Köhler verstrickt sich im parteipolitischen Gezänk

Von Matthias Thiel |
Das war ja klar: Die SPD nimmt den Bundespräsidenten gegen Kritik in Schutz und die CDU zeigt sich unbeeindruckt von Köhlers Vorwürfen. Das hat das Staatsoberhaupt nun davon.
Seine Mahnungen an die Gesellschaft insgesamt, seine berechtigte Kritik am Parteienstaat, sein verständlicher Unmut über den mangelnden Reformeifer – gestern in einer lang vorbereiteten Grundsatzrede wohlfeil formuliert und vorgetragen – gehen im parteitaktischen Gezänk unter. Den Anlass liefert der oberste Ordnungspolitiker der Republik leider selbst.

Der politische Präsident, der er ja sein will, hat sich mit seiner Kritik an einem parteitaktischen Vorschlag des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten zu weit aus dem Fenster gelehnt. Denn nichts anderes als parteitaktisch geprägt ist der populistische Vorstoß zum Arbeitslosengeld I von Jürgen Rüttgers, dem es damit nur um machtpolitische Dinge innerhalb der CDU geht. Das hat er schon im Sommer mit einem Urlaubsinterview bewiesen.

Hier sollte sich das eigentlich überparteiliche Staatsoberhaupt doch zurückhalten. Zumal es kurz vor dem Parteitag der CDU doch nur um einen Antrag von vielen auf einer Parteiversammlung und eben nicht um ein Gesetz geht.

Vielleicht wollte Horst Köhler aber auch bewusst provozieren, um Schlagzeilen zu produzieren und Aufmerksamkeit zu erzeugen. Das hätte er mit seinen notwendigen Anmerkungen zu den Befindlichkeitsstörungen des Volkes und den scharfen Rügen an den politischen Parteien aber gar nicht nötig gehabt.

In der Tradition von Richard von Weizsäcker könnten Köhlers Mahnungen und Hinweise an die gesellschaftlichen Kräfte in Deutschland durchaus viel mehr Gehör finden. Nur jetzt versinken diese leider auf den hinteren Seiten des Blätterwaldes, weil die so genannte "Ohrfeige für Rüttgers" ja viel mehr für eine Titelzeile hergibt.

Der Bundespräsident hat die Ebene der Überparteilichkeit verlassen, mischt sich ein in die Niederungen des tagesaktuellen politischen Geschäfts. Damit läuft er Gefahr, dass seine Unabhängigkeit in Frage gestellt wird. Er wird zu einem Teil des gerade doch kritisierten Systems von Nörglern und Dummschwätzern, die selbst nicht in der Lage sind, zu handeln.

Verständlich die maßlose Unzufriedenheit Köhlers mit der Bundesregierung. Doch warum sagt er nicht am Telefon dem CDU-Chef von Rhein und Ruhr seine persönliche Meinung, warum fordert er die Kanzlerin nicht hinter verschlossener Tür auf, endlich Führungsstärke zu beweisen.

In der parteiinternen Auseinandersetzung kann der Bundespräsident jetzt in einer politischen Einzelfrage als Kronzeuge missbraucht werden, im morbiden Gefüge der Großen Koalition spielt er sich als Richter auf.

Hier sind tatsächlich die grundgesetzlichen Grenzen – auch eines politischen Bundespräsidenten – erreicht. Persönliche Backpfeifen – für wen auch immer – hat dieser nicht öffentlich zu verteilen. Übrigens auch deshalb, weil die notwendigen Debatten in Deutschland, die der Bundespräsident eigentlich anstoßen will, damit nicht in Gang kommen.