Kloster Schlehdorf am Kochelsee

Leben in einer ehemaligen Klosterzelle

07:53 Minuten
Zu sehen sind Teile des ehemaligen Klosters Schlehdorf am Kochelsee: Die große Pfarrkirche und ein Seitenflügel des Klosters, im Vordergrund sind Bootshäuser zu sehen.
Das ehemalige Kloster Schlehdorf am Kochelsee gehört inzwischen einer Münchner Genossenschaft. Diese vermietet jetzt an Menschen, die wenig Platz für sich allein haben, aber dafür Gemeinschaftsräume mit anderen Mietern teilen. © Imago / Lindenthaler
Von Burkhard Schäfers · 11.08.2020
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Michael Regnet ist aus seiner Münchner Wohnung aufs Land gezogen. Er lebt in einem Klostergebäude, das einer Genossenschaft gehört. Dort hat er weniger Platz für sich als in der Stadt, aber viel Gemeinschaftsraum und ein soziales Netz.
Auf der Autobahn von München nach Garmisch geht es nach Süden und kurz vor den Alpen ab Richtung Kochel- und Walchensee. Der Mais neben der Landstraße steht hoch, einige Bauern sind bei der Heuernte. Die Gegend heißt Pfaffenwinkel – denn hier zieren besonders viele Kirchen, Wegkreuze und Klöster die hügelige Landschaft: Andechs, Benediktbeuern und Ettal, Dießen, Bernried und Schlehdorf.
Weil aber selbst unter dem weißblauen Bayernhimmel der Glaube lahmt, leben im Kloster Schlehdorf seit kurzem keine Nonnen mehr, sondern unter anderem eine Richterin, ein Kommunikationsdesigner und ein Bahnschaffner.

14 statt 60 Quadratmeter

Michael Regnet ist einer der neuen Bewohner des früheren Klosters, er lebte vorher in München: "Letztlich haben die Bewohner hier die Zimmer der Schwestern übernommen. Wenn man dann aus einer Wohnung mit 60 Quadratmetern hierher – bei mir sind's jetzt um die 14 – zieht, muss man schon überlegen, was bringt man mit, was ist einem wirklich wichtig?"
Nach seiner Schicht bei der Bahn war Regnet eben im Kochelsee schwimmen und sitzt jetzt in Shorts und T-Shirt im sogenannten Rosengarten. Rundherum erhebt sich das alte weiße Gemäuer, in der Mitte plätschert ein Brunnen, die Rosensträucher hat schon länger niemand zurückgeschnitten.
Was über Jahrhunderte ein Kloster war, ist jetzt ein gemeinschaftliches Wohnprojekt mit Coworking-Büros, Tagungs- und Seminarbetrieb. "Wir haben die Freiflächen, den Garten vorne an der Rosenpforte, hier im Innenhof, und diverse Räumlichkeiten, wo wir abends zusammen kochen und essen."
Das sogenannte "Cohaus Schlehdorf" ist noch im Werden – von Herbst an sollen hier 60 Menschen leben. "Das ist eben dieser Ausgleich, den man hier für sich finden muss. Zwischen der Gemeinschaft, die eine hohe Anziehungskraft mit sich bringt und dem nötigen und guten Rückzug, den man im Zimmer findet."

Im Eigentum einer Genossenschaft

Neuer Besitzer des ehemaligen Klosters mit mehr als 200 Räumen ist die Wohnungs-Genossenschaft Wogeno aus München. Sie hat das Gebäude ein gutes Jahr testweise geführt, um die angedachte Nutzung auszuprobieren – und es schließlich für 4,2 Millionen Euro gekauft.
Die Genossenschaft setzt sich für soziales, ökologisches und selbstbestimmtes Wohnen ein. In Schlehdorf heißt das: Leben, Arbeiten und Seminare für externe Gäste – alles unter einem Dach.
Die Bewohner – von der Familie mit Kleinkind bis zum Rentner – tun sich in sogenannten Clustern zusammen. Sprich: Jedes der 50 Zimmer hat ein eigenes Bad, mehrere Leute teilen sich Küche und Wohnräume, sagt Caroline Munkert, die das Projekt mit aufgebaut hat.
"Die Bewohner, die dort einziehen, werden sich zusammentun und sagen, was machen wir mit den Räumen?", erklärt Munkert. "Machen wir da eine Bibliothek rein, machen wir da ein Kinderspielzimmer rein?"
Die Mieten für die Zimmer liegen je nach Größe zwischen 250 und 550 Euro.

Gast- und Seminarbetrieb im Kloster

Außerdem sind ein gutes Dutzend Gewerbeeinheiten geplant – für Kunsthandwerk, Therapeuten, Yoga-Kurse. Dazu kommt der Gäste- und Seminarbetrieb, den Munkert leitet: Firmen oder Vereine können sich hier für Tagungen und Kurse einmieten.
Mit Maske, die auch die Gäste im öffentlichen Bereich tragen müssen, führt sie durchs Haus. Corona habe das junge Projekt natürlich getroffen, aber nicht existenziell, sagt Munkert.

Was tun mit einem monumentalen Barockbau, der langsam verfällt? Ralf Olbrück verkauft Klöster. In Bayern ist das Angebot besonders groß: Viele Orden schrumpfen und können ihre altehrwürdigen Gebäude nicht länger unterhalten. Dann ziehen statt der Nonnen Altenheime ein, Museen oder Tagungszentren. Burkhard Schäfers berichtet über die Arbeit des Maklers, der auch Klöster im Angebot hat.
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Schon seit einigen Wochen finden wieder Seminare statt. "Das hier ist jetzt ein Gästezimmer, das Gästezimmer Barbara. Die Gästezimmer sind sehr schlicht, ohne TV, Kühlschrank oder ähnlichem", erläutert die Gastgeberin.
"Man hat hier auch ganz schlechten Handyempfang und Internet gibt's auch keins auf dem Zimmer. Das heißt, im Gästezimmer kommt man wirklich zur Ruhe", verdeutlicht sie. "Es hat den Charakter von Rückzug und in den Seminarräumen ist es dann lebendig."

1200 Jahre Klostergeschichte

Das Kloster Schlehdorf hat eine mehr als 1200-jährige Geschichte. Sein Ursprung geht auf die Benediktiner zurück. Der heutige Barockbau mit drei Flügeln entstand Anfang des 18. Jahrhunderts. In einem Teil ist eine Realschule untergebracht. Die Kirche wird gerade saniert und künftig wieder von der Pfarrgemeinde genutzt.
Bis vor wenigen Monaten war Schlehdorf im Besitz der Missions-Dominikanerinnen, denen es allerdings zu groß und zu teuer wurde. Sie zogen in einen Neubau gleich unterhalb des Klosterhügels.
Mit Heiligenfiguren bemalte Holzschränke ,'Heiligenschränke' im Kloster Schlehdorf.
Die Heiligenschränke im Kloster Schlehdorf bleiben erhalten. © Burkhard Schäfers
Die langen Gänge und die Einrichtung atmen aber auch unter den neuen Bewohnern den Geist der Vergangenheit. "Die Schränke hier – die Heiligenschränke – sind auch von den Schwestern bemalt. Die sind wirklich noch aus der Anfangszeit und bleiben natürlich auch stehen. Ganz viele Sachen bleiben im Haus, die sind auch teilweise denkmalgeschützt und machen das Haus auch aus."
Die neuen Eigentümer brächten natürlich ihre eigene Vorstellung vom Leben mit, sagt Caroline Munkert. "Es gibt Bewohner und Bewohnerinnen, die sehr religiös sind. Es gibt aber auch ganz viele, die nicht in der Kirche sind. Natürlich schwingt das hier auch immer wieder mit, wir haben noch einige Kreuze hier hängen. Aber die meisten stören sich nicht daran, weil es einfach mit der Geschichte des Hauses zu tun hat."

Verkauf war ein Geduldsspiel für den Orden

Eine Geschichte, die vor sechs Jahren an einen einschneidenden Wendepunkt kam, erzählt Schwester Francesca Hannen, die Leiterin der Missions-Dominikanerinnen. "Das war schon ein Schock, weil ich mir damals nicht habe vorstellen können, dass wir in diese Situation kommen, dass auch kein Nachwuchs da sein wird und wir das große Kloster aufgeben müssen. Die Jahre sind dann vergangen und wir haben gesehen, dass sich das Leben verändert, dass wir älter werden und dass es immer mühsamer wird, das Haus in Ordnung zu halten."
Der Verkauf wurde zum Geduldsspiel für den Orden – bis zur Unterschrift beim Notar dauerte es fünf Jahre.
Nun aber hat Schwester Francesca ihren Frieden damit gemacht. "Mein Bauchgefühl ist sehr gut, mein Herzgefühl ist noch besser. Also wirklich große Dankbarkeit, dass die Wogeno sich dafür interessiert hat. Und auch, dass sie gesagt haben, das ist so ein wunderbarer Ort, ja auch so ein heiliger Ort, wir wollen diesem Ort keine Gewalt antun."

To-Do-Liste auf der Tafel

Aus manchen Zimmern schaut man auf die unmittelbar angrenzende Alpenkette mit Jochberg, Herzogstand und Heimgarten. Im klösterlichen Festsaal lässt sich bestimmt gut feiern, im Garten entspannen. Bis die neuen Bewohner das alles genießen können, wartet aber noch einiges an Arbeit.
Im Vorbeigehen zeigt Hausmanagerin Caroline Munkert auf eine Wand mit dutzenden Klebezetteln – die gemeinschaftliche To-Do-Tafel. Hier wird alles notiert, was repariert oder erneuert werden muss.
Ein paar Schritte weiter hängen Listen aus, welche Räume noch frei sind. Bis Mitte August können sich Interessierte dafür bewerben. "Das ist jetzt einer der größten Gewerberäume. Das Prinzip ist, dass die großen, tollen Räume der Gemeinschaft zur Verfügung stehen. Hier in dem Fall können sich das mehrere Büros zusammen aufteilen. Das wird kein Raum sein, der an eine Einzelperson geht."

Ein neues soziales Netz auf dem Land

Michael Regnet, der als Schaffner bei der Bahn arbeitet, braucht kein Büro. Aber seine Mitbewohnerinnen und Mitbewohner. "Ich glaube, als Einzelkämpfer aufs Land zu ziehen, birgt – bis man mal ankommt und Wurzeln schlägt – eine lange Zeit und wahrscheinlich auch einen harten Kampf, bis man akzeptiert wird. Für diesen Sprung aus München raus in eine Gemeinschaft, wo man schon so eine Art soziales Netz vorfindet, das hat’s mir leichter gemacht."
Früher war das soziale Netz der Orden, heute die Genossenschaft. Die Jahrhunderte alten Klostermauern haben schon viele kommen und gehen sehen.
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