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"Der Mensch, der Bonobo und die zehn Gebote"
Moralische Affen

Eine der kulturellen Errungenschaften des Menschen ist die Religion. Sie bietet den Menschen eine Art moralischen Kompass. Tiere haben so etwas nicht. Das bedeutet aber keineswegs, dass es im Tierreich keine Moral gibt. Wie die Moral entstand, damit beschäftigt sich der bekannte niederländische Primatologe Frans de Waal in seinem neuen Sachbuch.

Von Michael Lange | 14.09.2015
    Bonobos im zoologisch-botanischen Garten Wilhelma in Stuttgart, aufgenommen am 24.04.2015.
    Bonobos im zoologisch-botanischen Garten Wilhelma in Stuttgart (picture-alliance / dpa / Benjamin Beytekin)
    Seit Charles Darwin gehört zur Evolution der Lebewesen die natürliche Auslese – die Selektion. Viele sehen darin einen ständigen Kampf ums Überleben: Jeder gegen jeden, ohne Skrupel, ohne Moral.
    In seinem neuen Buch "Der Mensch, der Bonobo und die zehn Gebote" bringt der Primatenforscher Frans de Waal Evolution und Moral in Einklang.
    "Wir haben unsere Moralität keineswegs aus dem Nichts heraus durch rationales Denken entwickelt; vielmehr hat unser Hintergrund als soziale Tiere den Anstoß dazu gegeben."
    Der Niederländer Frans de Waal beobachtet seit Jahrzehnten Schimpansen und Bonobos. Immer wieder entdeckt er im Verhalten der Tiere Anzeichen von Empathie. Er kommt zu dem Schluss: Aus gegenseitigem Mitgefühl entwickelten sich moralische Prinzipien. Sie äußern sich jedoch unterschiedlich von Art zu Art. Bei Bonobos, früher als Zwergschimpansen bezeichnet, ist Sex allgegenwärtig.
    "Sie praktizieren Sex für den Frieden eben deshalb, weil zwischen ihnen viele Konflikte schweben. Wenn sie in perfekter Harmonie leben würden, hätten sie ja keinen Grund ständig Frieden zu schließen.
    Was für Bonobos der Sex ist, ist für viele Menschen die Religion. Sie gibt der Gemeinschaft einen Rahmen für moralisches Handeln. Sie stärkt das Miteinander und sorgt für Regeln im Gegeneinander.
    Dabei ist es nicht genug, nicht zu stehlen oder einander nicht umzubringen. Zum moralischen Handeln gehört auch die Hilfe für Alte und Schwache. Das gilt für Menschen, aber auch für Schimpansen.
    "Am Ende ihres Lebens war Peony voll und ganz auf die Unterstützung der anderen Schimpansen angewiesen, die ihr Wasser brachten und ihr beim Klettern halfen."
    Die gegenseitige Hilfe unter nicht verwandten Tieren ergibt evolutionsbiologisch keinen Sinn. Vordergründig. Schließlich dient sie nicht der Verbreitung der eigenen Gene. Aber sie schweißt die Gemeinschaft zusammen – und schützt so indirekt vor Selektion. Wer gegen die geltende Moral verstößt, hat in der Gemeinschaft einen schweren Stand. Das hat Frans de Waal immer wieder beobachtet - nicht nur bei Primaten, auch bei anderen sozialen Tieren wie Ratten oder Elefanten.
    "Moralität ist kein dünner, äußerlicher Anstrich, sondern sie kommt von innen. Sie ist Teil unserer Biologie."
    Menschen lieben Geschichten. Und größere Gesellschaften brauchen Regeln und Gesetze für das Miteinander. Religion bedient diese Bedürfnisse – und steht damit keineswegs im Widerspruch zur Evolutionslehre.
    "Wissenschaft ist eine künstliche Errungenschaft, während Religion so natürlich ist wie das Gehen oder Atmen."
    Zielgruppe
    Für alle, die gerne Gutes tun, und endlich wissen wollen, warum.
    Erkenntnisgewinn
    Religion kann helfen, ein guter Mensch zu sein oder zu werden. Notwendig ist sie dafür nicht.
    Spaßfaktor
    Lesegenuss für Gutmenschen und die, die es gerne wären.
    Frans de Waal: "Der Mensch, der Bonobo und die zehn Gebote"
    Klett-Cotta. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Cathrine Hornung, 365 Seiten, 24,95 Euro