Knallharte Story, watteweiche Musik

28.01.2011
Die Staatsoperette Dresden, einziges Repertoiretheater für Operette, Spieloper und Musicals der anspruchsvolleren Art, macht immer wieder durch besondere Entdeckungen auf sich aufmerksam. Jetzt bringt das Theater zum zweiten Mal ein Musical von Stephen Sondheim heraus, der sich mit seinen Werken dem Mainstream wiedersetzt, dennoch erfolgreich ist und vor einem Jahr anlässlich seines 80. Geburtstages weltweit geehrt wurde.
Sondheim auch als Textdichter hervorgetreten - er schrieb das Libretto für Bernsteins Welterfolg "West Side Story" - widmet sich mitunter schrägen und skurrilen Themen wie in "Sweeny Todd" oder "Into the Woods". Mit "A Little Night Music" adaptierte er sogar einen Film von Ingmar Bergmann, daraus wurde der Film "Das Lächeln einer Sommernacht" mit Liz Taylor, die hier sogar sang.

"Passion" von 1994 hat den Roman "Fosca" des italienischen Autors Iginio Ugo Tarchetti und den danach entstandenen Film "Passione d´amore" von Ettore Scola, 1981, zur Vorlage. Die Handlung führt nach Milano und in die italienische Provinz. Durch eine Versetzung wird der junge Offizier Giorgio von seiner Geliebten Clara getrennt. Clara, die schöne junge Frau, wiederum ist verheiratet, was ihrer Leidenschaft Giorgio gegenüber - im Kontext kluger Organisationsfähigkeiten - nicht im Wege steht.

An seinem neuen Einsatzort lernt Giorgio die todkranke Fosca kennen. Er gerät in den Bann dieser außergewöhnlichen Frau, deren Faszination gänzlich anders ist als all das, was man gemeinhin bei Frauen schön oder attraktiv nennt. Die Verbindung mit Clara hält er in Briefen.

So nimmt eine schon mal dramaturgisch sehr geschickt komponierte kammerspielartige Handlung um Leidenschaft und Leid ihren Lauf. Und das gibt in knapp zwei Stunden eine verstörende Geschichte, auf den ersten Blick vielleicht etwas rührselig, auf den zweiten aber knallhart, abgründig und auch gemein, was man nicht sofort mitbekommt, denn das Geschehen ist in so verführerische wie sanfte Musik gebettet. Das ist schleichender Wahnsinn mit Musik.

Drei Menschen auf dem Weg ins Unglück, jeder schuld an dem des anderen, aber keiner mit Vorsatz. Am Ende schickt sich die Lichtgestalt Clara in die Einsamkeit der beziehungslosen Ehe. Fosca, die Leidende, ist tot, Giorgio in wahnhafter Krankheit. Dabei ist er die wahrhaft tragische Figur dieser Dreiecksgeschichte. Beide Frauen nämlich, bewusst oder unbewusst, finden die Bestätigungen ihrer Liebesfähigkeit und Liebenswürdigkeit allein im Spiegel seiner Zuneigung.

Dabei sind alle von hoher Leidensfähigkeit gepaart mit selbstquälerischer Veranlagung. Dass wir eigentlich von den Gefühlsverstrickungen zwischen Fosca und Giorgio vornehmlich aus Briefen erfahren, die der Offizier mit Clara austauscht, dass sich Fosca ebenfalls als Briefschreiberin und Brieferpresserin in diesen intimen Austausch drängt ist als dramatisches Mittel so raffiniert wie brisant.

Dazu kommt Foscas Arzt, den Hans-Jürgen Wiese so überzeugend wie geradlinig gibt, der am Ende sehen muss wie er damit zurecht kommt, dass er in edler Absicht Giorgio und Fosca zu Figuren einer Versuchsanordnung eines Experiments am offenen Herzen gemacht hat. Und das alles in einem Musical. Die Raffinesse der Briefszenen mit den musikalischen Linien, die parallel laufen, dann gegeneinander geführt werden, sich kreuzen, einsam ins Leere laufen, traut man dem Genre der Ohrwürmer zum Mitklatschen gar nicht zu.

Es gibt keine langen Szenen, knappe Schnitte, auf Klänge aus Glück und Walzermelancholie folgen militante Trommeln, wie selbstverständlich geht das gesprochene Wort in Musik über, Sprachmelodie, Theater mit Musik, die sich mit der Handlung verbindet und hörbar macht, was man nicht sieht oder nicht sehen will. Die Musik erst macht diesen unaufhaltsamen Fluss des schönen Unglücks möglich.

Das Kammerspiel wird in Holger Hauers Dresdner Inszenierung und deutscher Erstaufführung von den drei Protagonisten dieser Dreiecksverfechtung bestens getragen. Glaubwürdig ist die Liebessehnsucht von Maike Switzer als helle Figur Clara, von Vorteil ist eine gewisse Zerbrechlichkeit ihres Gesanges, als Widerklang innerer Konflikte. Geduckt, verhärmt, schleichend, Vasiliki Roussi als dunkle Fosca.

Gefährlich ist dieses Leidensbündel in seiner Unangreifbarkeit, krank, vom Leben benachteiligt, schon einmal betrogen und jetzt, eher unbewusst, ein schutzbedürftiges Rachewesen mit Zerstörungspotenzial. Das Opfer ihrer Begierde auf dem Weg zum persönlichen "Liebestod" ist eben Giorgio. Marcus Günzel gibt diesen Mann im Spiel und im Gesang authentisch in der Naivität und Verwirrung. Er hat sie, diese starken Momente eines schwachen Mannes, dem nicht geholfen werden kann.

Das alles hat Holger Hauer auf Christoph Weyers so gut wie leeren Bühne mit klar definierbaren Raumassoziationen sparsam inszeniert. Im Mittelpunkt die Menschen mit ihrer Musik in Arrangements mit Raum für Stimmungen und Emotionen. Es ist wohl Absicht, dass dieses unaufgeregte Gleichmaß des unaufhaltsamen Unglücks immer schwerer erträglich wird, zumal die Musik sich immer stärker in perverser Sanftheit ergeht.

Peter Christian Feigel macht sich mit den Damen und Herren des Orchesters zum klugen Anwalt der gefährlich-schönen Klänge. Dass Sondheims Partitur auch Gefahren birgt und das dramaturgisch verwendete Gleichmaß in Ermüdung umschlagen kann, kann er nicht abwenden. Dem Erfolg des Abends tut dies aber kaum Abbruch.