Klotz am Kopf

Von Johannes Halder · 08.09.2010
"Jeder Mensch ist ein Künstler", hat Joseph Beuys einmal gesagt, und sein jüngerer Kollege Martin Kippenberger hat den Satz umgedreht: "Jeder Künstler ist ein Mensch." Der Spruch ist das Motto für eine Schau aktueller Selbstporträts von 22 internationalen Künstlerinnen und Künstlern.
Der Künstler schämt sich. Die Hände auf dem Rücken, steht er in der Ecke, das Gesicht zur Wand, und schmollt. Martin Kippenberger hat sich so dargestellt, 1989, als lebensgroße plastische Figur, und zwar als Reaktion auf die Kritik an seinem Alkoholkonsum, an dem er später übrigens zugrunde ging.

Der Künstler wendet sich ab. Das ist ungewöhnlich für ein Selbstporträt. Aber Kippenberger hat sich auch ins Gesicht geschaut, sagt Kurator Daniel Riedel:

"Das zieht sich bis zu seinen letzten Arbeiten kurz vor seinem Tod, nicht nur Biographisches, Anekdotisches, immer wieder auch das eigene Gesicht. Also Martin Kippenberger ist jemand, der das Selbstporträt vielleicht nicht revolutioniert hat, aber in den Achtzigerjahren, eben in einer Zeit, wo es alles andere als modern war, immer wieder hervorgeholt hat."

Das Selbstporträt: Seit jeher definiert der Künstler damit sein Bewusstsein, seinen Stolz, auch seine Schwäche und sein Scheitern. 1955, nicht lange nach dem Krieg, war keine Zeit für eitle Blicke in den Spiegel. Die Maler flüchten in die Abstraktion, weg von der Wirklichkeit. Maria Lassnig stellt sich damals selber dar, gesichtslos, mit einer Art Klotz als Kopf, ein verquältes Urbild, das die eigene Anatomie als Fremdkörper empfindet.

Um 1970 kommen die ersten Videos auf. Bas Jan Ader weint vor der Kamera, ein Mann zeigt Gefühle. John Baldessari lässt sich filmen, wie er immer wieder ein Mantra murmelt: "I’m making art" – "Ich mache Kunst." So einfach ging das damals: der Künstler spricht, und schon ist es Kunst.

"Die Fotografie und später das Video sind eben für die Künstler auch sehr leicht zu benutzende Medien. Ende der Sechzigerjahre bekommt Bruce Nauman ein Videoaufnahmegerät geschenkt und kann Videos von sich selbst machen und seinen Körper zum Beispiel im Atelier zeigen, wie er einfachste Dinge verrichtet, herumgeht, oder mit seinem Körper spielt. Also eine sehr theatralische Art, den Körper in die Kunst zu bringen."

Natürlich, es gibt ihn auch, den Künstler als Narziss. Als ironisch-grimassierende Selbstbespiegelung bei Franz West, und bar jeder Ironie bei Jeff Koons, der 1988 eine Anzeigenserie in einem amerikanischen Kunstmagazin schalten ließ, um sich selbst bekannt zu machen. Das hat, wie wir wissen, funktioniert.

Sein Vorbild Andy Warhol hat sein Konterfei 1978 gar als Tapete produzieren lassen. In Baden-Baden hat man damit einen ganzen Raum ausstaffiert und noch sieben seiner Selbstporträts darauf platziert: der Künstlerstar, omnipräsent wie ein Hollywood-Idol – auch diese Strategie ging auf.

Auch andere Künstler setzen ihre Aura ein. "Die Revolution sind wir", verkündet Joseph Beuys, der in seiner Fliegerjacke forsch wie ein Messias auf uns zustürmt; und auch sein grauer Filzanzug hängt wie ein göttliches Heilsversprechen ganz oben an der Wand. Katharina Sieverding stilisiert sich auf einem riesigen Foto zu einer selbstbewussten Powerfrau, und Cindy Sherman, die notorische Rollenspielerin, ist selbst am liebsten eine Andere. Das Selbstporträt als konsequente Selbstverleugnung.

Andere verschanzen sich anonym hinter ihrem Material. Imi Knoebel porträtiert sich als Stillleben aus Pappkartons und Kisten, Isa Genzen als geometrische Stele, und das Künstlerdou Gilbert & George begreift sich ohnehin als lebendes Kunstwerk, die personalisierte Dauerausstellung gewissermaßen.

So geht es durch die Räume, und da treffen wir auch einen Toten: Felix Gonzalez-Torres, 1996 verstorben, doch mit seinen Konzepten noch immer aktiv. Sein eigenes Körpergewicht und das seines Lebensgefährten hat er in Bonbons aufwiegen lassen, und das geht so:

"147,5 Kilogramm Bonbons werden auf dem Ausstellungsboden ausgeschüttet. Daraus entsteht so ein minimalistisches Bild fast auf dem Boden, in einer türkisen Farbe. Jeder Ausstellungsbesucher ist dazu angehalten, ein Bonbon aus diesem Teppich zu nehmen, und so schrumpft das Gewicht eben. Es ist so der Zerfall, den er zeigen möchte, der aber eben auch für die Ausstellungsbesucher etwas Spielerisches hat."

Ja süß, irgendwie, aber auch ein bisschen dünn, die Idee. Da kommt einem der britische Künstler Marc Quinn in den Sinn, der auch abgenommen hat, aber noch lebt. Er hat fünf Liter seines eigenen Bluts zu einem plastischen Selbstporträt gefroren, eine spannungsvolle Balance zwischen Leben und Tod, denn wenn man den Stecker zieht, zerläuft der frostige Kopf zur blutigen Suppe. So etwas hätte man hier gerne gesehen, oder auch den Hyperrealismus eines Chuck Close.

Stattdessen serviert uns die Schau ein hübsches Potpourri, ohne schlüssiges Konzept, ohne Entwicklungslinien und erkennbare Schwerpunkte. Das ist schon reizvoll, nur: richtig spannend ist es nicht. Aber so ist es eben: Zu mehr hat der Etat wohl nicht gereicht.