Können wir unserem genetischen Schicksal entgehen?

Von Michael Lange · 15.08.2010
Der Mensch ist keine genetische Maschine. Ob er gesund bleibt oder krank wird, das hat er zu einem erheblichen Teil in der Hand. Jeder entscheidet selbst, wie viel er sich bewegt, was er isst, ob er raucht oder Alkohol trinkt. Neueste Forschungen zeigen: Wir haben sogar die Möglichkeit, unsere Gene durch unser Verhalten zu beeinflussen.
Jahrelang haben Wissenschaftler uns weismachen wollen, dass einzelne Erbanlagen unser gesundheitliches Schicksal zu einem gewissen Grad vorbestimmen. Diabetes-Gene, Krebs-Gene, Bluthochdruck-Gene und viele andere medizinisch relevante Erbanlagen haben die Forscher angeblich aufgespürt. Dass diese keineswegs ursächlich für verschiedene Krankheiten sind, sondern in den meisten Fällen lediglich ein statistischer Zusammenhang besteht, wird bei vielen dieser "Erfolgsmeldungen" verschwiegen.

Der Biologe und Spiegel-Redakteur Jörg Blech fällt über Nachrichten unter dem Motto "X ist Gen für Y" ein vernichtendes Urteil. In seinem Buch stellt er klar: Diese massenhaft vorgelegten Ergebnisse führen nicht nur in die Irre, sie sind mitunter sogar falsch. Was vor ein paar Jahren mit viel Geschrei durch die Medien ging, erwies sich später oft als wissenschaftlich nicht beweisbar, wie die Risiko-Gene für Depression oder Schizophrenie.

Für Jörg Blech steht fest: Die meisten angebotenen Gentests für weitverbreitete Volksleiden sind sinnlos. Das zeigt das Beispiel "Übergewicht". Wer Risiko-Gene für Übergewicht in seinem Erbgut besitzt, muss nicht dick werden. Durch gesunde Ernährung und ausreichend Bewegung kann jeder seiner genetischen Ausstattung ein Schnippchen schlagen. Es ist sogar möglich, dass Umwelt und Verhalten direkten Einfluss auf die Erbinformation nehmen. Schädliche Gene können stillgelegt, gesunde aktiviert werden. Mit diesen Wechselwirkungen beschäftigt sich der seit einigen Jahren stark wachsende Forschungszweig der Epigenetik.

Der biologische Determinismus, der uns als Sklaven der Erbinformation betrachtet, ist in der Wissenschaft allerdings längst auf dem Rückzug. So bekämpft Jörg Blech vielfach Positionen, die mittlerweile auch unter Wissenschaftlern als überholt gelten. Dabei setzt er auf Vereinfachung und Einzelbeispiele, aus denen er generelle Aussagen ableitet. Im Schreibstil erinnert dieses Sachbuch an ein Nachrichtenmagazin: Beispiele aus dem Alltag, klare Sprache, zugespitzte Formulierungen, aber auch grobe Verallgemeinerungen auf der Basis einzelner Beobachtungen. Wissenschaftliche Ergebnisse holt Jörg Blech hervor, um die von ihm aufgestellten Thesen zu stützen. Forschungsresultate, die nicht in sein Konzept passen, lässt er weg. Das ist statthaft und fokussiert die klare Aussage dieses Buches. Der tatsächliche Stand der Wissenschaft, insbesondere der vielfach erwähnten Epigenetik wird so jedoch nur schemenhaft erkennbar.

Wer die Wissenschaft hinter den Schlagworten genauer kennenlernen und nachvollziehen möchte, dem sei das anschaulich geschriebene Buch des Neurobiologen Peter Spork empfohlen. Sein Buch "Der zweite Code" kam bereits vor einem Jahr zu ähnlichen Schlussfolgerungen.


Jörg Blech: Gene sind kein Schicksal: Wie wir unsere Erbanlagen und unser Leben steuern können. S. Fischer-Verlag (August 2010), 286 Seiten, 18,95 Euro