieses Programm braucht Paulmann Hanteln, eine Klimmzugstange, Gummibänder, einen Gymnastikball, zwei Medizinbälle.
"Aber wenn man das erst mal hat, dann kann man zu Hause gut den ganzen Körper trainieren. Das ist in erster Linie diese Zeitersparnis, die es für mich attraktiv macht. Nicht ins Fitnessstudio zu müssen, da eine halbe Stunde hinzufahren, ich baue hier schnell mein Zeug auf und bin in einer Stunde fertig und deshalb mache ich das am liebsten."
"Ich habe diesen kurzen Adrenalinkick"
Rund fünf Stunden in der Woche trainiert der Gitarrist mit seinen DVDs.
"Und ich habe diesen kurzen Adrenalinkick, wo ich auch schon richtig süchtig bin. Wenn ich mich so richtig anstrenge und verausgabe, dann hat man so ein zwei Stunden so ein inneres High, dann fühle ich mich gut gelaunt, energetisch, kräftig. So ich kann jetzt die nächste Aufgabe angehen mit so einer gewissen Freude ans Tageswerk und nicht so – boah scheiße, ist das wieder anstrengend, bin ich schlaff und so. Klar, es ist trotzdem anstrengend und es bleibt auch immer anstrengend, aber man gewöhnt sich an dieses Gefühl, sich anzustrengen und zu schwitzen, wird nicht mehr als so unangenehm empfunden. Das ist etwas, was sich so aufbaut und ich glaube, dass der Körper das dann in gewissen Abständen auch will."
Dritte Übungen für zu Hause oder das Büro vom Personal-Trainer Christian Zippel:
"Dann machen wir mal eine Bauchübung. Es geht darum, sich auf den Boden zu setzen, da bleibt auch nur der Po, der restliche Körper schwebt in der Luft. Das ist erst mal gar nicht so einfach. Und wenn man das schafft, dann versucht man einmal, den ganzen Körper zu strecken, nimmt die Arme dabei nach vorne, streckt die Beine aus und den Kopf und den Oberkörper neigt man nach hinten, so dass man fast parallel zum Boden liegt, aber nur der Po ist auf dem Boden. Dabei muss man darauf achten, dass man nicht ins Hohlkreuz kommt. Und dann aus dieser Position zieht man den Körper an, man zieht die Knie zur Brust und nimmt auch den Oberkörper nach vorne und kontrahiert da auch die gerade Bauchmuskulatur. Das hält man dann zwei, drei Sekunden und dann streckt man den Körper wieder in die waagerechte und das wiederholt man dann mehrmals."
Was aber tun, wenn einem die Selbstdisziplin für ein Individualtraining zu Hause fehlt, die Motivation für stundenlanges Maschinen-Krafttraining in einem Fitnessstudio nicht da ist, Zeit eine wichtige Rolle spielt, Geld aber nicht – dann gibt es noch einen Trend auf dem Fitnessmarkt: Auf den ersten Blick ideal für gestresste Großstädter: EMS - elektrische Muskelstimulation. Dabei wird die Muskulatur durch leichte Stromstöße zur Anspannung gereizt.
Jede Woche Stromstöße
Die Studios heißen Bodystreet, Speedfit oder: Slim-Gym-Club. Hier stehen vor einem großen Spiegel zwei merkwürdige Maschinen: Jeweils ein Sockel auf dem ein mischpultähnlicher Kasten mit Display, zwei großen und zehn kleinen Drehreglern thront. Davor eine Art Fahrradlenker.
Vor einem dieser Geräte steht eine junge Frau: Zedar. Sie arbeitet in einer Werbeagentur steckt den Alltag über in eleganter Business-Kleidung. Jetzt trägt sie eine schwarze Weste, aus der Kabel zu dem Kasten führen, Elektroden an Armen und Beinen. Leuchtdioden blinken. Neben ihr steht ein Trainer:
"Und dann machen wir als nächstes die Bauchübung, Zedar - und jetzt machst du den Crunch zwei Sekunden nach unten und zwei nach oben... Atmen..."
Schneller zum Erfolg? Die elektrische Muskelstimulation (EMS)
Schneller zum Erfolg? Die elektrische Muskelstimulation (EMS)© picture alliance / ZB / Jens Kalaene
Die 27-Jährige beugt den Oberkörper nach vorn. Ihre Muskeln zucken, sie atmet schwer. zweimal 16 Minuten in der Woche setzt sie sich den Stromstößen aus, um den Körper in Form zu bringen und zu halten. Das reicht aus, sagt Tarek Lohaus vom Slim-Gym-Club.
"Wir trainieren einmal den ganzen Körper gleichzeitig und intensiv, sehr intensiv. Normalerweise werden elektrische Signale vom Gehirn über das Rückenmark an die Muskulatur gesendet, um eine Muskelkontraktion hervorzurufen. Und beim EMS-Training wird das Ganze über ein Trainingsgerät an Elektroden gesendet, die wiederrum den Impuls auf die Muskulatur übertragen und so die Muskulatur anspannen."
Bei der elektrischen Muskelstimulation scheint es vor allem darum zu gehen, den Körper besser aussehen zu lassen, ohne in ein zeitaufwendiges Training zu investieren. Dafür nehmen die Kunden die recht hohen Kosten in Kauf – etwa 100 Euro im Monat für zweimal um die 20 Minuten Training pro Woche.
EMS-Studios sprießen wie Pilze aus dem Boden
Der Markt für diese schnelle, effektive aber vielleicht auch unsportlichste Möglichkeit des Krafttrainings ist da. EMS-Studios sprießen wie Pilze aus dem Boden. Trainingswissenschaftler Dr. Gerhart Bayer steht dem ganzen trotzdem skeptisch gegenüber:
"Die Elektro-Myo-Stimulation kommt aus der Physiotherapie. Da gehört sie auch hin. Die Herz-Kreislaufbelastung ist sehr gering, koordinative Anforderungen sind sehr gering und insofern bleibt es für mich zweite Wahl. Wer ein bisschen sich informiert und ein bisschen ausprobiert, wird ganz andere Möglichkeiten in anderen Richtungen finden. Ich würde EMS immer demjenigen empfehlen, wo die Frage steht, wenn ich das nicht mache, mache ich gar nichts. Da würde ich immer sagen, bevor du gar nichts machst, mach lieber EMS."
Zedar ist der Prototyp der modernen Großstädterin, die viel in kurzer Zeit erreichen will. Gelegentlich kommt sie sogar in der Mittagspause und zieht die Elektrodenweste über – denn Zeit ist Geld. Und bei Stress im Job wirken die 16 Minuten auf sie wie eine Art Psychohygiene, so sagt sie:
"Also, da hab ich mich dann schön abreagiert, dann wieder gemütlich zurück zur Arbeit gelaufen und dann ging es auch wieder. Das ist schön, mal auspowern und dann ist alles wieder gut."
Das mit dem Auspowern und Abreagieren funktioniert natürlich bei jeder Form des Krafttrainings.
Vierte Übung für zu Hause oder das Büro vom Personal-Trainer Christian Zippel:
"Die nächste Übung ist eigentlich der klassische Liegestütz. Viele werden jetzt den Liegestütz auf dem Boden noch nicht können, dafür reicht es aber auch, wenn man den Liegestütz an einer Wand macht oder an einem Tisch, an einer Tischkante. Und da machen viele den Fehler, dass sie beim Liegestütz die Ellenbogen zu weit nach oben nehmen. Wichtig ist beim Liegestütz, dass man die Hände ruhig ein bisschen tiefer ansetzt und die Ellenbogen mehr Richtung Bauch führt, so dass man die Tischkannte am Übergang Brustmuskulatur/ Bauch fühlt oder auch die Wand und dann richtig schön von unten auch mit den Ellenbogen vom Körperzentrum aus sich wieder hochdrückt, also aus dem Rücken drückt und nicht nur aus den Oberarmen."
Auch den Geister verändern
Wer die richtige Art und Weise des Trainings für sich selbst gefunden hat, seine Ziele nicht aus den Augen verliert, regelmäßig ernsthaft trainiert und im Idealfall auch seine Ernährungsgewohnheiten überdenkt, der verändert nicht nur den Körper, sondern auch den Geist, sagen die Kraft- und Fitnesssportler. Sie alle sind überzeugt davon, dass sie durch das Training viel entspannter durchs Leben gehen. Und wenn man nach dem Treppensteigen nicht mehr völlig außer Atem ist, dann ist schon mal ein Anfang getan – und Schritt für Schritt geht's weiter:
Christian Zippel: "Einfach machen."
Boddybuilder Jörg: "Wir trainieren, weil es uns tierisch Spaß macht."
Schwarzenegger: "Man muss dann das Ziel immer im Hirn haben, immer vor sich haben."
Till Paulmann: "Ich denke, der Unterschied ist ein generell körperliches Wohlgefühl."
Dr. Bayer: "Da kann man eine ganze Menge machen, mit relativ wenig zeitlichem Aufwand."
Mark Lauren: "Sie müssen nur anfangen, wo immer sie sind."